Category Archives: Regietheater

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Nostalgie 2175, HB

Das Szenario ist nicht neu: apokalyptische Visionen nach der totalen Klimakatastrophe flammen zu aktuellen Anlässen wie der jetzigen Klimakonferenz in Paris auf. Aber sie verdrängen unsere Ängste nur bis neue Kriege aufflammen, islamische Fundamentalisten ihre Terrorherrschaft erweitern oder verarmte Länder um Hilfe nachsuchen. Für Wissenschaftler und Schriftsteller aber ist die Zukunft längst Gegenwart geworden, das Orwellsche Bild “1984”, das den gläsernen Menschen vor Unfreiheit und permanenter Überwachung warnt, ist längst Realität, ohne dass wir uns sonderlich aufregten. (In einer Bühnenversion am Berliner Gripstheater amüsierten sich die Schüler bestens.)
Das Theaterstück von Anja HIlling ist in dieser HInsicht nichts Neues, nichts wirklich Bewegendes, es zeigt nurmehr eine kleine neue Variante, nachdem die Erde Feuer gefangen hat und die tödlichen Strahlen die letzten Menschen in luftdichte Wohngehäuse verbannt haben. Jegliche Berührung kann gefährlich sein, Emotionen sind in Reagenzgläser verbannt. Drei Schauspieler versuchen, diese aseptische Welt irgendwie darzustellen, aber über eine dramatische Sprachführung kommt es nicht zum Spiel. Was nicht darzustellen ist: ein durch ein Attentat für immer verstrahlter Mann darf eine Frau nicht berühren, ihrer beider Liebe körperlich nicht erfüllen. Die Verzweifelte vereint sich mit einem anderen Mann, der den Geliebten gewissermaßen stellvertretend zum Vater werden läßt. Aber eine natürliche Geburt ist tödlich in diesem von nunmehr weißhäutigen und rothaarigen albinotischen Menschen bewohnten Enklave. Es gibt kein Entrinnen aus dieser Situation, in der mit Hilfe von 4oo bewahrten Filmkassetten eine nicht mehr vorhandene Welt rekonstruiert werden soll. Das schöne, farbenreiche, glitzernde Leben einer fernen Vergangenheit soll auf Tapeten übertragen werden. Gruseligerweise werden die Farben auf die rückseitige, nicht geschädigte Haut verstrahlter Menschen eingestochen werden. Schlimmer geht es wohl nicht. Dennoch herzlicher Beifall für das teilweise doch gelungene Bemühen der Schauspieler, Endzeitstimmung zu vemitteln. A.C.

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Entartete Kunst, B

Warum ist Kunst so teuer, wer vermittelt An- und Verkäufe, was sind Schattenhändler, und welche Werte befinden sich tatsächlich im Besitz von staatlichen Galerien? Und last not least: warum gibt es noch immer kein Gesetz, das die Restitutionsansprüche der von den Nazis enteigneten Besitzer regelt? Fragen, die so nebenbei in dem geschickt aufgebauten kleinen Kabinettsstück von Ronald Harwood auftauchen und doch in dem Bilder-und Steuerstreit in den Jahren 2012 bis 2014 letztendlich von entschiedender Bedeutung waren, um die Rechtmäßigkeit des 1500 Werke umfasenden kostbaren Kunsterbes von Cornelius Gurlitt zu klären. Im Theater nun, auf der mit von den Nazis als entartete Kunst gebrandmarkten Bildern dekorierten Bühne, kämpft ein Mann um seinen Besitz, verteidigt die Rechtmäßigkeit seines Erbes gegen die unerbittliche Inqusition der Vertreter der Münchener Staatsanwaltschaft. Mit Udo Samel als sprachgewiefter, beinahe sokratisch argumentierender Gurlitt, der pfiffig und zotig, kindlich und trotzig, naiv und schlau zugleich gegen eine Welt und eine Wahrheit ankämpft, die er bisher mied wie die Pest. Sie diente ihm lediglich zum Ausflug in die Kabinette jener Schattenhändler, denen er und hin und wieder eines seiner Erbstücke über die Schweiz verkaufte. Wieder einmal zeigt das Renaissance Theater ein bezauberndes Spiel um ein ernstes Thema.

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Unwiderstehlich, B

Als Franzose traditionell mit leichtem Sinn für Groteskes und Theatralisches zugleich bedacht, ja soga r noch mit den Geheimnissen des menschlichen Psyche durch den Großvater, einen bekannten Psychiater, vertraut, mixt der 49jährige Fabrice Roger-Lacan seine Gesellschaftsstücke gerne mit tiefer Theatralik und entspanntem Humor. Das ist nicht leicht zu inszenieren, denn der Tanz auf zwei Hochzeiten ist immer problematisch. Und da deutsche Regisseure sich auf den Humor allein nicht verlassen mögen, entscheiden sie sich gerne dafür, einen dramtischen Schwerpunkt zu setzen. Und so zerfallt dieses recht intelligent und spannend eingefädelte Ehe-Liebes-Drama in zwei Teile: höchste Dramatik vor der Pause, Slapstick hernach. Der Schauspieler wegen sehenswert!

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Buddenbrooks, OL

In der Inszenierung überträgt sich die fröstelnde Atmosphäre spannungsgeladen im Fortschreiten des imperialen Untergangs dieser Familie. Die Entwicklung wird in großen Sprüngen vorangetrieben, schließlich will das Jahrhundertwerk Thomas Manns, der in dem 1901 erschienenen Meisterwerk Anleihen an die eigene Familiengeschichte machte, in gut drei Stunden über die Bühne gehen. Beinahe geisterhaft, weder greifbar noch be-greifbar bleibt für den Zuschauer, der ja bereits alles im Voraus weiß oder doch ahnen kann, wie blind diese bemitleidenswerten Menschen ihrem tragischen endenden Weg folgen müssen, weil sie unfähig sind, sich aus den alten Strukturen, dem Gefängnis ihrer Erziehung und den gesellschaftlichen Regeln und Zwängen, zu befreien.

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The Forbidden Zone,B

Dokumentartheater auf mehreren Ebenen: Auf der Bühne wird gespielt und gefilmt, was einst geschah: der Kampf der Chemikerin und Ehefrau Fritz Habers, Clara Immerwahr, um die Ethik von Wissenschaft und Forschung und ihr Freitod; Der Kampf ihrer Enkeltochter nach dem 2.Weltkrieg um Schuld und Sühne und die Forschung zu friedlichen Zwecken. Auch sie schied in ihrer Verzweiflung um die Aussichtslosigkeit einer friedlichen Welt aus dem Leben. Darin in verschiedenen Sequenzen verwoben das Schicksal der Soldaten, die durch den Einsatz des von Haber entwickelten Giftgases im 1.Weltkrieg schrecklich zugrunde gingen. Die Inszenierung ist technisch faszinierend und emotional verstörend. Falls wieder im Spielplan, unbedingt anschauen!

Und als Gegenstück – falls irgendwo auf der Bühne oder im Film zu sehen – ebenfalls sehenswert: “Alfred Nobel und Bertha Suttner- eine Liebe für den Frieden”

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Der Idiot, HB

Das Wesentliche der umfassenden Romanvorlage in einem “nur” dreieinhalbstündigen Schauspiel auf die Bühne zu bringen, ist ein beachtenswertes Unterfangen. Die Schauspieler können die verschiedenen Charaktere weitgehend ausleuchten, wobei der im Mittelpunkt stehende Fürst Myschkin, der den engen Vorstellungen einer auf Vorteil, Geld und Geltung ausgerichteten Gesellschaft in seiner naiven Gutmütigkeit und Ehrlichkeit unangenehme Wahrheiten sagt, als “Idiot” abgetan wird. Gleichwohl suchen alle seine Nähe, um sich unter dem Dach seines Titels und Vermögens als gleichwertig fühlen zu können. Dass Liebe und Tod auch hier die Hauptrollen spielen, könnte zum echten Drama gereichen.

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