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Falstaff, HB

Nach einem atemberaubenden Auftakt spult sich der herbe Rachefeldzug gegen den noch an den Pranger zu stellenden Sir Fallstaff mit Schnelligkeit und Schwung und herbem Charme ab, geführt und gefolgt von einem blitzwachen Orchester, das Verdis Musik so treu bleibt, wie es Ohren und Sinne lieben – rundum ein großer Genuss, zuweilen vom fröhlich verdrehten Spektakel auf den verschiedenen Spielflächen irritiert, teilweise aber auch verwirrt von der auf eine medallionförmige Leinwand über der Bühne übertragenen großformatigen Präsenz der Sänger und Sängerinnen. Das verlangte sicherlich auch von den Darstellern eine doppelte Konzentration auf die musikalische Übereinstimmung mit der szenischen Interaktion. Doch insgesamt ein schmuckvolles Band, das sich hier um eine Gesellschaft windet, die sich erhaben über einen gescheiterten Menschen wähnt und doch selbst so voller Widersprüche und Doppelmoral ist. Dass der bloßgestellte Ritter von der mächtigen Gestalt nicht gar so traurig am Rande stehen bleibt, dafür sorgen köstliche textliche Bonmots (und instrumentale Spiegelungen), die ihm letztlich doch noch jene Würde verleihen, wenn Einsicht in Maßen und Überlebenskunst im Kampf gegen die eigenen Schwächen überwiegen. A.C.

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Die Wodkagespräche, B

Das Künstlerkollektiv J.A.C.K. hat mit den Wodkagesprächen eine Nachbereitung des bisherigen Lebens zweier Schwestern als Abgesang auf den verstorbenen Vater in zwei Phasen inszeniert: einem schwarz-weiß gehaltenen Film, der die Beerdigungszermonie im Familienkreis zeigt und den Gang des alten Mannes in den bayrischen See als letzte Konsequenz eines Lebens, das ihm keinen Platz mehr in dieser für ihn wert- und haltlosen Gesellschaft gab. Den zweiten Teil als wodkaseliges und alkoholschweres Gespräch zweier Frauen, die ihre Lebensmuster verteidigen, hinterfragen und eventuell verändern, sofern sie es vermögen. Das ist ein lebendiges Kammerspiel mit zwei hinreißenden Schauspielerinnen, die ein schillerndes, psychologisch differenziert aufgebautes Puzzle mit vielen menschlichen Facetten zum Ganzen fügen. Herzlicher Beifall.

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Imagine, HB

Imagine ist die großartige Hommage an eine einzigartige musikalische Epoche mit John Lennon und Yoko Ono – zwei ungewöhnlichen Persönlichkeiten, die sich in einer hoch explosiven politischen Ära in einer Friedensbewegung exponierten, die so hilflos, so rührend war und so wütend machte, dass aus einer hoffnungsfrohen eine sich verlierende Generation werden musste. Ihre Gefühle und Hoffnungen, ihre Sehnsüchte und Enttäuschungen spiegeln sich in der Vielfalt der songs dieses Künstlerpaares mit großer Innigkeit wider.
Welch ein Geschenk für das Bremer Theater, dass John Lennon für dessen Generaldirektor Yoel Gamzou “eines der größten musikalischen Vorbilder” darstellt, und dieser nun mit dem Lazarus- Regisseur Tom Ryser eine spannende und liebevolle, auch ein bisschen sentimentale Hommage mit eigens arrangierten Songs für Gesang, Band und Orchester einstudiert hat – auf einer mit Orchester und Chor eingerichteten Bühne unter einem Sternenhimmel, der natürlich „Imagine“ spiegelt: „Stell dir vor, es gibt keinen Himmel/ das fällt ganz leicht, wenn man es versucht/ unter uns keine Hölle, über uns nur Luft“.

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Die Zauberflöte, HB

Damit diese Oper auch für Kinder schnell erfassbar sein soll, hat sich die Regie diesmal einen durch das Stück führenden Sprecher (Herbert Baum) ausgedacht, der den Hergang der Handlung kommentiert, auch eingreift und mitspielt, diesmal sogar den Papageno, weil Luis Olivares Sandoval erkrankt war und Dominic Große aus Frankfurt erst am Morgen der Premiere in die Rolle als Papageno eingeführt werden konnte. Ob ein Entertainer eine glückliche Idee ist, werden wohl erst die Reaktionen des Publikums in den nächsten Vorstellungen ergeben. Das ist überhaupt das auch hier nicht gelöste Problem: ein in seiner Zeit, den Aufbruch und Umbruch in eine neue, freiheitlichere Gesellschaft ankündigendes Kunstwerk aus seinem Kontext neu zu deuten, um eine mögliche psychologische Grundaussage zu transponieren – kann glücken als Versuch im übereinstimmenden Rahmen von Musik und Handlung. Aber die Leichtigkeit des musikalischen Initiationsspiels wird im zweiten Teil gnadenlos auf eine bisher eher verdeckte sozio-psychologische Ebene des Generationenkonflikts übertragen.

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Eurotrash, B

Ein langer herzlicher Schlussapplaus für ein eindrucksvolles Paar: Angela Winkel und Joachim Meyerhoff haben nach der autobiografischen Romanvorlage von Christian Kracht unter der Regie von Jan Fosse einen bemerkenswerten Abend gestaltet. Ohne die Bühnenpräsenz und schauspielerische Höchstleistung dieser beiden Protagonisten als Mutter und Sohn einer gebildeten bürgerlichen Familie mit übler Nazivergangenheit wäre das Erzähl-Drama wohl eher als langweilig, zumindest als langatmig zu beurteilen. Doch Angela Winkler als zarte, fast zerbrechliche alte Dame, zeigt nicht nur, welche Vitalität und Kraft sich in dieser vom Leben seelisch und körperlich geschundenen Frau verbirgt und welche mädchenhafte Lebendigkeit sie der Rolle der gebildeten und verrückten Mutter übertragen kann; ihre Stringenz, ihre Härte gegen sich selbst und den Sohn, den sie verzweifelt ob seiner und ihrer Schwachheit liebt, dies aber hinter Sarkasmus und zuweilen brutaler Offenheit mit energischer Führung verbirgt! Und Joachim Meyerholz als getriebener, sich nie anerkannt fühlender, dem eigenen Geschlecht nahestehender Christian, schaukelt trotz aller Emsigkeit hilf- und haltlos in dieser Welt, in der er letztlich ohnmächtig mitansehen muss, wie die Mutter immer wieder aus der Wirklichkeit in den Wahn flüchtet und sich mit Alkohol und Zigaretten und einer Wilde’schen Selbstironie den Lebensschmerz erträglich macht.

Ein großer Schauspielabend trotz schwacher Vorlage.

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Friedman im Gespräch, B

Mit einem Feuerwerk an Gedanken zum Thema „Fortschritt“ stellten sich im Berliner Ensemble drei Koryphäen der Berliner Geisteswissenschaft einem großen Publikum vor. Die Historikerin Hedwig Richter und der Soziologe Andreas Reckwitz durchleuchteten unter der ebenso eleoquenten wie stringenten Gesprächsführung des Philosophen und Publizisten Michael Friedmann verschiedene Lebensbereiche unserer Gesellschaft und zogen aus dem Fundus ihres akademischen Wissens soziale, soziologische, geschichtliche wie ethische Rückschlüsse, indem sie von einem zunächst abstrakten allgemeinen Begriff zu einer engeren, konkrete Bereiche umfassenden Analyse gelangten.

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