Diebe

von Dea Loher
  Deutsches Theater – Uraufführung am 15. Januar 2010 in Berlin
Regie/Bühne: Andreas Kriegenburg,Kostüme: Barbara Drosihn,Dramaturgie: Claus Caesar, Juliane Koepp

Mit: Jörg Pose (Finn Tomason), Judith Hofmann (Linda Tomason, seine Schwester), Markwart Müller-Elmau (Erwin Tomason, Vater der beiden), Daniel Hoevels (Thomas Tomason), Barbara Heynen (Monika Tomason), Bernd Moss (Herr Schmitt, Gerhard), Kathrin Klein (Frau Schmitt, Ida), Helmut Mooshammer (Josef Erbarmen), Olivia Gräser (Mira Halbe), Susanne Wolff (Gabi Nowotny), Bernd Stempel (Rainer Machatschek), Heidrum Perdelwitz (Ira Davidoff

 

Das Leben – ein absurdes Trauerspiel?

“Finn, ein Versicherungsmakler, schlägt die Augen auf und weiß, dass er nie mehr aufstehen will. Seine Schwester Linda hat einen Wolf gesehen und hofft, dass ihre vom Konkurs bedrohte Therme demnächst in einem Naturschutzgebiet stehen wird. Erwin, der Vater der beiden, würde gern einmal ein normales Gespräch führen, über das Wetter oder die Sterne. Monika, Verkäuferin im Supermarkt, wurde vom Chef eine Beförderung versprochen. Vielleicht die Leitung eines Marktes in Holland. Ihr Mann Thomas, Polizist, würde mitgehen. Herr und Frau Schmidt fühlen sich beobachtet. Von einem Tier? Mira, schwanger, möchte ihr Kind nicht bekommen. Josef, der Vater, möchte es unbedingt haben. Gabi und Rainer suchen eine Wohnung oder tun nur so. Ira, eine ältere Dame, vermisst ihren Ehemann. Er wollte nur einen Spaziergang machen? Gabi glaubt an das Gute im Menschen, Rainer ist unzurechnungsfähig.
Dea Loher verwebt die einzelnen Episoden miteinander, in denen sich die Figuren in unterschiedlichen Konstellationen und seltsamen Situationen begegnen. Es entsteht ein düsteres und dennoch der Komik nicht entbehrendes Panorama von Schicksalen in unserer Zeit. ” (dt)

Vor allem erinnern diese Paarentwicklungen, die allesamt unter einem düsteren Stern stehen, an verschiedene Stücke von Botho Strauss, die man in früheren Spielzeiten im Maxim-Gorki und im Berliner Ensemble erleben konnte. Dea Loher verfällt dem gleichen Stil, der leicht orientierungslos am Anfang vor sich hin schwelt, zunehmend neugierig macht und Spannung erzeugt, doch dann, dem Ende hin, immer mehr abflacht, als ob es nun immer mühseliger wird, den Faden durchgehend zu spinnen, die Logik der verschiedenen Lebensmuster aufrecht zu erhalten und zu ihrem bitteren Ende zu führen. Auch geht natürlich die intellektuelle Zugkraft zumeist zu Lasten tieferer Emotionen, die dem Zuschauer ein Mitschwingen und Mitleiden erlaubten. (Allein Jörg Pose darf als hoffnungsloser “Fall” die Tragik der Rolle des geistesgestörten Finn ausleben).
Wo zu viele Fäden nebeneinander herlaufen, auch, wenn sie nach Art des beschreibenden Erzähltheaters irgendwo und irgendwann miteinander verknüpft werden, bleibt die eigene Beteiligung nur etwa so persönlich, wie man ein Bild anschaut. Dazu trägt die Inszenierung im Übrigen bei, wenn sie mitunter die Darsteller in der dritten Person ihre eigenes Handeln beschreiben lässt. Aber vielleicht soll das auch gerade die Hilflosigkeit der Menschen zeigen, die in ihrer Trauer, ihrer Lebensangst, ihrer Unbeweglichkeit, ihrem Misstrauen den Menschen und ihren enttäuschten Hoffnungen und Sehnsüchten erbarmungslos ausgeliefert sind.

Dass dies zerlöcherte Lebensmosaik immer wieder mit Passagen köstlichen Boulevardhumors gespickt ist, und man sich – noch dem Schrecken der vorherigen Bilder verhaftet – erleichtert einen Moment der Absurdität zuwenden kann, ist eine höchst geschickte Regiekomposition und natürlich der köstlichen Einfalt Susanne Wolffs und dem Breitbandtalent Daniel Hoevels zu verdanken, die sich in herrlich komödiantischen Variationen vorstellen.

Und mögen auch alle Figuren, alle menschlichen Schicksale – vom paranoiden Selbstmörder Finn und seiner verträumten, liebesunfähigen Schwester Linda (Judith Hoffmann erscheint in dieser Rolle weitaus stärker und präsenter als ihre traurige Célimène), mögen auch die so traurig nebeneinander her laufenden Paare wie der Polizist Thomas und seine fröhlich-mutige Frau Monika die Zukunft zerreden und sich damit ihrer Hoffnung (und Liebe) berauben, so leuchten doch immer wieder kleine Fünkchen einer ermutigenden Möglichkeit auf. Die Einsamkeit und die Angst schlucken zwar viele Hoffnungen, doch bleiben auch zarte Ansätze von Überwindung und Akzeptanz des Schicksals- wie etwa bei Mira, der Berliner Göre (ein jedes Theater hat ja wohl seine Kindfrau, hier ebenso Mitleid erregend wie belustigend “mit Schnauze”: Olivia Gräser!), die nach brutal zunichte gemachter Hoffnung, ihren Spendervater zu finden, sich doch für ihr Baby entschließt. Oder: der verschmitzte alte Herr (Müller-Elmau dürfte in keiner Inszenierung mehr fehlen!), der im Altersheim seit Jahren auf seinen Sohn Finn wartet und sich mit Sternen und Monologen sowie mit der realitätsfernen Linda tröstet – und vielleicht einer neuen Lebensgefährtin, Ira, die ein halbes Leben brauchte, um ihre Blindheit zu erkennen. Er wird nun doch entgegen seiner Lebensmaxime, dass alles Schicksal vom Menschen kommt, sich der “höheren Gewalt” erinnern, die über unser aller Dasein bestimmt. 

Die Spots, die hier mit unbändiger schauspielerischer Lust häppchenweise serviert werden, mal in Kalauern, dann wieder mit ungeschminkter Härte, währen beinahe vier Stunden. Das ist zu lang. Kürzungen würden das Geschehen vielleicht weniger verständlich machen, allerdings die Spannung auch nach dem notwendigen Pauseneinschnitt wieder anheben können.

Am Ende stehen sie alle vor der Bühne, die mit gefährlich routierenden Baggerschaufel ähnelnden Wänden von den Schauspielern absolute Standfestigkeit verlangt. Da stehen sie also: Menschen, die ihre Obsessionen zu Mördern gemacht hat, die naiv und gutmütig durch die Gefahren schlingern, die Zauderer und Zögerer, die das Leben verlieren, bevor sie es gelebt haben, die Entmutigten, die jeden kleinen Gewinn mit hohem Verlust bezahlen.  Die neue Intendanz überrascht mit hervorragenden Inszenierungen und Schauspielern – aber mit genau so lebenstraurigen Stücken wie vordem. A.C.

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