Sweeney Todd, OL

The Demon Barber of Fleet Street” – ein Musical-Thriller von Stephen Sondheim, Buch Hugh Wheeler 
nach einer Adaption von Christopher Bond, Regisseur der Uraufführung 1979: Harold Prince, Orchestrierung von Johnathan Tunick, deutsch von Wilfried Steiner, Original-Broadwayproduktion
Oldenburgisches Staatstheater, 2016
Musikalische Leitung: Carlos Vázquez; Inszenierung Michael Moxham, Bühne und Kostüme: Jason Southgate, Co-Bühnenbild: Bettina John, Chor: Felix Pätzold, Dramaturgie: Valeska Stern, Licht: Steff Flächsenhaar
mit: Tomasz Wija als Sweeny Todd, Melanie Lang/Carolina Walker als Mrs. Nellie Lovett, Lukas Strasheim als Anthony Hope, Stephen Foster/Henry Kiichli als Richter Turpin, Martyna Cymermann/Alexandra Scherrmann als Johanna, Sandro Monti als Büttel Bamford, Friederike Hansmeier als Die Bettlerin, Kammersänger Paul Brady als Adolfo Pirelli und Mr. Fogg, Philipp Kapeller/TimoSchabel als Tobias Ragg 

Unfassbarer Reiz des Schaurig-Bösen

Carlos Vézquez weiß, welche Vorgabe er zu meistern hat! Nämlich: ein Musical über alle bisherigen Grenzen des Gefälligen mit einem Orchester in jene Düsternis zu treiben, die ebenso im Orgastischen des Bösen schwelgt wie im Romantischen der auf Liebe hoffenden Mrs. Lovett und des jungen Paares, die in den grausamen Strudel von unerbittlicher Rache und Wahn hineingezogen werden. Es gibt keine eingängigen Songs wie etwa noch bei der West-Side-Story, sondern Sondheim komponiert eine zuweilen schrille, nervenaufreibende Spannung, die die Handlung auf der Bühne gnadenlos vorantreibt, die Grausamkeit der geqälten, mißhandelten Menschen aus sich herauspeitscht und dann doch zuweilen wieder in die schmeichlerische Scheinwelt einer erhofften Normalität übertritt. In scharfen Dissonanzen, die an Strawinskiy oder Britten erinnern, dann wieder schwelgend in bombastischen wagnerianischen Bögen ergießt sich ein mitreißender Strom an instrumentalen Gefühlsebenen, an ebenso schillernden wie farbig kontrastrierenden musikalischen Schüben in einer bis dahin unbekannten, eher opernverwandten Version eines neuen Musiktheaters.

Die Charaktere sind intensiv ausgeleuchtet, folgen nach ihrer Eigenart und Bestimmung einem eigenen musikalischen Leitfaden, den es zuweilen in gemeinsamen Duetten oder Quartetten zu verbinden gilt., ohne dass dabei eine der Personen ihr individuelles Profil verliert. Das stellt höchste Anforderungen sowohl an die Sänger als auch an die Regie. Denn trotz aller inszenatorischen Vorgaben und der Broadway-Leitbilder müssen hier neue Akzente mit einem anderen Ensemble in einem anderen Jahrhundert gesetzt werden, ohne dass die Originalität der fiktiven Fassung verloren geht.

Denn, wie kann es sonst sein, dass man Menschen wie des von Rache und Verzeiflungswahn getriebenen Friseurs Sweeny Todd und seine ungleich lebenstüchtigere und durchtriebene Partnerin Mrs. Lovett so sympathisch findet und die märchenhafte Robin-Hodd-Moral “Erlaubt ist, was den Schwachen hilft”, ohne Skrupel aufgreifen möchte? Natürlich sind die Figuren entsprechend ausgeleuchtet, wären sie sonst zu ertragen? Und es ist ein Musiktheater, ein Spiel mit dem Kitzel unserer Nerven und Sinne, mit dem Schrecken, der dann letztlich doch nur auf der Bühne spielt und uns an die echte Wirklichkeit nicht heranläßt. Auch der von langer Seefahrt jetzt heimkehrende, alt- und bitter gewordene Sweeny Todd, dem einst in der Jugend ein skrupelloser Richter seine schöne Frau raubte und ihn in die Verbannung jagte, hat mit der düster traurigen Verlorenheit, die ihm Tomasz Wija verleiht, unser Mitgefühl. Und ist es nicht eigentlich diese vitale, ständig herausfordernde, ungebremste Frauensperson Mrs. Nellie Lovett, die ihn einfängt und ins endgültige Verderben stürzt?

Aber Melanie Lang, die in dieser Aufführung eine dermaßen skurrile und doch so fantastisch greifbare Persönlichkeit auf die Bühne brachte, hat auf Anhieb unsere Sympathie. Denn wer, bitteschön, offenbart seinem Gast sogleich, dass die Ware ungenießbar, die Pasteten beinhart sind und eigentlich widerlich schmecken? Aber das Geständnis weist zugleich in bester dramaturigscher Abfolge auf den weiteren Verlauf des Spektakels hin, wenn die Bäckerin zugleich hinterlistig beklagt, dass ihre Konkurrentin in dieser entbehrungsreichen Zeit sogar schon einige Katzen getötet habe… Diese Mrs.Lowett ist ein Bündel an Energie, an überwältigender Vitalität, eine faszinierende Nervensäge, deren Gesang ein einziges unaufhörliches Plappern ist, gegen das jederman sprachlos wird. Aber auch ihre zarte Saite kommt zum Klingen, musikalisch präpariert in ihren mitleidsvollen Erinnerungen an das tragische Schicksal von Todds Ehefrau und in ihren Sehnsüchten abseits des grausamen Geschäfts, wenn sie an eine Zweisamkeit in der Einsamkeit des Meeres träumt. HInreißend sind diese Szenen, die das blutige Dunkel im kurzen Aufblitzen eines Hoffnungstrahls ad absurdum führen.

Mit dieser unmoralischen Person bietet sich dem racheversessenen Todd die ideale Partnerin. Mit seinem klangvollen Bass-Bariton steht Tomasz Wija  als der für immer psychisch vernichtete Mann, der seine alten blanken Messer szeneübergreifend bedrohlich wetzt, als armer Teufel im theatralischen Fokus – und auf dem Dachboden seines Salons vor dem rot glühend ausgeleuchtetenTeufelsstuhl als einsamer Rächer über allen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Als er erfährt, dass der Richter seine Frau ins Elend getrieben, ihre Tochter als sein Mündel aufgezogen hat und diese sogar nun als Ehefrau für immer an sich binden will, wird seine Wut zum zwanghaften Wahn, dem fortan alle Männer, die in seinen Salon kommen, zum Opfer fallen. Dass sie sich nebenbei als gern gekaufte Pastetengrundlage anbieten, interessiert ihn dabei weniger. Mehr dafür Mrs.Lovett.

Aber es sind noch weitere Personen in diesem geschickt aufgebauten Kriminaldrama beachtenswert: der scheinbar etwas stupide Hausdiener, der durchtriebene Büttel des Richters und – natürlich die allerliebste Tochter mit ihrem Freier, der allen bösartigen Widerständen des Richters zum Trotz an der Befreiung des Mädchens arbeitet. Dass übrigens Sweeny und der Richter ein gemeinsames hohes Loblied nach beinahe Minnesängerart auf die schöne, vor allem blonde Weiblichkeit unisono singen, ist eine kösltiche Perfidie. Und dass Alexandra Scherrmann dabei wie Rapunzel auch in einem goldenen Käfig hockt und auf ihren Prinzen hofft, wie ein Vöglein zwitschert und dann plötzlich gar nicht mehr so sanft und hold ihre Flucht vorbereitet, würde uns ja versöhnen mit der Schlechtigkeit der Welt im Allgemeinen und der frei herumlaufenden Mörder im Besonderen. Aber so wie die Komposition für Dissonanzen sorgt und der Dichter die Irren in die Welt entlässt, wäre es  ja zu schön, wenn am Ende nicht etwas offen bliebe…

Und so hören und folgen wir denn mit immer neuem Schaudern dem warnenden Gesang des Volks-Chores, der so schön gruselig den Ablauf der unheimlichen Geschichte und so tiefgründig die Ballade des “Demon Barber of Fleet Street” intoniert. Wer sich an die Verfilmung dieser Stroy mit dem unvergleichlichen Johnny Depp und seiner Partnerin Helena Bonham Carter erinnert, wird feststellen, dass die kompaktere Bühnenversion mit einem einheitlich überschaubaren Bild und variationsreichen Gesangsstimmen ihren eigenen Reiz hat. A.C.

Zwei Zitate aus dem Programmheft für diese Inszenierung:

Stephen Sondheim: “Das Theater ist der einzige Ort, an dem man Facetten unseres Lebens vergrößert zeigen kann. Und das Melodrama und die Farce reopräsentieren hier die zwei Formen, in denen sich die Kuriosität am besten entfalten kann, die ich am Theater so liebe.”

Hugh Wheeler: Die größte Herausforderung bestand darin, diese zwei abstoßenden Charaktere so zu gestalten, dass das Publikum sie beinahe lieben könnte. Und ich glaube wirklich, dass die Leute Mrs.Lovett lieben – auch wenn sie keine einzige versöhnliche Eigenschaft aufweist.” 

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