Maria de Buenos Aires, HB

Operita in zwei Teilen von Astor Piazolla  – Textdichtung von Horacio Ferrer
In spanischer Sprachemit deutschen Übertiteln 
Uraufführung am 8. Mai 1968 in Buenos Aires
Theater am Goetheplatz, Bremen, 2015

Musikalische Leitung: Rolando Garza Rodriguez, Regie: Andreas Kriegenburg; Bühne: Harald Thor, Kostüme: Andrea Schraad, Choreographie: Zenta Haerter, Chor: Daniel Mayr, Alice Meregaglia, Dramaturgie: Isabelle Becker, Caroline Scheidegger, Licht: Christopher Moos
mit: Benno Ifland als El Duende (Der Geist), Annemaaike Bakker als María/La Sombra de María (Der schatten der Maria), Patrick Zielke als La Voz un Payador (Die Stimmeines Sängers) sowie Diebe, Marionetten, Psychoanalytiker, Hurenmütter, BremerTangotänzerinnen und die BRemer Philharmoniker mit Santiago Cimadevilla am Bandoneon

Poesie der Sehnsucht

Nach einem gefühlt endlos sich entwickelnden Vorspiel – Darsteller und Musiker bereiten sich auf ihren Auftrittl vor – schlägt diese rundum spannende Inszenierung alle in ihren suggestiven Bann; ein     leidenschaftliches Drama der Seelentiefe, verschlüsselt in surrealistische Poesie, die die Bilderwelten eines Salvadore Dalí widerspiegeln und eingehüllt in zärtlich weiche Tangorhythmen, die sich abwechseln mit der Härte und Brutalität der ewig Ausgestoßenen, abseits Lebenden und Hoffenden im Dunkeln der Großstädte. Doch jeder Ton, jede Welle, jede Körperbewegung der Protagonisten verrät mehr als die projiizierten Texte preiszugeben vermögen. Sie nachzulesen würde eine weitere Dimension offenbaren.

Im Mittelpunkt steht, singt, liebt, spielt die wunderbare Annemaaike Bakker, die mit ihren Talenten zu wuchern versteht. Als kleines, verhuschtes Mädchen wird sie vom Schicksal auf das Großstadtpflaster geschleudert, wo der El Duende sie zunächst noch vor den gierigen Wölfen der käuflichen Liebe beschützen kann. Doch nicht lange, dann mutiert sie zur selbstbewußten, schönen, gurrenden, surrenden Kabaretttänzerin, katzengleich lockend, hungrig liebend bis sie, rasch verblüht und verbraucht, geächtet, verstoßen und auch von Duende nicht mehr beschützt, ihrem Leben ein Ende setzt. Immer aber tanzen die Menschen leise Tango in niemals endenden Harmonien, seinen Melodien nachgebend –  schwebend, leicht, lockend, zärtlich, verheißend im Hintergrund. Die Welt tanzt weiter, und Duende, der Mann, der María nicht retten und nur hilflos lieben konnte, verzehrt sich nach dem verlorenen Glück. Patrick Zielcke als die singende Stimme El Duendes intoniert die Zärtlichkeit der Liebe, das Werben des Unglücklichen, das Verzweifeln des Trostlosen mit großer Behutsamkeit, um dann jäh jäh mit erschreckender Härte und dröhendem Donnergrollen die Brutalität des Lebens und den unsäglichen Schmerz des Leidens herauszubrüllen. Ein liebenswerter, unglücklicher, hilfloser großer Versager des Lebens. Anrührend .

Als erzählender Geist artikuliert Benno Ifland als arg lädierter und melancholischer Flaschen- Geist der Gosse messerscharf, dramatisch bezwingend und unerbittlich. Geister der Vergangenheit in weißen ausdruckslosen Masken und schwarzen Umhängen begleiten stumm seine Erinnerungen, während die Huren-Mütter als Marionetten von ihren Zuhältern an Bändern geführt werden und Santiago Cimatevilla seinem Bandoneon, begleitet von Streichern, Flöte und Schlagzeug, den Zauber ewig unbesiegbarer herztiefer Melodien entlockt. Natürlich ist das keine Oper, keine Operette, auch kein Musical – es sind 16 einzelne Bilder, die miteinander verschmelzen und im Tangotakt in verschachtelten Bildabfolgen eine Geschichte auf mehreren Ebenen erzählen. Dabei verbindet der Komponist die klassische Tanzmusik der Tangoclubs mit Elementen des Jazz und konzertanten europäischen Einflüssen, während Ferrer, der Librettist, in seiner Dichtung die Lyrik der Tango-Sehnsucht mit der grenzenlosen Phantasie des Surrealen verschmelzen läßt. Dabei entstehen grandiose Aufforderungen zum Träumen und Nachdenken, wie die  “Ballade für eine verrückte kleine Drehorgel” oder “Fuge und Mysterium” oder Toccata der Anklage” oder Brief an die Bäume und Kamine” und am Ende der “Tangus Dei”. Überdies schwebt noch ein weiterer Geist über dieser Inszenierung, die verrät, das der aus Magdeburg stammende Regisseur als leidenschaftlicher Theatermacher sein Handwerk auch bei Bert Brecht studiert hat!

Beinahe nahtlos fügt sich der sogenannte zweite Teil an die Todesfuge dieses ebenso lieblichen wie leiderlichen, sich hungrig wie schamlos der Liebe hingebenden Mariá, die als ahnungsloses Mädchen in den Dschungel der Unterwelt gerät und die trotz des sie liebenden väterlichen Freundes zuletzt ein Opfer der Süchte und unerfüllten Träume wird. Als Schatten ersteht sie wieder auf, als Unbesiegbare, ewig Geliebte, nie Erreichbare und doch von allen Geächtete. Sie wird wiedergeboren als sie selbst, als Frau, als Gebärende, Lebenerhaltende. Jesus ist ein Mädchen, eine Frau, die ewige mater dolorosa.
Wenn das keine religiöse Metapher ist, dann hat der Regisseur sich selbst nicht getraut. Denn er will, wie er sagt, vor allem in das Wesen dieser Musik eindringen, das ewig Suchende, sich Wiederholende, nie versiegende Begehren nach etwas, das weder zu halten noch zu bestimmen ist, in seiner Vitalität aufzeigen. Und dabei gelingt ihm doch zuletzt ein tiefes, emotionales, hoffnungsschimmendes Spiel um die ewige Sehnsucht des Menschen nach dem verlorenen Paradies. A.C.

 

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