Das Himmelszelt, B

Ein Gerichtsdrama von Lucie Kirchwood, erschienen 2020
Deutsch  von Corinna Brocher
Deutsches Theater, 2022

Regie: Jette Steckel, Dramaturgie Anika Steinhoff, Bühne Florian Lösche, Kostüme Andrea Schraad, Musik Mark Baldur, Choreographie Dominika Knapik, Licht Matthias Vogel, Maske Andreas Müller, Chorleitung Benedikt Reidenbach
Jury: mit Leilla Abdullah, Lena Brückner, Karin Neuhäuser, Franziska Machens/Kotbong Yang, Almut Zilcher, Birgit Unterweger, Linda Pöppel, Anja Schneider, Birte Schnöink, Dominika Knapik, Ursula Werner; Gerichtsdiener, Ehemann: Manuel Harder, Arzt: Enno Trebs, Tochter der Hebamme: Livia Mello Wagner/Ylvie Wolff

Zwischen Willkür und Recht

Die britische Dramatikerin Lucy Kirkwood hat ein klassisches Gerichtsdrama in einer Mischung aus DIE ZWÖLF GESCHWORENEN und HEXENJAGD für ein fast ausschließlich weibliches Ensemble geschrieben. Es spielt im Jahr 1759 in einem kleinen Dorf an der englischen Ostküste, wo eine verurteilte Mörderin um ihr Leben kämpft. Sally Poppy ist von ihrem Mann angeklagt worden, die 9jährige Tochter ihrer Herrschaft, einer mächtigen Adelsfamilie, getötet zu haben. Als ihr Todesurteil verkündet wird, behauptet sie, schwanger zu sein. Da das Urteil gegen sie nicht zugleich an dem unschuldigen Leben in ihrem Körper vollstreckt werden kann, müsste die Hinrichtung in diesem Fall ausgesetzt werden. Um die Wahrheit ihrer Behauptung festzustellen, werden zwölf Matronen des Dorfes als Geschworene bestellt und in einem engen, fensterlosen Raum für die Zeit bis zu ihrer Urteilsfindung eingeschlossen. Nur der Gerichtsdiener ist, allerdings ohne Sprecherlaubnis, bei ihnen. Dass diese Frauen, durch verschiedene Beziehungen miteinander Freund oder Feind sind, dass sie sich einer Aufgabe gegenübersehen, der sie nicht gewachsen sind, dass sie selbst in einer ungerechten Welt kaum in der Lage sind, zwischen Schuld und Sünde, Recht und Gerechtigkeit zu unterscheiden, dass ihre sozialen Verhältnisse selten rosig und zudem sehr unterschiedlich sind und sie keinerlei Mitleid für sozial unterrangige Dorfbewohner haben – all  das spielt sich in den folgenden  pausenlosen drei Stunden auf einer Bühne jenseits der Außenwelt ab – wo von außen allerdings zuweilen die Rufe einer aufgebrachten Menge nach der Vollstreckung des Urteils dringen.
Da man die zwölf Frauen plötzlich und unfreiwillig zu Verteidigerinnen einer Mörderin innerhalb eines Rechtssystems gemacht, das ihnen bisher – und auch in weiteren Jahrhunderten noch – fremd und feindlich gegenübersteht, macht aus dem Ringen um Gerechtigkeit eine makabre Farce.

Da das Stück als Roman erschienen ist und im Nachherein als Theaterfassung bearbeitet wurde, fehlt es an klaren, gut gesetzten Dialogen, an Passagen, die Emotionen hochkochen lassen, an einer von der klugen und erfahrenen Hebamme geführten Verteildigungsstrategie, an klaren Strukturen der verschiedenen Charaktere der Frauen, die zwar in ihrer Rollenzuweisung einheitlich gekleidet und maskiert in blassroten Stoffen auftreten, doch damit auch aller Individualität zunächst entkleidet sind. Alles ist überwiegend in dieser verschwommen Farbe gehalten, die Wäsche, die an der Leine hängt, die Hauskleidung  der Frauen – ein in Blut gewaschenes Zeitalter, zu dessen Alltag auch noch Hexenverbrennungen, Mystik, Aberglaube, gefährliche Klischees und Vorverurteilungen gehören, und   in dem diese Frauen ihrer Aufgabe keineswegs mit Wohlwollen entgegensehen.

Und  diese, Katy Luke, ist mitten unter ihnen. Anders, als bei den klassischen zwölf Geschworenen mit Henry Fonda, wo der Angeklagte nicht anwesend war, sondern die Männer diesen aus der Perspektive von Indizien be-bzw.verurteilen mußten, ist hier die Täterin anwesend und muß den verbalen Anfeindungen und Attacken der Frauen standhalten. Sie tut dies trotzig, agresssiv, gewöhnlich, indem sie, mit Beleidigungen um sich werfend, einen Schutzwall für ihren mageren Körper versucht aufzurichten, für ihr fehlendes Selbstwertgefühl, ihre desolate Kindheit als elternloser Findling, für ihren von Hass und Wut und Schlägen durchlittenen Ehealltag. Als nach und nach die immer wieder mit energischer wie mit sachlicher Güte geführten Bemühungen der Hebamme Sarah (Almut ZIlcher) um das Einbringen von Verantwortung, vonr Menschlichkeit bei den Frauen auf Gehör trifft, kann endlich ein Arzt angefordert werden, der die Schwangerschaft von Katy untersuchen soll. Dass dieser die zu seiner Zeit nicht gerade zarten Methoden für diese Überprüfung anwendet, vermitteln die unerträglichen Schmerzenschreie der Gepeinigten. Aber das frühe Stadium ihrer Schwangerschaft wird bestätigt, und damit müßte nun nach endlosen, harten Debatten die Todesstrafe aufgehoben werden. Der Verurteilten allerding steht nun die Verbannung bevor. Da meldet der Gerichtsdiener den Besuch der betroffenen Eltern, des über alle herrschenden und alles beherrschenden Grafen und seiner Frau, an.

Und nun geschieht etwas Befremdliches: Es wird nach einem Arzt gerufen, und niemand weiß im Publikum für wen – für jemanden im Ensemble hinter der Bühne oder für die Frau auf der Bühne, die vom Gerichtstdiener tätlich angeriffen worden ist. Das Publikum verläßt zögerlich und verunsichert den Saal, und das Spiel ist aus. Aber es war auch eigentlich viel zu lang, und das Ende liegt nahe. Anerkennender Beifall für die anstrengende Darstellung aller Beteiligten, die ihr Bestes gaben .A.C.

Am 13. März 1759 fliegt Halley sehr nahe an der Erde vorbei. Er ist einer der lichtstärksten Kometen, der sich alle 74 bis 79 Jahre unserem Planeten nähert, das nächste Mal voraussichtlich am 28. Juli 2061. Wie ein etwas unzuverlässiges Uhrwerk verbindet er die Zeiten, als Symbol für dieses Drama. 

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