Der Fall Rigoletto

von Bernhard Glocksin
Neuköllner Oper
Ein Vatikan-Krimi mit der Musik von Etta Scollo und Guiseppe Verdi

Fassung und Inszenierung: Bernhard Glocksin,
musikalische Einrichtung: Ferdinand von Seebach und Etta Scollo
Musik. Leitung: Hans-Peter Kirchberg und Ferdinand von Seebach, Bühne: Helmut Topp, Kostüm: Christina Kämper und Elena Zielinski, Choreographie: Krystyna Obermaier, Recherche und Mitarbeit: Sabrina Rossetto und Carola Söllner, Dramaturgie: Gerhard Müller

mit: Ein Italiener: Kerem Can, Eine Italienerin: Bianca Iannuzzi/Etta Scollo; Emanuela Orlandi: Constanze Morelle/Alexandra Schmidt;  Ercole Orlandi, Angestellter im Vatikan; Alberto: Volker Briesemeister/Jörg Gottschick,  Angestellter im Vatikan; Tobias Hagge als Raoul Bonarelli: stellvertr. Chef der Vatikangendarmerie; Kristina Jean Hays als Saberina Minardi, Geliebte des Mafiabosses Enrico de Pedis; Dejan Brkic als Gianluigi Marrone, Richter; Lars Gronwoldt als Flavio Carboni, ein Geschäftsmann:

Dove, Come, Quando?

Das ist ein Stoff, aus dem die Träume eines jeden Regisseurs sind, wenngleich er auch der tragischen Realität entspricht; zwar ist das Sujet aus dem Fundus der Weltopernliteratur genommen, doch hat Glocksin mit sicherem Gespür hier eine dramaturgisch geschickt eingebundene moderne Version von Verdis “Rigoletto”, der unvergleichlich traurigen wie musikalisch unsterblichen Vater-Tochter-Beziehung, gefunden. Als Vorlage für die musikalische Bühnenfassung dient die authentische Kriminalgeschichte, die im Jahr 1983 an den geheimnisvollsten Orten der europäischen Welt spielt: im hermetisch abgeriegelten Vatikanstaat und dem tödlichen Mafia-Gehege, in das sich kein Neugieriger unbeschadet einschleicht.

So mag es sich wohl auch erklären, dass die Entführung und der Mord an Emanuela Orlandi am 22. Juni 1983 in Rom im Dunkel der Geschichte geblieben sind, eine Aufklärung bis heute nicht möglich war, weil niemand die dichten Wände des Schweigens aller möglichen Beteiligten durchbrechen konnte. Verdächtigungen, Gerüchte blieben und Mutmaßungen, und noch heute eine verzweifelte Suche nach den Gründen, warum die 15jährige Tochter eines päpstlichen Mitarbeiters sterben musste.

Die Neuköllner Oper konnte trotz eingehender Recherchen natürlich auch keine wirklich enthüllende Dokumentation abliefern, und somit verflocht sie die wenigen spektakulären Ergebnisse aus Gerichtsprotokollen und Zeitungsartikeln mit einer Fiktion: Ein junger Italiener führt durch das spannend aufgebaute Geschehen, das sich musikalisch abwechslungsreich zwischen Verdis Oper und moderner Komposition bewegt. Und daraus ist eine so faszinierende aktuelle Rigoletto-Version entstanden, dass das Publikum bei der Aufführung, die ich sah, so gebannt war, dass es nicht einen Finger rührte, um den einzelnen musikalisch hochwertigen Gesangspartien den üblichen Beifall zu zollen. Und die Regie führte dankbarer Weise auch zügig und pausenlos durch das Spiel.

Empfehlenswert ist vorab die Lektüre des umfassenden, gut aufbereiteten Programmheftes. Denn nicht nur die Figur der “Italienerin” von Etta Scollo, die sich wie ein unheimlicher Schatten am Rande des Geschehens bewegt und mit poetisch-politischen Liedtexten die Abläufe kommentiert, erschließt sich dann besser, sondern auch natürlich das riskante Spiel und der skrupellose Einsatz um Macht und Geld als Hintergrund des realen Falls – sprich der möglichen engen Verbindung zwischen der römischen Mafia und dem Vatikan.

Behutsam, ohne religiöse Gefühle zu verletzten, die im Übrigen angesichts der bekannten Tatsachen auch deplaciert wären, werden die Rollen, die etwa eine Sabrina Minardi (Kristina Jean Hays lasziv und verführerisch) in jenen Tagen als Geliebte des später ermordeten Mafiabosses Enrico de Pedis und als willkommener Gast einiger wichtiger Würdenträger des Vatikan spielt, choreographisch kunstvoll eingesetzt. Dass die würdigen Herren wie Hunde vor diesem Joker einherhecheln, gibt dem Ganzen schon die pikante Würze, die sein muss, um die prickelnde, nicht so ganz feine Umgangsart in jenen Kreisen zu durchleuchten (und die immer wieder wirkungsvoll eingesetzten Mittel der Erpressung vorzuführen). Welch ein Hohn, dass hier die engelsgleichen betörenden Tenöre der höfischen Herren ihre ja nicht gerade angenehmen Verschwörerpartien fast schon ins Groteske verwandeln.

Natürlich ist Alexandra Schmidt als Emanuela ein wenngleich auch liebevoller, aber nun doch der väterlichen Besorgnis energisch trotzender Teenager, der um seine Freiheit kämpft. Der junge Mann, Mitglied der Mafia, der sie nach dem Gesangsunterricht auf der Piazza di Roma für eine Avon-Werbevertretung ansprach, hat ihr zwar keine Liebe entlockt, aber doch eine sensationelle Menge Geldes für diesen kurzen Job geboten. In Liebe verfällt sie bei dem Gang zur Piazza zu einem anderen Mann, Alberto, mit dem sie heftig zusammenprallt. Das ist hinzugedichtet, um den verführerisch samtenen Tenor von Egiil Arni Palsson zur Geltung zu bringen, denn an ihrem Schicksalstag wurde das junge Mädchen auf dem Nachhauseweg von der Musikschule entführt, und bei Verdi rauben die boshaften Höflinge Rigolettos Gilda, um sie dem lüsternen Herzog zuzuführen.

Daheim in Vatikanstadt aber weiß der Vater aus den “Orgien” mit der schönen Minardi, wie brüchig die Sicherheit für junge Mädchen ist, deren Väter zu viele Geheimnisse kennen. Die Gesangspartien zwischen Vater und Tochter sind vorwiegend Original Verdi, und mit solcher Eindringlichkeit gespielt und gesungen, dass man auf die Bühne springen und das Mädchen festhalten möchte. Denn man weiß um das bittere Ende, aber das gelingt ja nicht einmal ihrem Vater – verzweifelt wie ein Ahnender nur sein kann. Seine Gilda wird Monate später tot in einer Betongrube entdeckt werden, ihr Leiche in einen Sack gehüllt.
Wo, wann, wie, warum ertönt das letzte Klagelied von Etta Scollo, und man weiß jäh, das die Oper die Wirklichkeit nicht erreichen kann. Eine spannende Inszenierung. A.C.

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