Die Nibelungen DT

von   Friedrich Hebbel (1813-1863)

Deutsches Theater,  Regie Michael Thalheimer
Bühne Olaf Altmann, Kostüme Katrin Lea Tag, Musik Bert Wrede, Dramaturgie Sonja Anders
mit Gabriele Heinz (Ute), Ingo Hülsmann (König Gunther), Sven Lehmann (Hagen Tronje), Peter Moltzen (Siegfried), Felix Goeser (Volker), Moritz Grove (Giselher), Maren Eggert (Kriemhild), Natali Seelig (Brunhild), Jürgen Huth (Frigga), Michael Gerber (Kaplan), Markwart Müller-Elmau (König Etzel), Michael Schweighöfer (Markgraf Rüdeger), Markus Graf (Werbel)

 

Im Blutrausch: Gemetzel bei Etzel

Auf drei Bühnen in Berlin und Potsdam versuchen zur Zeit Regisseure und Schauspieler, das große Germanenepos von Liebe und Hass, Rache und Untergang der Nibelungen und der Burgunden nach Friedrich Hebbel textgetreu und bühnenwirksam zu inszenieren. Da der Mythos sich in grauer Vorzeit abspielt, als Jung Siegfried bereits dank seiner Tarnkappe, die er dem Zwergenkönig Alberich im Kampf abnahm, beinahe unsterblich, und durch das Blut des Drachen Fafnir gänzlich unsichtbar sowie durch zwei Riesenbrüder, die einander im Streit um ihr Erbe erschlugen, steinreich geworden ist, die Zeit der Götter ihr Ende gefunden hat. Bis auf die Walküre Brünhild, die von Odin (Wotan) in einer Edda-Version nach Isengaard verbannt, durch Gunter und Siegfried bezwungen und vernichtet wird und damit den Untergang der Nibelungen vollendet. Und das ist, nicht sehr viel anders als die Germanengötter auch, nicht nur archaisch, sondern es setzt dem verzauberten Erbe der Nibelungensagen brutal ein Ende, wenngleich auch hier alles Handeln unmittelbar von Gefühlen, Machtstreben und Herrscherwillkür bestimmt ist. Wie sonst ließe sich diese Version des vielfach beschriebenen und besungenen Mythos erklären, die sich hauptsächlich um bedingungslose Gefolgschaft, um die sprichwörtlich gewordene Vasallentreue dreht und diesen “Idealen” jeden menschlich-moralischen Anspruch – und die letzten beiden Halbgötter opfert. 

Aber, es ist nun einmal ein Epos, eine vielfach verschlungene spannende Anreihung von Sagen, deren aufwühlende, hochdramatische und spannende Verse vom revolutionären Zeitgeist Hebbels durchdrungen und mit einigen philosophischen Variationen verstandesorientiert und mit anachronistischen christlichen “Boten” aufgepeppt wird – und damit viel an ihrer schillernden Vielfalt verlieren. Zurechtgeschnitten auf ein blutiges Rachedrama, entbehrt es hier all jener reizvollen, spannenden Vorgeschichten und Versionen, die letztlich Brünhilds wie auch Kriemhilds Rache in einen Kontext der Geschichte und psychologischer Tiefgründigkeit stellen. Bei Hebbel und bei den Berliner Inszenierungen geht um Selbstbestimmung, Ehrverlust, Betrug und niederträchtige Lügen, unter denen die Walküre Brünhild zusammenbricht, und es geht um Verrat, Mord und unerbittliche Rache, mit der Kriemhild unter Aufgabe ihrer Würde ihren Gatten Siegfried rächen wird; es geht aber auch um den Anspruch Hagens, der die alte Herrschaftsordnung aufrecht erhalten will, um deretwillen er erbarmungslos ausrottet, was sich dieser in den Weg stellt. 

Was dies Epos so unendlich aktuell macht, was es in seinen Grundfesten nicht erschüttern kann, das sind die elementaren Gefühle der Menschen und die zivilisatorischen Vorgaben, die jeglicher Art von Emotion standhalten müssen, um nicht aufgeweicht zu werden und damit eine Sippe und eine Gesellschaft orientierungslos zu machen. Bereits in archaischen Vorzeiten wussten die Erzähler darum, und Dichter und Komponisten fügten zahlreiche Versionen zu einem theatralischen Ganzen, in dem die Menschen die Konsequenzen ihres Fehl-Verhaltens tragen müssen. Es sind stets die gleichen Themen, ob im klassischen Griechenland, in den nordischen, den arabischen, indischen und anderen Mythen – Liebe und Treue stehen Verrat und Treuebruch gegenüber, Mord und Rache sind die Antwort auf Willkür und Ehrverletzung. Auch im Christentum und unter anderen Religionen, reagierte die Menschheit darauf – wider besseres Wissen – stets mit blutiger Antwort.

Wer also diese eine Sequenz aus dem großen Mythos der “Edda” auf den Bühnen anschaut, sollte sich vorab mit dem Geschehen vertraut machen – denn überall wird durchweg sehr schnell gesprochen und die zu  tieferen Interpretationen animierenden Verse können nicht im Gedächtnis haften bleiben. Was in Erinnerung bleibt, wie jetzt im Deutschen Theater: das sind blutende, schreiende, grölende Sippenbrüder, das sind liebende, kämpfende, verhärtete und vernichtete Frauen, das sind Verrat, Mord und Feindschaft bis zur Auslöschung des ganzen Geschlechts der Nibelungen.
Da ist der absolutistische König Gunter von Ingo Hülsmann, der mit schwerem Pelzmantel und mächtigem Imponiergehabe seinen Mangel an Mut und Zivilcourage verdecken möchte und gerade dadurch zum schweigsamen Initiator des feigen Mordes an seinem Freund Siegfried Wird. Da ist Hagen – dessen Rolle als Rächer und Helfer seines Herrn Sven Lehmann mit der fordernden Härte seiner Stimme bedingungslos und stolz ausführt und ausfüllt: Er wird den Kampf für Gunter und gegen Kriemhild schließlich, im Blutrausch alle Burgunden mit sich reißend, bis zum bittern Ende führen. Und da ist – in der Eindringlichkeit ihrer Darstellung – Natali Seelig zu nennen, die als Brünhild wunderbar zunächst die weiche weibliche Seite der -scheinbar von Gunter – eroberten Walküre zeigt und dann, einer Medea, einer Penthesilea gleich, jäh zur Furie wird. Diese Brünhild, die bereits gegenüber der blassen Kriemhild (Maren Eggert) wild und wütend ihre Vormachtsstellung beansprucht, wird sich vollends wie ein wahnsinniges Teufelsweib gebärden, wenn sie von dem Gattenbetrug durch Siegfrieds unverständliche Unachtsamkeit erfährt. Denn ihre göttliche wie weibliche Intuition hat sie schon lange ahnen lassen, dass sie nur den Mann liebt, der sie wirklich eroberte. Und das ist nun einmal Siegfried (In einer anderen Saga weiß Brünhild darum und schwört Rache als sie erfährt, dass er sie um der Schwester Gunters willen verlassen hat). Ihre Liebe muss sich konsequenterweise in tödlichen Hass verwandeln, denn eine Halbgöttin, die sich  (wie Turandot) ihre Selbstbestimmung erkämpfte, die ihre Unschuld gleichsam als Bestand ihrer Welt bewahrte bis einer käme, der ihrer ebenbürtig und ihrer Kraft gewachsen wäre, ist dies wie ein Todesurteil. Zunächst erst einmal für Siegfried, der mit Peter Moltzen mit blonder Perücke, ebenso schwach wie treuherzig die Figur eines Helden verkörpert, der in eine falsche Gegenwart hineingeschlittert ist. Die Brüder Gunters, die – der eine kindlich noch und unentschlossen, ob er der Schwester Kriemhild zur Seite stehen oder dem Bruderkönig Gefolgschaft leisten soll (Moritz Grove als Giselher) und der markige Volker (Felix Goeser), der den Mord an Siegfried forciert – stehen in Reih und Glied dieser Hierarchie. Fremdkörper sind, s.o., natürlich der Kaplan (Michael Gerber), der von Hagen kurzerhand in den Rhein katapultiert wird, und “Frigga”, der büßfertige Mönch, der zu unpassender Zeit Vergebung gemahnt, von Thalheimer in eine absolute Nebenrolle verbannt (Jürgen Huth). Michael Gerber wird später noch einmal als Dietrich von Bern auftreten, der im Namen Etzels um Kriemhild wirbt und ihr Gefolgschaftstreue schwört – allerdings sich dann doch in das Blutgemetzel Gunters stürzt. König Etzel – eigentlich eine große, großartige Rolle, die den Hunnenkönig sehr differenziert darstellt – jedoch bleibt mit Markwart Müller-Elmau hier eher eine Randfigur bis er -gänzlich unerwartet – Kriemhilds Mörder erschießt, und somit allesamt ins Jenseits befördert sind: Etzels Soldaten, sein Sohn und die Nibelungen. Nur ihr Schatz bleibt zurück – tief im Schlamm des Rheins begraben, wo ihn die Rheintöchter listig hüten – womit man bei Richard Wagner angelangt wäre. Der ist allemal großartiger als alle Inszenierungen zusammen. A.C. 

 

 

 

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