Munch und van Gogh – Der Schrei der Sonnenblume, OL
Eine Produktion der Ulrike Quade Company, Amsterdam und derJo Strömgren Kompani Oslo in Koproduktion mit Nordland Visual Theatre Stamsund und dem Staatstheater Oldenburg
Im Rahmen des Festivals “Go West”, 2014 – weitere Aufführungen am 14. und 15. März
Text :Marc Becker, Inszenierung Jo Strömgren, Puppen: Ulrike Quade/Maria Landgraf, Kostüme: Jacqueline Steijlen
mit: Cat Smits, Ulrike Quade, Nachrichtensprecher: Vincent Doddema
Die Albträume der Künstler
Das ist leider der Nachteil dieser Art von Gastspielen: zumeist sind organisatorisch nur wenige Vorstellungen möglich, und so kann eine Rezension – wie in diesem Fall – auch nur noch dazu auffordern, dieses Ensemble bei einem nächsten Auftritt unbedingt anzuschauen. Denn Figurentheater hat seinen ganz besonderen Reiz; es ist sozusagen die Basis aller Bühnenkunst, denn die sehr anspruchsvolle Ausbildung erfordert von den Spielern nicht nur darstellerisches Talent, sondern sie müssen ihren Thespiskarren, ihre Bühnendekoration und ihre lebensgroßen Puppen selbst konstruieren, kleiden, maskieren, und sie lebendig werden lassen.
Hier klingt die Story eigentlich einfach, hat aber ihre Tücken: Eine TV-Show will die beiden Maler, den Holländer Vincent van Gogh und den Norweger Edvard Munch, posthum zu ihrem Leben, zu ihrer Kunst befragen und hat dazu außerdem einen französischen Kunstsammler (auch ein historisches Relikt) eingeladen und einen Talkmaster, die dem nun folgenden Stress alle aber nicht gewachsen sind. Die verbindenden Worte zwischen den aus dem Ruder der TV-Regie laufenden Auftritten der furiosen und und undisziplinierten Künstler übernimmt am Bildschirm ein um Ernsthaftigkeit bemühter Sprecher – auch eine Puppe, die vollkommen synchron zu den Worten der Spielerinnen die Lippen bewegt (wie alle anderen übrigens auch), und die in der absurden Ernsthaftigkeit in einer völlig skurrilen Situation ein wenig an Loriots Figuren erinnert.
Die lebensgroßen Künstler-Puppen, die von Cat Smitts und Ulrike Quade sicher geführt und in bewunderswert diffferenzierten Tonlagen gesprochen werden, existieren in zweifacher Form: einmal als junge wilde Künstler, später als ältere, verbitterte Männer – Munch nun senil, aber als ewiger Schwerenöter durchaus noch am “Duft der Frauen” – hier den jungen TV-Assistentinnen – interessiert, van Gogh völlig durchgeknallt als Hund röchelnd, kriechend, mit unartikulierten, gurgelnden Lauten seinen erbarmungswürdigen Zustand des Wahnsinns decouvrierend. Das ist ohne Frage schwer zu spielen, zumal die großen Figuren durchaus ihren Eigensinn haben und beweisen wollen, wie sie sich einst als junge sozialistische Revolutionäre gebärdeten, Kritiker wie Sammler wüst beschimpften und den Mädchen nachliefen, Munch mit mehr Erfolg, van Gogh stets abgewiesen… Gemeinsam aber ist ihre Wut auf die heutige Vermarktung ihrer Kunst, die von den Kritikern seinerzeit verrissen wurde, von wenigen Liebhabern nur gewürdigt, von cleveren Kunsthändlern günstig aufgekauft, um später ein Vermögen damit zu gewinnen.
“Erst ein toter Künstler ist ein lukrativer Künstler” resümiert voller Bitterkreit der wieder auferstandene van Gogh. Wahrheit gebe es nicht, nur Wahn und Depression, die uns niederschlagen, findet der pessimistische Edvard Munch und weiter: “Kunst, die ehrlich ist, spricht für sich selbst” – und “Wir brauchen Inspiration, wir brauchen Bilder, die im Herzen explodieren wie eine Handgranate”! Künstler und Revolutionär verbindet das Licht der Sonnenblume und die Dunkelheit des Nordens. Die Nachwelt werde seine Bilder falsch interpretieren, befürchtet Munch. Das vielleicht nicht – aber sie macht sehr viel Schlimmeres: Der ansonsten eher unsympathische französische Kunstexperte Gottfried Hermann nämlich bringt die Malaise auf den Punkt: Kunst wird heute verramscht, die Bilder der großen Meister werden wie Picassos Sylvette auf Gebrauchsgegenstände des Alltags gepresst und ebenso vermarktet wie die Musik großer Komponisten, die banalen geschmacklosen Werbesports vorangestellt wird. Das ist der Gegenpol oder die Reaktion auf die exorbitant hohe Handelsspanne auf dem Kunstmarkt. Doch vielleicht wird der Schrei der Sonnenblume ja noch rechtzeitig vernommen, und ihre Schöpfer können ohne Albträume in ihren ewigen Schlaf zurücksinken. A.C.
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