Opera do malandro, B

Gastspiel in der Neuköllner Oper

von Cico Buarque
Neuköllner Oper, 2013
arrangement musikalische leitung: guilherme castro
inszenierung: lilli-hannah hoepner
ausstattung: gilvan cuelho
choeographie: ronni macel

Bettleroper auf Brasilianisch

Eine Bettleroper anderer Art; zwar zwinkern Bert Brecht und Kurt Weill zuweilen noch aus dem jenseitigen Off beifallsfreudig zu ihren songs, die in deutsch-portugiesischer Sprachübertragung temperamentvoll umgedichtet sind, doch ist in dieser sehr bodenständigen Version ein eigenes Werk entstanden. Mit einem Mix aus Modern-Music und folkloristischem Background, sehr viel Bewegung und mehr gesprochenem als gespieltem Handlungsablauf sehen wir eine Vorstellung, die sich wahrscheinlich aus dem beliebten Straßentheater entwickelt hat, und die auf der Bühne noch nicht so überzeugend präsent ist. Zwar wird gewirbelt und geliebt und intrigiert, verraten, geschlagen und vergewaltigt in permanenten tänzerischen Variationen, doch ermüdet die Übertragung des armseligen Bettlermilieus aus dem England vor 285 Jahren auf die Big Bosse der Prostitution und des Drogenhandels in der heutigen Zeit – auch, weil die brillante, pointierte Schärfe und kompakte Persiflage der Brecht/Weill Bearbeitung der “Beggar’s Opera” zu Lasten einer unerbittlich rüden Realität verflacht wird. (Warum der Bordell-Boß aus Deutschland stammt und die deutschen Frauen alle einen flachen Po haben sollen, fragt man sich verwundert)

Macht, Gier, Geld, Grausamkeit sind brasilianischer Alltag – in Europa sind wir weitestgehend in dieser Vehemenz davon entfernt. So sehen wir mit Betroffenheit, dass die Schauspieler, eine harmonisch agierende Gemeinschaft deutscher und brasilianischer Sänger und Tänzer sich mit größter Wut und Leidenschaft engagieren, so dass deren Aktionen zuweilen ein kaum zu ertragendes Maß an bedrohlicher Realität annehmen.

Malandro – im Portugiesischen gibt es über 20 Bedeutungen, für dieses Wort, hier ist wohl der kleine Gauner gemeint, der seine hauseigene Bande hatte, Verbrechen im kleineren Maß verübte, vor Morden gewöhnlich zurückschreckte, aber gewinnbringend wusste, wie er sich Polizei und Politik durch Bestechung und Erpressung zu Verbündeten machen konnte. Heutzutage, so die Aussage dieser Bearbeitung, gibt es keine kleinen Verbrecher mehr, nur Große: Syndikate, Mafiosi,  und, so ist es ja mittlerweile im Theater üblich, dass auch Banken und global agierende Firmen in diese “ehrenwerte” Gesellschaft aufgenommen werden.

Der Inhalt gleicht dem Original der Dreigroschenoper: der geschäftstüchtige, skrupellose Bettlerboß, hier der Bordellbesitzer Fernandes de Duran (kühl und berechnend, gefährlich freundlich: Guido Renner) rivalisiert mit dem Oberganoven Max Oberseas (von selbstgefälligem Charme und betörender Treulosigkeit: Daniel Schröder). Der angelt sich nun ausgerechnet die Tochter des Feindes, Teresinha (Julia Gamez Martin mit sinnlichem Charme), die zunächst mit entzückender Naivität und späterhin mit entwaffnender Härte und kühlem Geschäftssinn die Ganoven beherrscht. Duran gewinnt den korrupten Polizeichef Chaves als Partner im Kampf um Geld, Macht und Ehre gegen Overseas. Claudio Goncalves als Chaves  ist der absolute Star in diesem gefährlichen Spiel um Leben und Tod und zugleich auch der Boss der Ober- und Unterwelt: kalt, gefährlich, unberechenbar. (Ein grandioser Tänzer und Spieler, der alles und alle im Griff hat).

Dass weder der Charmeur und Galgenanwärter Max noch sein Kontrahent Duran noch Chaves am Ende erledigt sind, ist wohl dem Hoffnungsschimmer zu verdanken, der die jungen Spieler dann doch in eine bessere Zukunft blicken lässt; so singen und tanzen sie turbulent über die vordere Bühne, während auf der Empore die hervorragende Band das Spiel beherrscht, und verpacken ihren Mut in ein buntes Potpourri bekannter Melodien:  “Tudo acaba em Samba” – alles endet im Samba. Na, denn! A.C.

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