Category Archives: Regietheater

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Kinder des Paradieses, B

ahrmarktsatmosphäre herrscht auf der Bühne und auch im verstaubten historischen Saal des Berliner Ensembles, der der alte geblieben ist auch unter neuer Intendanz. Nur die Taube über dem Bühnenportal ist fortgeflogen. Eine neue Zeit, in der ein köstlicher Duft frisch gebackener Waffeln, die zuvor an die Zuschauer verteilt wurden, in der Luft liegt. Derweil stelzen Komödianten über die Bühne, die mit einigen schäbig-bescheidenen Requisiten dekoriert ist, jonglieren Ballkünstler, zeigen junge Tänzerinnen ungewöhnliche Elastizität, schwirren andere Artisten in der Vorbereitung für ihren Dreh durch den Raum. Denn darum handelt es sich im Film, dem Vorbild dieser Bühnen-Inszenierung, im Jahr 1944, als im besetzten Frankreich jedes Künstlerengagement mit Vorsicht gehandhabt werden musste. So wurde dieser Film unter der Maske eines Gauklerdaseins, der die lebensgefährliche Arbeit der Künstler unter den misstrauischen Augen der deutschen Besatzung, speziell der Gestapo ausleuchtet, ins Ambiente des 19. Jahrhundert verlegt. Uraufgeführt wurde er erst 1945 im befreiten Paris. In Berlin gelingt es der Regisseurin nicht, die Brisanz, die Atmosphäre, die Bedrohlichkeit des Lebens im beetzten Frankreich, transparent und nachfühlbar zu machen. Es bleibt bei einem eleganten Liebesdrama, hinter dem die politische Dramatik verschwindet.

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Ödipus/Antigone, HB

Sämtliche Werke Shakespeares in 100 Minuten – Sophokles: zwei Meisterwerke der Antike in 70 Minuten –
wer ist schneller, lustiger, aktueller? Aber wo bleibt die klassische Grundlage? – Alle rufen nach Bildung, wie sieht die aus?
Hier sieht sie so aus: Eine moderne Wohnecke mit großen Fenstern mit Meeresblick, rundum Wasser, Bühnenskizze eines Mythos in der Ägäis, aus 2500jähriger Vergangenheit in die Jetztzeit gebeamt. Talkshow des Familienrats nach Comedy-Art. Abspulung einer Familientragödie mit schwarz-humoristischem Einschlag. Es wird schnell, für das allgemeine Verständnis, zu schnell dahergeplappert, pausenlos, ohne Punkt und Komma – Schmerzempfinden und Mitgefühl in diesem Familienkonflikt sind nicht vorgesehen, werden verdrängt, davongespült vom nicht endenden Redefluss aller Beteiligten. Aber diese Methode hat eine Antwort.

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Hundesöhne, B

Zuerst erinnert die trübselige Geschichte der ausgestoßenen Zwillinge Lucas und Claus an das häufig analytisch betrachtete Märchen der Gebrüder Grimm von Hänsel und Gretel. Wie dort lernen auch hier in dem ersten Buch der ungarisch-französischen Autorin die Kinder, die hier zwar ein Brüderpaar sind, aber als Mädchen und Jungenrolle besetzt sind, für einander einzustehen, nachdem ihre notleidende Mutter sie an die entfernt lebende Großmutter (an der Grenze) abgegeben hat, die sie mehr mitleidig als wütend “Hundesöhne” nennt. Doch nun nimmt die Geschichte einen anderen Verlauf als im Märchen: es gibt kein süßes Knusperbrot, sondern harte Arbeit, Entbehrung und wenig gute Worte, wenn auch die Großmutter hier eher einer verhärmten, lebensmüden alten Frau als einer Hexe gleicht, als die man sie im Dorfe bezeichnet. In Zeiten des Krieges und der Revolution lernen die Kinder, sich abzuhärten, schwere Arbeit zu verrichten, dennoch in der Bücherei nach Lesestoff und Schreibzeug zu suchen und sich gegen die verschiedenen Formen des Missbrauchs durch die Erwachsenen emotional und physisch zu wappnen. Dabei entstehen Dialoge, knapp und erschütternd wie folgender: “Grossmutter: Wer war das? Lucas/Claus: Wir selber, Großmutter! Großmutter: Ihr habt euch geprügelt, weswegen? Lucas/Claus: Wegen nichts, Grossmutter. Machen Sie sich keine Sorgen. Es ist nur eine Übung…” Die kühle, karge Sprache ist ein schmerzliches Stilmittel, um jeglicher Sentimentalität vorzubeugen, aber zugleich die Härte und Kälte des menschlichen Misstrauens um des Überlebens willen zu enthüllen. Linda Vaher und Loris Kubeng zeigen als Kinder eine erschütternde Gleichmütigkeit, mit der sie ihre eigene völlig wert- und moralfreie Lebens-und Handlungsstrategie entwerfen.

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Scherbenpark, HB

In Bremen bestimmt ein großer, weiter lichter Raum mit riesigen farbintensiven surrealistischen Gemälden an den Wänden die Bühne, die eher einer Malerwerkstatt ähnelt, die gesamte Aufführung. Hier spielt sich zumeist auf dem Boden, zwischen Farbtöpfen, Kleidungsknäueln und auf rollbaren Tischen ein wichtiger Lebensabschnitt der 17jährigen Sascha ab, die jäh den gewaltsamenTod ihrer Mutter und deren Freund verarbeiten, ihre jüngeren Geschwister betreuen und eine aus Russland angereiste Tante beaufsichtigen muß. Sascha ist überaus intelligent und couragiert und fühlt sich für alle und alles verantwortlich. Gleich zu Beginn offenbaren sich ihre Ohnmacht und Wut, ihr Hass und ihre unendliche versteckte Trauer mit zwei markanten Träumen: Sie will ihren Stiefvater, der die Mutter und deren Freund erschoss, nach seiner Entlassung aus der Strafanstalt umbringen, und sie will ein Buch über ihr Mutter schreiben, die so schön und gut, doch zu dumm war, um die Warnung ihrer klugen älteren Tochter ernstzunehmen. Eine lebendige Inszenierung, die aber den intensiveren Roman nicht ersetzen kann.

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Fremdes Haus, HB

Die Inszenierung ist gruselig und grausam. Ein indischer Slum ist geradezu eine Wohlfühlzone gegen diese Kanalrattenwohnwelt, in der die Häuser fensterlos und die Menschen hoffnungslos sich selbst und anderen das Leben so schwer wie möglich machen. Auf der gefluteten Bühne waten krass geschminkte Frauen und Männer im schmudeligen Wasser herum, in abgerisssener Kleidung und unter brutal harten Rhythmen. Ihre Perspektivlosigkeit lassen sie wie ein Schwarm Hornissen an dem zunächst einzig Unschuldigen aus, der jäh in ihr “Viertel” eindringt und sich als Verwandtschaft herausstellt: Jene hat seine Heimat Mazedonien verlassen, um bei den Verwandten im scheinbar goldenen Westen Asyl zu finden. Da ist Risto, ein früherer Freund von Jenes verstorbenen Vater, jetzt ebenso erfolglos wie verwahrlost; dessen Frau Terese gibt sich fürsorglich, eine Prostituierte naturgemäß zugänglich, die Cousine anschmiegsam und der angeheiratete Cousin feindlich. Damit sind zunächst einmal die äußeren Verhältnisse geklärt.
Was sich nach und nach als Familien- und Seelendrama entblättert, hat als Inszenierung das Manko einer nur unzureichenden dramaturgischen Bühnenversion eines Romans, ist aber als Theaterstück geschrieben. Dafür sind die Dialoge zu schmal, und die Monologe sprengen intellektuell und in ihrer epischen Länge den ohnehin schlaffen Spannungsbogen der Handlung. Dass man angesichts der furchtbaren prekären Verhältnisse, der Brutalität, der wütenden und hasserfüllten, sich in vorwiegend gossensprachlichem Jargon angiftenden “Familienmitglieder” ebenso fasziniert wie ungläubig diesem menschlich unwürdigem Dasein zuschaut, ist allein den hervorragenden Darstellern gezeitigt. Sie werfen sich mit aller schauspielerischen Kraft, die ihrem Rollenverständnis glaubhaft entspricht, in das Seelenmassaker, das persönliches Versagen in ein politisches und soziales Umfeld stellt, ohne dieses allein verantworltich zu machen.

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Unterwerfung, HB

Aus der bösen, ja verzweifelten Kritik an der Unentschlossenheit der Intellektuellen und der alarmierenden Vision eine islamischen Regierungsübernahme im Jahr 20122 in Frankreich hat das Ensemble am Bremer Goetheplatz ein pubertäres Kaspertheater gemacht mit einem windelweichen Hochschullehrer François, der durch Inaktivität und phantasierte erotische Abenteuer ein Bild des wahren Jammers abgibt. Ihm zur Seite die lebenslustige Freundin Miriam, die weder emotional noch sexuell einen Widerpart in ihrem Freund findet. Annemaaike Bakker zeigt trotz aller Spärlichkeit einer undurchsichtigen wie unverständlichen Textbearbeitung und stringenter Dramaturgie eine berührende Darstellung . Sie ist voller Liebesfähigkeit, Zärtlichkeit, Lebendigkeit und – am Ende von erschütternder Traurigkeit. Warum sie an diesen Jammerlappen ihr Herz verloren hat , bleibt das Geheimnis der Liebe. Ansonsten ein kunterbuntes Durcheinander mit vier absonderlichen Typen, die auch klasse Musik machen. Die junge Jana Julia Roth wirbt sehr zärtlich mit einem Wehmutssong von Grönemeyer um François’ Realitätssinn. Widerstandslos läßt er sich von Miriam, die eigentlich längst als Jüdin nach Israel ausgewandert ist, und von seinem neuen und alten Wendehals-Dekan in die neue Männlichkeit des Islam einführen: Gebet, Kleidung, Frauen. Wer das Ganze als Schwank aufnimmt, könnte damit zurechtkommen.

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