Der Schmerz

nach Marguerite Duras
Deutsches Theater

Regie: Corinna Harfouch,
Musik: Johannes Gwisdek, Bühne: Julia Oschatz
Mit: Annette C. Daubner,  Corinna Harfouch, Hermann Heisig und Anna-Luisa Recke

 

Eine Erzählung macht noch kein Theater

Vermutlich besuchen die meisten Gäste diese kleine Inszenierung nach einer autobiografischen Kriegsnovelle der französischen Autorin Marguerite Duras allein, um Corinna Harfouch zu erleben, die mittlerweile als dramatische Schauspielerin zum Film- und Fernsehliebling aufgestiegen und im Deutschen Theater allen immer noch bestens in Erinnerung in ihrem mit Ulrich Matthes wahrhaft schmerzvoll durchlittenen Ehedrama “Wer hat Angst vor Virginia Woolfe?” geblieben ist.

In dieser eigens von ihr eingerichteten Inszenierung erlebt man Harfouch nur im ersten Teil auf einer seltsam eingerichteten und ständig neu umgerichteten Bühne. Von unzähligen schwarzen Pappkartons umgeben, mal eingeschlossen, mal in der Weite der Bühne (je nach Art ihres Gemütszustands) erzählt sie als Marguerite aus ihrem Tagebuch, zu dem sie 1945 in den letzten Tages des Krieges greift – und das von Hoffnung, Angst, Verlust, Trauer, Ohnmacht, Verwahrlosung erzählt, die sie umfängt und einfängt während der schrecklichen Zeit des Wartens auf ihren durch Verrat eines Landsmann nach Bergen-Belsen deportierten Ehemanns.

Vernachlässigt an Seele und Körper schlüpft Corinna Harfouch mit verbaler Intensität, doch unbeteiligt im Ausdruck, in die Rolle der leidenden Frau; aber sie bleibt in Distanz zur Erzählung, in der die schwarze Kälte, die die Tagebuchschreiberin umgibt, alles Leben aus ihr herausgerissen hat. Diese (die Duras) fällt und fällt in depressive Tiefe und Aussichtlosigkeit, leidet an Schlaflosigkeit, an Unruhe, Nahrungsmangel, sie läuft und flüchtet vor ihren Wünschen und Ängsten ziellos durch Paris, zum Freund, der sie auffängt. Das alles muss man sich schon lebhaft vorstellen (und am besten die Erzählung kennen) – oder sehr angespannt auf das junge Paar achten, das sich expressiv in Sprüngen und Drehungen mit einander beschäftigt (und verausgabt!), einander umklammert, rennt, springt, tanzt und turnt – Annäherung, Entfremdung, Enttäuschung: als alter Ego von Marguerite und ihrem Mannes Robert. Ein getanzter Traum, in dem der Geliebte, wenn er zurückkehrt, sich wie früher am Meer wird sonnen und wohlfühlen können- in Zufriedenheit ihrer Zweisamkeit.

Und dann: das Erwachen, Robert kehrt tatsächlich zurück – als Wrack, als hoffnungsloser Fall;  doch zäh kämpft er mit ärztlicher Hilfe um sein bisschen, beinahe lebloses Leben, das ihm vergönnt bleibt. Doch die Duras hat ihn mit ihrem Schmerz begraben. Der Mann, den sie liebte, dessen Rückkehr sie sich bis zum Wahnsinn erhoffte, den gibt es nicht mehr. Der Heimkehrer ist ein Anderer, ein Fremder. Beinahe gefühllos, oder, eher distanziert, weit fort von der Realität, betrachtet und beschreibt sie diesen furchtbar versehrten Menschen, aber sie liebt ihn nicht mehr. Und so wendet sie sich endgültig dem anderen Mann zu, um eine Familie zu haben.

Dann der zweite Teil – wieder und ständig werden ja diese Pappkartons von den stummen Schauspielern herumgeschleppt, aufgetürmt, geschachtelt, verteilt, bemalt und neu dekoriert zu Symbolen des Lebens, des Todes, der Einsamkeit – als ob es das Leben selbst ist, das hier in seiner ständigen Bewegung und Neuorientierung vor Augen geführt wird. Wäre das nicht so langatmig – und störend -, könnte diese Metapher sogar überzeugend sein! Jetzt übernimmt Anna Luisa Recke, die zuvor als Tänzerin die junge Duras darstellte, den Part von Harfouch und erzählt schnell und hell, wie sie – einst – den Verräter aus eignen Reihen gedemütigt, gefoltert, gequält hat – kein Fünkchen Mitleid mit dem Verräter, der mit besonderer Kennkarte Zugang zur Gestapo-Zentrale hatte und die Widerständler und Juden des eigenen Landes preisgab.

Das Ganze ist natürlich kein Theater, es ist eine mit Musik ( “La mer” und  ” J’ attendrai”) verzerrte und mit übermäßigen Kulissenkästen versprengte Erzählung mit verteilten Rollen. Aber was ist daran im neuen Theater so neu? A.C.

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