…was sie bewegt

von Sungyop Hong, Choreographie

  Oldenburgisches Staatstheater (2013)

Bühne: Anike Sedella, Kostüm: Nora Bräuer, Musik Beat Halberschmidt, Gesang, Text und Komposition “Alegra”:Gili Govermann; Gedicht “I sit alone…” Ruben Albelda Giner; tanzhistorische Beratung: Dr.Susanne Schlicher
mit: Gili Goverman, Angela Herenda de Kroo, Bojana Mitrovic, Tijana Prendovic, Antonia Zagel, Ruben Albelda Giner, Rober Gomez, Marin Lemic, Thomas van Praet, Mattia de Salve


Die Energie fließen lassen…

“Die ersten zwei Wochen waren furchtbar!” Ein Bekenntnis, das nicht jede Compagnie bereit ist, abzugeben. Doch es haperte nach erster Euphorie, mit dem berühmten Koreaner Sungyop Hong zusammen arbeiten zu können, schlicht und einfach an der Verständigung. Man redete, deutete, tanzte aneinander vorbei; es scheiterte vor allem an der Sprache bis endlich die Erlösung kam: eine gute englische Übersetzung der Vorstellungen, die Hong an die internationale Tanztruppe weiterzugeben sich bemühte, und zum zweiten: der Tanzexperte aus dem fernen Osten dozierte nicht länger, sondern zeigte mit seinem Körper, was er sich vorstellte und was ihm am Herzen lag: die Tänzer sollten einen kleinen Teil fernöstlicher Philosophie in sich “aufnehmen, nach und nach lernen, ihre Energie fließen zu  lassen”. Ein Prozess, der, so der nicht gerade ermutigende Hinweis, ein Leben lang dauert…

Die mit internalen Tänzern zusammengefügte Oldenburger Compagnie begriff das Wesentliche glücklicherweise schneller, und als das komplizierte Werk endlich für die Premiere bereit war, gab es größtes Lob und übereinstimmende Anerkennung. Der Titel übrigens stammt von der großen Tanzchoreographin Pina Bausch, die die “innere Bewegung als Ausgangspunkt für die äußere” ansah, und der sich Hong intensiv verbunden fühlte. Und wirklich beweisen Bilder und Momente, das Tradition, Neues und Fremdartiges miteinander in übergreifenden musikalischen und tänzerischen Ausdrucksformen expressiv und harmonisch verbunden werden können.

Nicht alles ist sofort schlüssig und einsichtig, doch macht der Auftakt bereits neugierig: vor einer flockigen in große Quadrate aufgeteilten Rückwand steht ein roter, leicht geneigter Turm mit einigen Sitzbrettern, ein modernes Möbel, ein Bücherregal oder irgendetwas in der Art. Ein junger Mann lehnt daran, in schwarzem Frack und mit einem altmodischem Koffer als Requisit – fremd, suchend, sich hilflos orientierend. Andere Figuren, alle gleich gekleidet, eilen im Stakkato unerbittlicher Schlag- und Klangkörper kreuz und quer über die Bühne, rastlos, ziellos, unermüdlich, eine Ankunft oder ein Ziel gibt es wohl nicht. Aufbruch, Hektik, inhaltslose Geschäftigkeit? Gestik, Haltung und Rhythmen sind eindeutig fernöstlicher Natur: Die elegante, beinahe steife, ganz leicht nach rückwärts gebeugte Haltung der Tänzer könnte vielleicht die Enge kennzeichnen, aus der sich nach und nach auch in anderen Regionen unserer Welt die Kunst von gesellschaftlichen Zwängen lösen konnte. Sungyop Hong erinnert in seinem vieldeutigen Stück aber auch an eine alte Legende seiner Heimat: Zwei Liebende, die über eine wundersame Brücke nur einmal im Jahr zueinander finden können. So sind viele der Szenen zu verstehen, die sich mit der Symbolik von Brücken, Briefen, Verlorensein und endlich glücklichem Finden poetisch aber auch mit einiger Grausamkeit beschäftigen. Denn auch das äußere wie innere Exil des Koreaners und seines “Bruders im Geiste”, des Tanzpioniers Kurt Jooss (1901-1979), spiegeln sich in diesem anderthalb stündigen Werk, in dem Koffer die Reisebegleiter durch die innere und äußere Welt mit allerei schicksalshafter Symbolik darstellen.

Die zehn großartig motivierten Tänzerinnen und Tänzer dürfen aber nicht nur zeigen, was ihren Meister bewegt, sondern sollen gleichermaßen aus ihrer eigenen Geschichte erzählen, transparent machen, was “sie zu dem vorgegebenen Thema bewegt” – also Emotionen, Erlebtes, Erhofftes in der Begegnung mit dem Wanderer Hong zwischen den Welten traditioneller und neuer Ausdrucksformen. Man erlebt eine intensive, oft akrobatische, mit faszinierend neuartigen Stilelementen sich darbietende Choreographie, die zuweilen auch Humor verrät: Viele Elemente sind skurril  und ganz eindeutig, wenn beispielsweise Frauen am – kostbaren – Halsband wie Hunde vorgeführt und wie Marionetten als männliches Spielzeug bewegt werden bis schließlich die Zeit ihrer Befreiung anbricht. Untermalt mit der Einspielung eines Trompetensolos des großen Jazzmusikers Loius Armstrong und einem köstlichen Paartanz, in dem zieindeutig geklärt wird, wer ab jetzt die Führung übernimmt… In einer anderen Szene wird das Alte, Gestrige eingewickelt, als Mumie in den Kokon gezwängt, hin- und hergeschleudert, bis es als Neubeginn aufbricht.
Herzlicher Beifall für die tänzerischen Leistungen in einer beeindruckenden Vielfalt neuer Ausdrucksformen und einer starken emotionalen Interpretation bis hin zum letzten hoffnungsfrohem Bild, einem gesprochenen und nur mit wenigen Gesten untermalten Poem über alles, was die Welt lebens- und liebenswert macht. A.C.

 

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