Ein Inspektor kommt

Sozialdrama uraufgeführt 1946 in London – deutsch von Michael Raab
Renaissance Theater

 Regie: Antoine Uitedehaag; Bühne: Tom Schenk; Kostüme: Erika Landertinger; Musikalische Leitung: Harry Ermer
mit: Judy Winter, Vadim Glowna, Guntbert Warns, Nadine Schori, Urs Fabian Winiger, Grégoire Gros

 
Er wird immer wiederkommen

Besonders für Erstbesucher dieser scheinbar so leicht und locker daherkommenden Familientragödie, die seit ihrer Uraufführung nichts an Tiefgang und Aktualität eingebüßt hat, ist diese bittere Gesellschaftsanalyse eine spannende Sache. Und je weiter die Befragung dieses allwissenden Inspektors fortschreitet, der jäh mitten in die Verlobungsparty der beiden Junioren vermögender Familien hineinplatzt, desto unheimlicher, spannender und erschütternder sind die Abgründe, die sich vor ihnen und uns auftun.

Nun ist der Regisseur offensichtlich der Ansicht, dass so ein altes Stück dringend moderner Aufpeppung bedürfe, um auch die Naivsten darauf aufmerksam zu machen, dass der gute Mensch von Sezuan erst noch geboren werden muss, dass der Mensch, vor allem aber der Reiche, der Kapitalist, von Grund auf schlecht sei und es daher zwischen den Szenen doch einiger Moritaten bedürfe, die vom Inspektor (Vadim Glowna) mit der E-Gitarre und dem hervorragenden Pianisten Harry Ermer ins Publikum gegrollt werden; Glowna verfügt über ein eindrucksvolles rauhes Timbre, mit dem er seine aggressive Kritik an den Gut- wie an den Schlechtmenschen musikalisch in düsteren Farben zu malen versteht. Ob dieser Effekt die Spannung der Handlung aufnimmt und den Faden hält oder ob diese letztlich nicht doch immer wieder durch diese Zwischenspiele gestört wird, mag der Besucher selbst entscheiden. Ich fand die Songs ebenso überflüssig wie störend, andere Besucher sahen in ihnen jedoch durchaus eine Bereicherung.

Dies aber war im Ensemble ganz ohne Frage wieder einmal Frau Winter, die sich glücklicherweise ihre Marlene-Allüren weitgehend abgeschminkt hat und sich nun mit voller dramatischer Präsenz als hochmütige, hartherzige und uneinsichtige Ehefrau des Firmenchefs Arthur Birling outen konnte. Auch äußerlich ist sie ganz die vermögende Geldgattin, in einem weich fließenden, eleganten Outfit, das mit ihrer unnachgiebigen Borniertheit bestens kontrastiert. Ihre Tochter hält mit Nadine Schori eigentlich das Hauptlos in Sachen Sympathie in den Händen, doch verspielt sie es gemeinsam mit der Kostümfachfrau, die sie in ein kurzes, immens hässliches grünliches Fähnchen steckt, in dem sie irgendwie hilflos den ganzen Abend lang über die kahle Bühne stakt. Mit ihrer zarten Stimme kann sie neben der überaus präsenten Winter-Mutter und den selbstherrlichen Macht- und Machotypen nicht durchsetzen. Dabei ist sie die einzige, die wirklich erfasst, was sich da in ihrer aller Leben abgespielt hat, welche Niederträchtigkeiten, Unachtsamkeiten, welche Arroganz und Geldgier sie alle für das Leben einer jungen Frau verantwortlich sein lässt, die sich jetzt auf grausame Art das Leben nahm….

 Denn nach und nach deckt der seltsame Inspektor auf, was sie alle in der jüngsten Vergangenheit mit dem Tod einer schönen jungen Frau verband und was sie für ihren Tod verantwortlich sein lässt. Der smarte Bräutigam des Geschäftspartners  – nun samt Braut auf der Erfolgschiene eines Großunternehmens-  mischt die Karten im grausamen Schicksalsspiel ebenso wie der Schwiegervater, dessen Frau und der künftige Schwager, ein haltloser, verwirrter, tief depressiver junger Mann, dessen alkoholisches Problem keiner wahrhaben will. Für dessen “Beichte” wagt der Regisseur endlich einen modernen gestalterischen Kunstgriff, indem er das schamhaft abgewandte Gesicht des Mannes per Video auf der Großleinwand wiedergibt und damit seinen Seelenzustand offen legt.

Ein psychologisches Spiel mit allerlei Finessen und Finten, wie nur ein Meister dieses Genre es schreiben kann – und inszenieren sollte. Aber in dieser wenig phantasievollen Darbietung treibt es doch im Grunde genommen auf der kahlen Bühne mehr plätschernd dahin, ohne allzu große Spannung und Gemütsbewegung auszulösen. Dass diese schreckliche Familie uneinsichtig bleibt bis der Schock sie -endlich -trifft, und die bürgerliche Speisetafel sich in ein imaginäres Grabmal verwandelt, ist glücklicherweise dann ja die fantastische Pointe, mit der die Regie dem Stück gerecht wird. A.C.

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