Betrogen
von Harold Pinter
Renaissance Theater
Deutsch von Heinrich Maria Ledig-Rowohlt
Mit: Heiko Deutschmann, Anika Mauer, Peter Kremer
Regie: Torsten Fischer, Bühne: Vasilius Triantafillopoulos
Betrug und/oder Selbstbetrug?
Das Stück beginnt am Ende und endet am Anfang. Das ist nicht ungewöhnlich für Romane und Essays, ein bisschen aber schon für Schauspielstücke. Und es empfiehlt sich für Theaterfreunde, die hier erstmalig Kontakt mit dem britischen Autor aufnehmen, sich in Geduld zu üben; was sehr viel leichter fällt, wenn man nach und nach begreift, dass die stereotype, die endlose Monotonie der floskelbeschwerten Dialoge genau das beabsichtigen: den drei Personen in dieser kleinen Alltagsgeschichte ihren Selbstbetrug vor Augen zu führen, deren Flucht aus der Realität auf unsicheren Füßen steht wie ein dreibeiniger Tisch. Erst nach und nach entlarvt der Autor die Entwicklung einer beklemmenden Dreiecksliebe, die sich selbst zerstört, nicht nur, weil sie als Schattengewächs zum Sterben verurteilt ist. Denn ihre Nahrung bezieht sie nur kümmerlich aus angstvollen Versteckspiel, schlecht getarnten Täuschungsmanövern, vorgespielter Blindheit und überkompensierten Freundschafts- und Liebesbeschwörungen. Ein unheilvolles Nicht-wissen-wollen begleitet und zerstört am Ende Ehe, Liebe, Freundschaft.
Was am Ende bleibt, sind eine ganze Menge Glasscherben, zerbrochene Beziehungen, leidvolle Enttäuschungen und ein niemals wieder zu heilender Schmerz. Was bleibt, ist eine von Pinter durchaus als fragwürdig eingebrachte Männerfreundschaft, die Betrug, Ehebruch und Verrat im aggressiven Squashspiel ausagiert. Der Worte und Klärung nicht mächtig, die nach einer jahrelangen Beziehung von Jeff mit Roberts Ehefrau Emma angebracht wären, agieren die beiden ungleichen Männer Wut und Frust nonverbal im Ballspiel aus, das immer heftiger, immer brutaler das Zerrbild ihrer seelischen Verfassung darstellt. Und hernach, völlig erschöpft und doch zufrieden mit sich und ihrer Welt, werden beide tun, was sie bereits zu Beginn ihrer Dreierbeziehung der überraschten Emma verkündeten: Essen gehen, Bier trinken, Männergespräche führen, vielleicht auch über Frauen reden…
Jeff, so erfährt man nach und nach, ist nicht nur Roberts bester Freund und Berufskollege, sondern auch sein Trauzeuge, der sich schon sehr bald in die schöne Braut verliebt und ihr unverhohlen Avancen machen wird, ungestüm, leidenschaftlich nur dem eigenen Gefühl verpflichtet, was ihm allerdings als Verleger ein sicheres Gespür für jene Autoren verschafft, deren Romane sich publikumswirksam verkaufen lassen. Heiko Deutschmann ist in dieser Rolle der passende Typ: außerordentlich verführerisch, selbstsicher, lässig-elegant und – blind. Blind für die unverantwortliche Liaison, blind für dessen nur unsicher überspielte Wut des betrogenen Ehemannes, blind für die Ängste der Geliebten, unverzeihlich blind vor allem für die eigene Frau und die Bedürfnisse seiner Kinder. Ein Egoist, der es unbegreiflich findet, dass ihm Robert nichts von dem aufklärenden Gespräch mit Emma erzählt hat, dass dieser seit langem von dem Betrug weiß, ja, dass der Freund selbst seit Jahren ein Verhältnis hat. Betrogen fühlt sich auch Emma, als Robert sie auf brutale Weise spüren lässt, dass er ihr Verhältnis durchschaut hat. Und betrogen fühlt sich ein jeder der Dreien, weil ein jeder selbstgewiss im Dunkeln der Geheimhaltung zu agieren glaubte – vielleicht bis in alle Ewigkeit.
Was der Regisseur hier mit einer subtilen Regie und ausgefeiltem Charakterspiel auf die kahle weiße Bühne bringt, ist ein Spiegel einer Gesellschaft, die für sich eine neue, freie Lebens- und Liebesform zu finden glaubte, ihre emotionale Kraft aber maßlos überschätzte und weder Mut noch Maß fand, um dem unaufhaltsamen Strudel der Gefühle rechtzeitig Einhalt zu gebieten. Das Ende vom Anfang – wie eine Garnrolle wird die Entwicklung abspult bis der unheilvolle Geschichte ihren Gang nimmt und wie ein verworrenes Knäuel sich nicht wieder aufrollen lässt.
Das Spiel im Renaissance Theater ist eindringlich, mit einer alle Aspekte des Stückes ausreizenden Regie, analysierenden Szenen, ausgefeilten Charakteren, einer sicheren Interpretation und einer ebenso subtilen wie drastischen Darstellung. Daher auch anerkennender Beifall für ein gewiss nicht leicht zu konsumierendes Lebensdrama. A.C.