Category Archives: Neue Inszenierungen

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Alice im Wunderland, OL

Und ist auch Dichtung, so ist’s doch auch Wahrheit, so möchte man die hinreißende Choreografie beschreiben, mit der Antoine Jully die phantastische Welt, in die der Dichter Lewis Carroll seine achtjährige Alice schickt, sie irren und wirren lässt, bis sie sich selber aus der Zange eines infernalischen Spiels in der Welt des Kartenspiels von ihren Ängsten befreit. Bis dahin schwirrt und stolpert Alice in hohen Sprüngen, Spagaten und artistischen Figuren – immer wieder als ein Opfer der starken männlichen Geister, die sie wie einen Spielball herumwirbeln – durch ein abstruses Chaos. In einer abstakten Traumwelt voller bizarrer Ereignisse, seltsamster Vögel und Figuren wird das Kind betäubt und verängstigt, doch auch gleichermaßen fasziniert und neugierig in den Sog einer surrealen Fabelwelt gezogen, die so nicht existiert und doch in aller Unheimlichkeit irgendwie real ist in ihrer dunklen, vielschichtigen Untergründigkeit.
Denn das weiße Kaninchen, ein fantastischer Tanzpartner in dieser außergewöhnlichen Fremdenführung durch die Unterwelt, assistiert von zwei übermütigen Clowns, die Alice wie Schuljungen foppen, gleitet sie am Ende dennoch sicher durch diese verwunderliche Welt, die von ihr Besitz ergreifen will und deren Geister sie in einem rasenden Wechsel der Gefühle stürzen, aus denen sie sich befreien und zu ihrer Schwester in der Oberwelt zurückkehren kann. Und das scheint die Botschaft des Dichters, die in dieser stimmigen Gemeinschaftsarbeit eines kreativen, tanzgewaltigen und ausdrucksstarken Teams sichtbar wird: zu begreifen, wie bunt, wie vielschichtig, wie gefährlich, aber auch wie seltsam schön das Leben sein kann, bedrohlich und verführerisch, unvorhersehbar, ebenso voller Zärtlichkeit wie Gewalt, voller Musik und Zauber für den, der zu einer eigenen Persönlichkeit gefunden hat.

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Rusalka, OL

Vier Stunden, zwei Pausen und keine Note -Minute- zuviel! Ob es an der harmonischen Kongruenz von Sprache und Musik, von Orchester und Darstellung liegt, am lang entbehrten Operngenuss, der endlich, wenn auch nur im gezielt besetzten Theater die hervorragende Inszenierung kennzeichnet, läßt sich vermuten – aber, dass hier das Oldenburger Staatstheater einmal wieder punktgenau beweist, wo seine herausragenden Qualtiäten liegen, ist eindeutig. Hinzu kommt eine romantische Dramatik, eine pointierte, in verschiedene Erzählebenen klar aufgeteilte, zwischen Mystik und realer Wahrnehmung wechselnde theatralisch charakteristische Melodik und Rhythmik. Ein temperamentvolles Spiel voller Effekte, Poesie und Spannung.

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Falstaff, HB

Nach einem atemberaubenden Auftakt spult sich der herbe Rachefeldzug gegen den noch an den Pranger zu stellenden Sir Fallstaff mit Schnelligkeit und Schwung und herbem Charme ab, geführt und gefolgt von einem blitzwachen Orchester, das Verdis Musik so treu bleibt, wie es Ohren und Sinne lieben – rundum ein großer Genuss, zuweilen vom fröhlich verdrehten Spektakel auf den verschiedenen Spielflächen irritiert, teilweise aber auch verwirrt von der auf eine medallionförmige Leinwand über der Bühne übertragenen großformatigen Präsenz der Sänger und Sängerinnen. Das verlangte sicherlich auch von den Darstellern eine doppelte Konzentration auf die musikalische Übereinstimmung mit der szenischen Interaktion. Doch insgesamt ein schmuckvolles Band, das sich hier um eine Gesellschaft windet, die sich erhaben über einen gescheiterten Menschen wähnt und doch selbst so voller Widersprüche und Doppelmoral ist. Dass der bloßgestellte Ritter von der mächtigen Gestalt nicht gar so traurig am Rande stehen bleibt, dafür sorgen köstliche textliche Bonmots (und instrumentale Spiegelungen), die ihm letztlich doch noch jene Würde verleihen, wenn Einsicht in Maßen und Überlebenskunst im Kampf gegen die eigenen Schwächen überwiegen. A.C.

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Die Wodkagespräche, B

Das Künstlerkollektiv J.A.C.K. hat mit den Wodkagesprächen eine Nachbereitung des bisherigen Lebens zweier Schwestern als Abgesang auf den verstorbenen Vater in zwei Phasen inszeniert: einem schwarz-weiß gehaltenen Film, der die Beerdigungszermonie im Familienkreis zeigt und den Gang des alten Mannes in den bayrischen See als letzte Konsequenz eines Lebens, das ihm keinen Platz mehr in dieser für ihn wert- und haltlosen Gesellschaft gab. Den zweiten Teil als wodkaseliges und alkoholschweres Gespräch zweier Frauen, die ihre Lebensmuster verteidigen, hinterfragen und eventuell verändern, sofern sie es vermögen. Das ist ein lebendiges Kammerspiel mit zwei hinreißenden Schauspielerinnen, die ein schillerndes, psychologisch differenziert aufgebautes Puzzle mit vielen menschlichen Facetten zum Ganzen fügen. Herzlicher Beifall.

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Imagine, HB

Imagine ist die großartige Hommage an eine einzigartige musikalische Epoche mit John Lennon und Yoko Ono – zwei ungewöhnlichen Persönlichkeiten, die sich in einer hoch explosiven politischen Ära in einer Friedensbewegung exponierten, die so hilflos, so rührend war und so wütend machte, dass aus einer hoffnungsfrohen eine sich verlierende Generation werden musste. Ihre Gefühle und Hoffnungen, ihre Sehnsüchte und Enttäuschungen spiegeln sich in der Vielfalt der songs dieses Künstlerpaares mit großer Innigkeit wider.
Welch ein Geschenk für das Bremer Theater, dass John Lennon für dessen Generaldirektor Yoel Gamzou “eines der größten musikalischen Vorbilder” darstellt, und dieser nun mit dem Lazarus- Regisseur Tom Ryser eine spannende und liebevolle, auch ein bisschen sentimentale Hommage mit eigens arrangierten Songs für Gesang, Band und Orchester einstudiert hat – auf einer mit Orchester und Chor eingerichteten Bühne unter einem Sternenhimmel, der natürlich „Imagine“ spiegelt: „Stell dir vor, es gibt keinen Himmel/ das fällt ganz leicht, wenn man es versucht/ unter uns keine Hölle, über uns nur Luft“.

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Die Zauberflöte, HB

Damit diese Oper auch für Kinder schnell erfassbar sein soll, hat sich die Regie diesmal einen durch das Stück führenden Sprecher (Herbert Baum) ausgedacht, der den Hergang der Handlung kommentiert, auch eingreift und mitspielt, diesmal sogar den Papageno, weil Luis Olivares Sandoval erkrankt war und Dominic Große aus Frankfurt erst am Morgen der Premiere in die Rolle als Papageno eingeführt werden konnte. Ob ein Entertainer eine glückliche Idee ist, werden wohl erst die Reaktionen des Publikums in den nächsten Vorstellungen ergeben. Das ist überhaupt das auch hier nicht gelöste Problem: ein in seiner Zeit, den Aufbruch und Umbruch in eine neue, freiheitlichere Gesellschaft ankündigendes Kunstwerk aus seinem Kontext neu zu deuten, um eine mögliche psychologische Grundaussage zu transponieren – kann glücken als Versuch im übereinstimmenden Rahmen von Musik und Handlung. Aber die Leichtigkeit des musikalischen Initiationsspiels wird im zweiten Teil gnadenlos auf eine bisher eher verdeckte sozio-psychologische Ebene des Generationenkonflikts übertragen.

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