Buddenbrooks, OL

nach dem Roman von Thomas Mann
Staatstheater Oldenburg, 2015

Bearbeitung von John von Düffel; Regie: Peter Hailer, Bühne: Dirk Becker, Kostüme: Britta Leonhardt, Licht: Steff Flächsenhaar, Dramaturgie: Jonas Hennicke,
mit: Thomas Lichtenstein: Konsul, Konsulin: Caroline Nagel, Thomas: Jens Ochlast, Christian: Leander Lichti, Toni: Franziska Werner, Gerda: Agnes Kammerer, Grünlich: Maximilian Pekrul, Kesselmeyer: Matthias Kleinert, Permaneder: Thomas Birklein, Morton, Leutnant: Frédéric Brossier

Vom Untergang einer Kaufmannsfamilie

Ein hanseatischer Kaufmann kämpft um den Erhalte und die Vermehrung seines Wohlstands, um seine Reputation als Senator wie um die von beiden Kriterien abhängige Familienehre. Dabei klammert er sich in stürmischen Zeiten an die Gebote seiner Tradition und seines Standes, die allerdings reißbar sind wie mürbe Schiffstaue im Orkan und  keinerlei Garantie mehr auf Sicherheit geben. Die Gesetze der Zeit sind ehern wie die der Gezeiten. Schicksal und Schiff werden sich stets im Auf und ab der Strömungen bewegen.

Johann Budenbrook ist ein Mann, der Solidität, festen Bürgersinn und unbeugsam kaufmännische wie familiäre Prinzipien vertritt, dabei durchaus verständnisvoll und gütig. Er hat das von seinem Vater aufgebaute Handelsimperium in der Hansestadt übernommen, wie auch die politische Verantwortung als Konsul. Allerdings werden bereits leichte Blessuren in der bislang selbstverständlichen Wohlstandsgeborgenheit sichtbar – für den Zuschauer demonstrativ im symbolisch unbarmherzig leeren Bühnenarrangement: Nur noch wenig herrschaftliches Mobilar kündet vom einstigen prachtvollen Ambiente im nun verlassenen Salon, auf dessen Glanz noch nur ein spärlich beleuchteter Lüster im dunklen rückwärtigen Raum hinweist. Die Affinität zu Tschechows großbürgerlichen Untergangsdramen ist in dieser dramatischen Bühnenversion des großen Familienepos, das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts angelegt ist, deutlich spürbar.

So wie die äußerliche Pracht sichtbar bröckelt, so droht auch schon der geschäftliche Rückgang, denn einige Geschäftsparnter haben bereits Involvenz angemeldet, und die engste, erfolgreiche Konkurrenz sitzt für die Buddenbrooks gleich nebenan… Für die Familie selbstverständlich, das man sich absichert; scheinbar gutherzig und jovial, indem man die Tochter an einen wohlhabenden Hamburger verkauft. Das geschieht per Handschlag, wie auf den ländlichen Viehmärkten, ein bißchen wird noch gefeilscht, das gehört dazu, dann ist die Sache perfekt: die zarte, dünnhäutige Antonie und eine beträchtliche Mitgift wechseln den Besitzer. Kapital kommt zu Kapital, die Absicherung des Vermögens wie des Ansehens scheint perfekt. Dabei setzt Thomas Lichtenstein – als weltgewandter Konsul beindruckend – durchaus sympathische Akzente, und Franziska Werner zittert auch nur noch ein bißchen in ihrem dünnen Seidenkleidchen – wie ein nach letzter Luft schnappender Fisch an der Angel – und gehorcht als brave Tochter, trotz Tränen und allem Herzweh, den ernsten Ausführungen ihres Herrn Papa. Denn in der kurzen Erholungspause am Meer, die man ihr scheinbar wohlwollend ließ, um ihre Entscheidung zugunsten der Familie zu treffen, hat sie sich in einen fröhlichen jungen Medizinstudenten verliebt. Aus und vorbei. Jetzt muß sie den ihr unsympathischen Grünlich heiraten, der von Maximilian Prekul genau so farblos und zwiespältig gespielt wird, wie man sich einen unangenehmen Mitgiftjäger vorstellt. Später wird Antonie ihr einziges Kind genauso hassen wie den bankrotten Ehemann, der ihr Jugend, Schönheit und Hofhaltung stahl bis sie – nach einer neuen gescheiterter Verbindung mit einem lebenslustigen bayrischen Hopfenhändler – in die Härte verfällt, die einer Buddenbrook als Letztes in der  Hoffnungslosigkeit bleibt.

Da ist natürlich auch noch die Frau Konsul Buddenbrook: Caroline Nagel läßt alle Emotionen an sich abgleiten; Steif und unnachgiebig versucht sie in worthülsenartigen Plattitüden ihre hilflos verzweifelte Tochter von der Notwendigkeit dieser Heirat überzeugen. Ihre Kinder kompensieren Kühle und Lieblosigkeit der Mutter später mit Stolz und Starrsinn.
In der Inszenierung überträgt sich die fröstelnde Atmosphäre spannungsgeladen im Fortschreiten des imperialen Untergangs dieser Familie. Die Entwicklung wird in großen Sprüngen vorangetrieben, schließlich will das Jahrhundertwerk des 26jährigen Thomas Mann, der in dem 1901 erschienenen Meisterwerk Anleihen an die eigene Familiengeschichte machte, in gut drei Stunden über die Bühne gehen. Beinahe geisterhaft, weder greifbar noch be-greifbar bleibt für den Zuschauer, der ja bereits alles im Voraus weiß oder doch ahnen kann, wie blind diese bemitleidenswerten Menschen ihrem tragisch endenden Weg folgen müssen, weil sie unfähig sind, sich aus den alten Strukturen, dem Gefängnis ihrer puritanischen Erziehung und den bürgerlichen Regeln und Zwängen, zu befreien.

 Einzig der Sohn Christian (Leander Lichti) bricht aus der geschlossenen Phalanx der Leistungs- und Vermögensorientierten Familie aus, nicht weil er besonders mutig oder intelligent, sondern weil er krank und schwach ist. Er wird zwar finanziell notdürftig gestützt, weil ein so schwaches Glied die feste Kette zersprengen würde, aber er wird gedemütigt und moralisch mit verbalen Speerspitzen immer wieder entmutigt. Diese Rolle ist auf der Bühne genauso wenig beneidenswert wie im wirklichen Leben. Als sich am Ende der Konflikt mit dem beinharten, phantasielosen, seelisch blutarmen Bruder Thomas zuspitzt, der die Nachfolge des alten Konsuls angetreten hat und sich dem unausweichlichen Untergang des Unternehmens gegenübersieht, wird das in einer emotionalen Brutalität vorgeführt, die einem klasssischen Bruderkonflikt in Nichts nachsteht. Und Jens Ochlast als Thomas darf kurzfristig Erschütterung zeigen, wie es unter der niemals mehr schmelzenden Eisschicht seiner längst abgestorbenen innersten Wünsche und Gedanken aussieht, wie ein anderes Leben hätte aussehen können… Da das aber nicht sein darf, vernichtet er mit Donner und Blitz die letzte aufrecht erhaltene Würde des labilen und hypochondrischen Christian, der einen letzten Triumpf ausspielt: Er wird die Frau heiraten, die ein Kind von ihm und zwei weitere von anderen Männern hat, die als Geächtete der feinen Gesellschaft nicht einmal namentlich erwähnt werden darf.

So ist letztlich für alle alles verloren, Geld, Reputation, Liebe, Freundschaft, Fortbestand der Familie – die Bühne bleibt leer wie sie von Anbeginn an das Ende vorzeichnete, der kahle Raum aber wird sich wieder füllen –  mit dem neuen Eigentümer, dem Geschäftsrivalen.

Die Größe des Dichters ist seine Menschenliebe, ist die psychologische Durchdringung und Sichtbarmachung der gespaltenen Charaktere und einsamen Seelen. Unausweichbar ist diese Familie in einem emotionalen und geistigen Spinnennetz gefangen, eingerichtet in einer engen, einseitigen Orientierung auf Wohlstand und Ansehen, in einer starren Prägung durch Vergangenheit und Gegenwart. So wollen diese Menschen ihr Leben durch abgesichertes Kalkül bestimmen, wider besseres Wissen, das alle Kalkulationen hinfällig werden, wenn ein Glied in der langen Kette zerbricht, dass sich Wohlstands nicht festhalten läßt. In dieser eigenwilligen, spannenden Bühnenfassung gelingt es, die zeitlose Gültigkeit dieses Themas sichtbar zu machen wie auch die Persönlichkeiten in ihrer tragischen Ambivalenz vorzuführen. A.C.

 

 

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