Fritz

von Uwe Wilhelm
Hans Otto Theater Potsdam
Regie: Tobias Wellemeyer, Bühne: Alexander Wolf, Kostüme: Ines Burisch, Musik: Gundolf Nandico, Video: Marc Eisenschink, Choreographie: Marita Erxleben, Dramaturgie: Remsi Al Khalisi u.w.

 

Über die Schizophrenie des Despotismus

Ein zarter Knabe, sensibel, vielleicht auch ein bisschen schwächlich. Zur Abhärtung beordert ihn der Vater in die Kadettenanstalt, die ihn Mut, Ausdauer, Tapferkeit lehren sollten. Das probten Fritz und seine Geschwister allerdings Tag für Tag, oft bei Wasser und Brot, bei nie gestilltem Hunger, stattdessen verbalen wie körperlichen Züchtigungen im Familienzwinger. Eine Mutter als politische Intrigantin, die beim Vater anschwärzte. Der Vater gnadenlos gegen Schwäche, obwohl auch er, von Zeit zu Zeit, weinte. Man weinte häufig und züchtigte ebenso gern. So schrieb es Friedrichs Schwester Wilhelmine, die ihm treu zur Seite stand, spätere Markgräfin von Bayreuth, in ihr Tagebuch. Friedrich, intelligent und begabt, mußte allein schon dieser den Vater demütigenden geistigen Überlegenheit wegen mehr Kränkungen ertragen als es ein Kind auszuhalten vermochte. Es war ebenso nur folgerichtig, dass er, vor Zorn und Erschöpfung realitätsblind, mit seinem Freund Klatte die Flucht plante. Oder war es umgekehrt. Egal, beide waren des Drills überdrüssig; Der despotische König verfinsterte ihr Leben, ihre Zukunft, ließ Schöngeist und Bildung mit Brutalität austreiben. Die Flucht misslang, wie bekannt, und Freund Klatte mußte sterben, Friedrich der Hinrichtung zusehen. Das brach ihn vermutlich vollends. Fortan eine zweigespaltene Persönlichkeit, vom Vater zerbrochen, von den Kurtisanen des leichtlebigen sächsischen Hofes der Mannbarkeit beraubt, ein menschliches Wrack, würde man heutzutage sagen.

Was wird aus so einem Jüngling, wenn er König sein muß? Preußen verdankt verwaltungstechnische, agrarwirtschaftliche und diverse kulturelle Errungenschaften diesem Mann. Aber auch zigtausend Tote, Friedrich wusste um den Preis, den er für die Ausdehnung und Lebensverbesserung des armen Preußens bezahlen mußte: das Blut seiner Männer, die Verzweiflung ihrer Familien, den Zorn des Volkes, das zu seiner ersten großen Auswanderung nach Amerika aufbrach, bevor das umgeleitete Oderwasser eine große Anzahl der Menschen erwerbslos machte. Fehlkalkulation des “großen” Friedrich. 

Was unser Interesse an ihm ausmacht, ist unser Mitleid für einen jungen Menschen in einer Horrorwelt, ist unsere Fassungslosigkeit über Angriffskriege, die zwar schlesische Bergwerke und hohe Gewinne einbrachten, zugleich aber weiter armselige Arbeiter, deren Lohn nicht ausreichte, um ihre Familien zu ernähren.

Friedrich, zerrissen, vielleicht auch mit der Aufgabe eines Regenten überfordert, hart gegen sich selbst, gegen sein Land, gegen den zwar dicklichen, aber geistig schwächlichen Neffen als unzumutbarem Thronfolger, den er um ein mehrfaches straft als er es selbst mit des Freundes Tod hatte erleiden müssen. Schließlich: ein alter Mann, gebeugt, gehärtet, den Kummer kompensierend mit Musik, Literatur, inszenierter Bau- und Gartenkunst in einem langen Leben ohne Lachen. Ein Rudel Hunde zur Seite, ein französischer Philosoph, dann und wann ein paar junge Freunde. Trostlos, wenn man die Jahre in der Verbannung – nach dem missglückten Fluchtversuch -, in Rheinsberg außer Acht lässt. Das soll eine schöne, gute Zeit gewesen sein, fern der Argusaugen des Hofes.

Der Mann und dessen Geschichte, die ein opportunistischer Biograph zum 70. Geburtstag Friedrichs als Oper ausgestalten soll, stehen nun auf der Bühne des Hans Otto Theaters, ebenso als Auftragsarbeit, doch hier und anno 2012 zum Preußenjahr. Vielleicht sogar der beste Beitrag, obwohl die lebhaft-bunte Inszenierung Schwächen zeigt und auch das dramatische Konzept des Autors den aufklärerischen Ansprüchen, wie sie im Programm dargestellt werden, nicht gerecht wird, zu viel Längen und Peinlichkeiten um die albernen erotischen Spiele des debilen Neffen, viel Kostümpathos, historische Schnitzer und nur Andeutungen, wo man ein intensiveres psychologisches Ausleuchten der Geschichte erwartet hätte.

Und dennoch eine großartige Aufführung – dank Rita Feldmeier, einer Frau, die noch gelernt hat, wie man auf der Bühne sprechen, singen, sich bewegen muss, wie man Akzente setzt, leise wird und knarzend unangenehm; wie man geübt hat, sich zu verstecken  und doch noch hin und wieder einen menschlichen Ausbruch gestattet; wie man die Last des Lebens auf dem gebeugten Rücken trägt und wie man sich, immer noch, aufbäumen und wehren kann, gegen Blödheit, Unverstand und Verrat. Eine glückliche, eine konsequente Besetzung, die die Ambivalenz Friedrichs zeigt: die weiche, musische, mädchenhafte Veranlagung und die psychische Verformung durch erbarmungslosen Drill und Disziplinierung eines schizoiden Despotismus.  A.C.

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