Das goldene Vlies

nach Franz Grillparzer
Deutsches Theater

Regie: David Bösch, Bühne: Patrick Bannwart, Kostüme: Falko Herold, Musik: Karsten Riedel;
Dramaturgie: John van Düffel
mit: Andreas Döhler, Claudia Eisinger, Sven Lehmann, Tino Mewes, Stephan Johannes Richter, Katrin Wichmann, Musik: Karsten Riedel

 

Erniedrigt und Beleidigt

Es gibt Schauspieler, die können sprechen, es gibt Schauspieler, die können spielen, und hin und wieder trifft man auch auf Schauspieler, die können beides.

Man sollte also nicht enttäuscht sein, wenn man zunehmend an unseren Theatern junge Frauen und Männer hört, die ihre Texte gut auswendig gelernt haben, aber eigentlich gar nicht so recht verinnerlichen, was sie da sagen und daher auch vorwiegend hilflos herumstehen, dann und wann ein bisschen schreien oder auch weinen, denn das gelingt bereits im ersten Jahr Schauspielschule, doch ansonsten sieht man, wie einsam sie sich auf diesen leeren schwarzen Bühnen bewegen, wo sie nicht recht wissen, was sie wie und warum spielen sollen, obwohl ihnen der Regisseur das doch sicher gesagt hat. Und um sie herum lauter Mitspieler, die auch irgendetwas sprechen, was sie nicht begreifen, mal schreien und toben, zertrümmern und umkosen, dann wieder gefährlich leise ihre Bösartigkeit kundtun oder einfach nicht wissen, was sie tun.
Jason weiß es nicht und Medea auch nicht, und am wenigsten weiß es diesmal der Regisseur, der wohl die Chance erhalten sollte, einmal zu zeigen, was in ihm und vor allem in der gestrafften Bearbeitung eines großen mythologischen Stoffes steckt, den Franz Grillparzer seiner Zeit gemäß in einen der Antike angelehnten Tragödienstil versetzte.

Medea, die Betrogene, die Verlassene, die Schuldige, vor allem aber die aufopfernd Liebende hilft zunächst dem Helden (ihrem “Gott”) Jason, das Goldene Vlies bei ihrem Vater Aietes auf Kolchos zu stehlen, dabei stirbt der Bruder Absyrtus, der als Geisel mit auf die schnelle Flucht geschleppt und recht unsanft behandelt wird, der Vater verflucht noch die Tochter, bevor er sich das Leben nimmt, und Jason flüchtet zu seinem kranken Oheim, den auf sein Gebot Medea heilen oder auch nicht heilen soll. Jedenfalls stirbt der Mann nun auch, und die Sippe verfolgt Jason aufs Neue, bis der sich samt Frau und zwei kleinen Söhnen zu Kreon flüchten kann, König auf Knossos und einst Jasons Ziehvater. Kreon ist hell erfreut über Jasons Ankunft, mehr aber noch über den Schatz, den er mit sich bringt. Für Medea, die unheimliche Zauberin und Barbarin, hat er nicht viel übrig, und er besteht darauf, sie fortzujagen, damit Jason seine eigene Tochter zur Frau nehmen kann. Die Ehe mit einer Fremden nämlich wäre dann null und nichtig. Die Kinder bleiben selbstredend bei Jason. Von den Argonauten, den Gefährten Jasons, ist ohnehin nicht mehr die Rede, obschon man wohl gerne wüsste, was aus ihnen geworden sind, die so viele gefährliche Abenteuer mit ihrem Kapitän erlebten, bevor sie das Goldene Vlies fanden.

Wie wird eine Frau, zumal aus der Antike, wo alles die Götter vorherbestimmen und der Mensch immer ihr Erfüllungsgehilfe und zugleich das Opfer ist, mit solchen Demütigungen fertig? Wir wissen es aus vielen Texten, Opern, Schauspielen: sie, die einst schöne, verführerische, mächtige Erbin eines Reiches, verliert den Verstand und wird zur wahnsinnigen Mörderin. Sie tötet die Kinder, um sich an der Treulosigkeit ihres Mannes zu rächen, sie vernichtet die Nebenbuhlerin und sich selbst. Ein Trauerspiel ohnegleichen, wie es eben nur die Antike hervorbringen konnte. Und heute? Gäbe es da vielleicht irgendeinen Bezug? Eigentlich schon, denn dass eine Frau um einer anderen willen verstoßen wird, man ihr die Kinder nimmt und sie sozusagen in die Gosse wirft, ist, wenn auch nicht mehr in unseren überwiegend christlich-zivilisierten Gesellschaften gemeinhin üblich, aber in vielen anderen Kulturen denkbar. Die Reaktion? Die täglichen Meldungen in den Medien erzählen uns noch von ganz anderen Dingen: Tote Kinder in Mülltonnen, ermordete Babys irgendwo verscharrt, psychopathische Eltern, die nicht wissen, was sie tun.

Aber die Inszenierung von David Bösch zeigt weder dieses noch jenes; sie dümpelt wie in einer Flaute durch die aufregende Geschichte; Mit Hilfe eines Rockmusikers (der am meisten Applaus erhält – so tief ist das Publikum getroffen und das Niveau der Inszenierung gesunken!), der zu Beginn irgendetwas verspricht, was dann doch nicht gehalten wird, denn er bleibt fürderhin, nun blutverschmiert als ermordeter Bruder Medeas im Dunkel des Hintergrunds. Ein anderer Erzähler, der dramatisch eindrucksvoll den Hergang des Epos aufsagt, aber dann jäh hilflos mit den Armen schlackert, als Kreon und Jason ihn bei seinen Flüchen ertappen, wirft beim Zuschauer die Frage auf: Was soll dieser Mann im Straßenanzug mit wirren Haaren? Ist er ein Priester, ein Wahrsager oder einfach nur ein Lückenfüller?

Und die blasse Katrin Wichmann als Medea, die nicht fassen kann, was man ihr da plötzlich zumutet, dass Jason sie verstoßen will, ihr die Kinder fortnehmen, dass sie erniedrigt und fortgejagt wird wie ein räudiger Hund, sieht ihr auswegloses Schicksal vor sich, die Erfüllung eines frühen Fluches: ohne Heimat, ohne Familie, ohne Menschen, die ihr zur Seite stehen. Das ist eine verflixt schwere Rolle – sie muss sich dem Unfassbaren stellen, das sie aus dem Nichts überfällt, sie muss in eine tiefe Verzweiflung sinken, kämpfen mit letzter Kraft und allen Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen, und das sind nicht sehr viele, zumal Jason sie infam bezichtigt, an dem Tod aller Menschen und damit an Fluch und Flucht allein die Schuld zu tragen – und schließlich muss sie zeigen, wie ihr Leid sie innerlich zerreißt und sie zur rasenden Furie wird -und,  nun wirklich schuldig-unschuldig nicht mehr im Besitz ihrer Sinne ist! Diese Schauspielerin muss eine Wandlung vollziehen, die sie zerreißt, damit wir ein unfassbares Schicksal, den Verlust ihrer großen Liebe, ihrer Familie, ihrer Kinder miterleiden!
Aber das blasse Mädchen im dünnen Unterkleid kann diese Größe der Tragödin noch nicht aufbringen. Zumal sie an ihrem Partner auch nicht wachsen kann, der sich mit Alexander Khuon in schlaffen Argumenten und ebensolcher Kleidung und Körperhaltung erschöpft. Ihm fällt es sichtlich schwer, sich zwischen sicherer Heimstatt (bei Kreon) nebst neuer Gattin (Katrin Wichmann als Jugendgespielin unbeholfen im Kleinmädchenlook) und der ihn doch noch verzaubernden Medea endgültig zu entscheiden. Und, um seine Gefühle deutlich zu machen, schleudert er wütend abwechselnd weiße Gartenstühle und Medea auf den Boden, um sich dann doch wieder mit ihr liebevoll zu vereinen.

Das geht nun ein Weilchen hin und her, bis Sven Lehmann als Kreon im geschniegelten Anzug erscheint und Jason den Kopf zurechtrückt, listig blinzelnd und mit mimischer Eindeutigkeit die Boshaftigkeit im Nacken: denn er weiß, nur mit Jason erhält er das Goldene Vlies. Aber die Frau dazu kann er nicht brauchen. Die Fremdenfeindlichkeit seines Volkes kommt ihm dabei gerade recht. Die Bedenken Jasons weiß er mit geschickten Argumenten zu zerstreuen, und auch Jason findet eifrig Entschuldigungen, die beim internationalen Gerichtshof in Den Haag die Schwerstverbrecher unserer Zeit ziemlich gut entlasten könnten: Nicht der Gedanke wird bestraft, allein die Tat. Aber war es doch Jason, der sich ausdachte, Medeas Vater zu täuschen, das Vlies zu rauben, Onkel und Bruder aus dem Weg zu räumen, während er sich dabei auf Medeas Zauberkünste verließ.

Auf der weiten Bühne dreht sich vieldeutig ein Trümmerfeld modernen Hausrats, und vom Himmel herab blinken Lampen wie Glühwürmchen oder Sterne. Aber sie erleuchten diese Inszenierung nicht. A.C.

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