Siroe, Re Di Persia, OL

von Johann Adolph Hasse
Opera seria in drei Akten  –
Libretto von Pietro Metastasio – Uraufführung der zweiten Fassung am 3. August 1763 inn Dresden
Oldenburger Erstaufführung, Oldenburgisches Staatstheater 2018
Eine Koproduktion mit der Nederlandse Reisopera
Musikalische Leitung Thomas Bönisch, Oldenburgisches Staatsorchester, Statisterie des Oldenburgischen Staatstheaters, Inszenierung Jakob Peters-Messer, Bühne und Kostüme Markus Meyer, Dramaturgie Christina Schmidt, Valeska Stern, Annabelle Köhler, Licht und Video Guido Petzold
mit: Philipp Kapeller als Cosroe, Nicholas Tamagna als Siroe, Yulia Sokolik als Medarse, Hargar Sharvit als Emira, Sooyeon Lee als Laodice, Martyna Cymerman als Arasse
Continuo-Gruppe: Fabian Boreck -Violoncello, Andreas Nachtsheim- Theorbe, Gerd Amelung- Cembalo

 Die schöne Scheinwelt der Amüsiergesellschaft

Beinahe drei Stunden vergehen wie im Fluge, besser wie im Rausch – was man ja nicht von jeder Barockoper sagen kann, zumal sie seit einigen Jahrhunderten nicht mehr als Unterhaltungspektakel bei Wein, Weib und allerlei Lustbarkeiten dargeboten wird. Denn das bedeutete sie einst in der Hochzeit ihrer Blüte: eine nicht endenwollende bunt-grelle Verhöhnung der höfischen Gesellschaft, die sich darob köstlich amüsierte, auch wenn sie sich selbst zum Affen machte! Denn Liebesglück und Leid, Intrigen, Machtkämpfe, Eitelkeit – das alles kannte man nur zu gut, und wenn sich ein Herrscher gar zu milde oder zu grausam, ein Liebender zu tolpatschig, ein Intrigant zu bösartig gerierte, dann mischte das feine Publikum mächtig mit, verteilte Gunst und Gabe je nach Sympathie, und den Darstellern wurden darob sehr unterschiedliche Ovationen zuteil. Das Orchester spielte sichtbar auf gleicher Bühnenebene, und den Darstellern war keinerlei Begrenzung ihrer gesanglichen und mimischen Kunst auferlegt. Ihr Wetteifern um die Gunst ihrer Gönner bestimmte die Intensität und Ästhetik ihrer schauspielerischen und gesanglichen Capriolen. Im Gegensatz zur Opera seria, wo den unglücklich Liebenden ein trauriges Ende bestimmt war, freute man sich in der noch stark dem musikalischen Lustspiel verhafteteten opera buffa auf ein glückliches Ende – möglichst sollten alle Beteiligten froh und glücklich in ihr Bett oder zu ihren Regierunggeschäften zurückkehren.

Die Musik schwelgte in höchsten und schönsten Tönen, in immer wieder erneut sich in unglaubliche Höhen aufschwingenden Arien und langen Rezitativen, jede und jeder der Sänger erhielten ihre Chance, sich in glanzvoll zu präsentieren – und wehe, der Komponist hatte sie nicht alle gleich bedacht…

Am Oldenburgischen Staatstheater hat man sich in einer glücklichen Stunde auf diese schöne Scheinwelt besonnen und hegt und pflegt nun alte, beinahe vergessene Barockopern, um sie in  entzückende Inszenierungen mit zeitgemäßen Anspielungen zu verwandeln, mit ausgesuchten virtuosen Stimmvolumina, kombiniert mit orchestraler Eleganz und Feinsinnigkeit und phantasiefreudiger  Bühnengestaltung. Der Lächerlichkeit des Sujets gibt man mit feinem Spott in Kostümierung und Maske Ausdruck, und vor Ermündungserscheinungen hat man eine Pause gesetzt sowie die Übertragung der Spielfreude auf das Publikum.

In einer einfallsreichen Inszenierung präsentiert sich in dieser Saison die im persischen Königreich angesiedelte Oper “Siroe” von Johann Adolph Hasse, uraufgeführt am 3. August 1763 in Dresden, wo Hasse mit seiner Frau, der Sängerin Faustina Bordoni 30 Jahre lang am sächischen Hof für die Unterhaltung des Adels komponierte. In dieser Oper geht es um einen Konflikt, der aus der Historie des alten Perserreiches entlehnt und dem Zeitgeist entsprechend verändert wurde: Zwei Söhne möchten den Vater beerben, der den jüngeren der beiden aber bevorzugt, weil der ältere unverzeihlichweise die Tochter des Feindes, Emira, liebt. Diese hat sich unerkannt als Mann verkleidet in das Vertrauen des Perserkönigs Cosroe eingeschlichen und dem Geliebten Siroe jegliche Annäherung verwehrt bis sie ihre tödliche Rache ausgeführt hat. Da Siroe, obwohl als ältesterSohn nicht in der Erbfolge bedacht, den Mord am Vater aus Gründen der Familienehre und Sohnestreue unbedingt verhüten muss, entsteht ein weiterer Konflikt zwischen Liebe und Loyalität. Im Übrigen liebt die Geliebte des Königs, Laodice, den in Ungnade gefallenen Sohn, der sie von sich weist und damit ihren Stolz verletzt und ihre Rache herausfordert. Auch nicht gut. Alle wollen etwas, der eine den Thron, der andere die Geliebte, die Geliebte Rache, der andere den Tod des Rivalen – ein dramatisches Durcheinander, das ausreichend Turbulenzen auf der Bühne und auch in den Herzen der Zuschauer garantiert..

Da es keine tiefen Männerstimmen in der Barockoper gibt, spielt sich alles in scheinbar leichten, spielerisch eleganten Höhenflügen ab. Nicholas Tampagna ist ein ausdauernder Counter, der in seiner zaghaften Unentschlossenheit immer wieder in neue Bedrängnis und falschen Verdacht gerät, während sein Bruder Medarse den Vater mit falscher Schmeichelei betört, was der rankenschlanken Yulia Sokolik stimmlich wie darstellerisch überzeugend gelingt. Sie umgarnt den behäbigen Vater, der mit Philipp Kapeller eigentlich eher behäbig und umgänglich erscheint und der im Grunde der vertrackten Konflikte ziemlich überdrüssig ist. Nun verliert er auch noch seine Geliebte, der Sooyeon Lee zu ihrem schönen Sopran auch noch die Exotik des Fremdartigen verleiht sowie die Wut der Gedemütigten, deren Liebe glattweg abgewiesen wird.

Da die Damen und Herren einander in sich wiederholenden, variierenden Arien unentwegt ihre Emotionen und Affekte mitteilen, oftmals virtuos verschnörkelt und stechend scharf wie eine sich aufwärts windende Kletterrose, verselbständigt sich ihr Anliegen, ohne des Gegenübers zu bedenken, oftmals zu einem beflügelten selbstverliebten Klangspiel. Ein Spiel, das allerdings zuweilen auch in schmerzliche Untiefen versinken kann, wenn der arme Siroe zum Beispiel zwischen Liebe und Familienehre verzweifelt, und die Geliebte gar so raubeinig und kompromisslos auf ihrer mörderischen Revanche besteht. Nicht ohne Grund reitet Hagar Sharvit auf der zweiten Ebene auf einem Raketenkopf über den Schlossrasen und landet mit einem Phantasiemobil in der neuen Wirklichkeit.

Denn um das Spiel nicht allzu idyllisch in die scheinschöne-Schäferwelt abgleiten zu lassen, hat diese Inszenierung sich mit Hilfe der Videokunst ein schrecklich realistisches Hintergrundbild ausgedacht, mit einstürzenden Häusern, Rauchschwaden von zerstörerischen Bomben, Kriegsrelikten und Flugkörpern, die – nur von einem Gazevorhang getrennt -, die die Rückwand im Wechsel mit der prächtigen Schlosshalle dominieren. Eine unangenehme Beeinträchtigung, die  man gerade mehr oder minder betroffen von den Verheerungen des siebenjährigen Krieges zu kompensieren versuchte indem man sich wieder der gesellschaftlichem Selbstinszenierung widmete. Natürlich gab es da keine Wohnblöcke, die in ihre Bestandteile zerfielen, keine atemraubenden Staubschwaden und tödliche Rauchwolken, keine Bedrohung durch jäh vom Himmel fallenden Bomben, aber in dieser absurden Gegenüberstellung soll die heutige Welt mit ihren scheinbar fernen Kriegen und einer überschwellenden Konsumsucht transparent gemacht werden.

Damit  ist also dafür gesorgt, dass alles Geschehen im Zwielicht bleibt – die Bedrohung durch die Realität ist so präsent ist wie das temperamentvolle Bühnenspiel um Liebe, Verrat und Tod. A.C.

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