Der Sohn, B

von Florian Zeller, deutsch von Annette und Paul Bäcker
Renaissance-Theater Berlin, 2023

Regie: Guntbert Warns, Bühne: Manfred Gruber, Kostüme: Ariane Warns, Dramaturgie: Gundula Reinig

mit: Michael Rotschopf als Pierre, Moritz Carl Winklmayr als Nicolas, Anna Thalbach als Anne, Charlotte Puder als Sofia, Hans Czypionka als Dr. Rames, Jakob Wenig als Vincent

 

Wer soll entscheiden?

Das ist ein sehr ergreifendes Stück, unmittelbar vom Autor als Selbstreflexion geschrieben, denn nach der Premiere in London bezeichnete es Florian Zeller als “sein bisher persönlichstes Stück”. Man mag überlegen, ob eigene Erlebnisse eine Rolle gespielt haben. Denn ungewöhnlich ist eine schwere Vater-Sohn Beziehung ja keineswegs, da Väter selten ein subtiles Gefühl für die Veranlagung und Begabungen ihrer Söhne haben und die oft überschwengliche Behütung der Mütter auch nicht immer hilfreich ist. Und nicht selten fallen junge Heranwachsende in eine so tiefe Depression, dass es keine anderen Ausweg für eine Besserung mehr gibt als in einer langfristigen stationären Betreuung.

Exemplarisch wird hier “der Sohn” in einer schnellen Szenenabfolge vorgestellt, intensiv gespielt von Darstellern, die das Anliegen des Autors zu ihrem eigenen, wie auch zum Anliegen der Zuschauer machen. Damit erfüllt das Theater eine verantwortungsbewußte Aufgabe: eine jugendliche Depression in ihren tief verwurzelten emotionalen Facetten transparent werden zu lassen; den Umgang der mehr oder minder hilflosen Erwachsenen mit der “null Motivation” des Sohnes sensibler zu machen. Außerdem kommt für den aus der Welt gefallenen Nicolas das nicht verarbeitete Scheidungserlebnis seiner Eltern hinzu, das ein so in sich verirrter Mensch wie dieser sanfte, sich auch körperlich verbiegende Junge nicht begreifen kann.
Und wie häufig wehren sich Eltern, ihren heranwachsenden, die aktuelle Welt nicht mehr begreifenenden und sich auflehnenden Kindern eine professionelle HIlfe zukommen zu lassen. Denn für die älteren Generationen war es eher peinlich und unverständlichh, sich nicht mit althergebrachten Methoden in der Erziehung aufmüpfiger Jugendlicher durchsetzen zu können. Aus dem niedlichen, zumeist pflegeleichten Kleinkind war  plötzlich ein rebellisches Monster oder ein kraftloser, inaktiver Lebens-Verweigerer geworden. Und über das konservative Selbstverständnis von Fleiß, Unterordnung, Ruhe, Angepaßtheit, Ehrgeiz war mit ihm gar nicht mehr zu reden. Für Pierre, den erfolgreichen,. liebenden und unendlich bemühten Vater von Pierre kann es einfach nicht sein, dass dieser daherschlenkernde, tagverträumende Junge sich so gar nicht für irgendetwas interessiert, nicht für die neue Schule, nicht über künftige berufliche Ziele, die er, der Vater, doch so wunderbar vorlebt – jetzt mit einer neuen Frau und einem kleinen Bruder für Nicolas… Man muß sich doch zusammenreißen. Nicolas kann weder dies, noch Worte der Erklärung seines Zustandes finden. So schweigt er, weil er selbst innerlich müde  ist, unlustig, desorientiert, für sein freudloses Dasein keine Antwort erhält. Wenn er sie fände, könnte er sich ja wie Münchhausen am Schopf selber aus dem dunklen Tief herausziehen… das ist doch die Crux. Wüßte der Depressive um das Defizit, könnte er auch einen Weg finden, dies auszugleichen.

Mutter und Stiefmutter sind in ihrer Unfähigkeit, die unerträgliche Müdigkeit von Nicolas zu begreifen, nicht weniger bemitleidenswert, und Nicolas, der von einem sich in diese Rolle ergreifend eingefühlten jungen Schauspieler einen Zustand durchleidet, dessen Leere und Ausweglosigkeit er Vater, Mutter und Stiefmutter nicht erklären kann, verursacht bei den sich schuldig fühlenden Eltern weitere Verunsicherung. Wie bei seiner auch seelisch gebrechlichen leiblichen Mutter Anne, von Anna Thalbach ebenso gespielt, und auch Sofia, die Charlotte Puder mit liebevoller Geduld ausstattet bis sie die durch die Fixierung ihres Mannes auf den kranken Sohn zunehmende Gefährdung ihrer Ehe nicht länger erträgt und mit ihrem Baby zu ihrer Schwester reist. Denn Pierre, der erfolgreiche Anwalt, der liebende Vater, der alles versucht, dem Sohn seine eigenen Werte und Ideale zu vermitteln, aufzudrängen, ja ihn beinahe wütend zu indoktrinieren, kann nicht verstehen, warum seine Argumente nicht zur Einsicht führen können, weil sie gar nicht in das Bewußtsein des jungen Mannes dringen. Und auch als er sich erinnert, dass sein eigener Vater (mit dem er nicht mehr spricht!) mit der gleichen Unerbittlichkeit einst auf ihn eindrang, kann er seine eingefahrenen Verhaltensmuster nicht durchbrechen.

Für alle hätten von Anfang an fachkundiger psychotherapeutiger Hilfe bedurft. So nimmt das Elend seinen Lauf. Die Tragik wird nur in der Phantasie des gebrochenen Pierre( Michael Rotschopf als große tragische Vaterfigur) für einem kurzen beglückenden Moment mit einer Illusion aufgehoben – Nicolas ist seinen Weg gegangen, als Architekt und Schriftsteller – , um dann mit aller Schrecklichkeit sich wieder  der Realität zu stellen. Die HIlflosigkeit der Mediziner trifft einen weiteren Schmerzenspunkt in der modernen sozialen Vorgabe. Diese liegt nämlich bei den gesetzlichen Vertretern bzw. sogar bei dem mündigen Patienten selbst. Diese müssen entscheiden, wie der Krankheitsverlauf behandelt werden soll. Und indem es der Kranke, hier Nikolas, versteht, die Ärzte auszutricksen, indem er den liebevollen, einsichtigen, Besserung versprechenden Sohn in aller Verzweiflung darstellt, entscheiden dieEltern gegen eine weitere klinische Behandlung. Die Ärzte sind zutiefst erschüttert, dass Emotionen die Urteilskraft ausser Gefecht setzt, denn sie ahnen den weiteren Verlauf.  A.C.

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