Das Dinner, B

nach dem Roman “Angerichtet” von Herman Koch

Deutsches Theater Berlin, Premiere 2024

Regie: András Domotor, Bühne Ann-Christine Müller, Kostüme Almut Eppinger, Musik Tamás Matkó, Video Báhut Kolozsváry, Licht Matthias Vogel, Dramaturgie Karl Mäder

mit: Ulrich Matthes als Paul, Maren Eggert als seine Frau Claire, Bernd Moss als sein Bruder Serge, Wiebke Mollenhauer als dessen Frau Babette, Carlo Krammig als Michel, Sohn von Paul und Claire, sowie als Kellner, Jens Koch als Oberkellner und Andre Schewardi als Kellner.

Bei wem liegt die Schuld?

Die Inszenierung leidet unter anderem darunter, dass der Regisseur und sein Team den Autor moralisch und sozialkritisch politisch korrekt überholen möchten. Damit wird der dumpfe Sarkasmus des Misanthropen Paul Neumann durch den Charme von Ulrich Matthes ins Komische verwandelt, das Publikum lacht, wo es eigentlich eiskalt erschaudern müsste. Denn Matthes ist alles andere als ein gefährlicher Psychopath, der die Menschen allgemein und seinen Bruder ganz besonders hasst und damit den kriminellen Bodensatz  in der Entwicklung seines Sohnes und die krankhafte Zuneigung seiner Frau verantwortet. Dafür wird hier wird Claire alias Maren Eggert so lange schweigend und beschwichtigend eingesetzt, dass man ihr den letzten großen Ausbruch eigentlich gar nicht glauben möchte. Die Abgebrühtheit, wie sie hier den Schlussstrich setzt, überrascht und überrumpelt die Absicht des Autors, der den Spannungsbogen auf  permanent vibrierenden Saiten in der Romanvorlage eigentlich anders führt.

Auch  Serge, der arrogante, selbstverliebte Politiker, der gerne Präsident werden möchte und halt die Rolle spielt, die von allen Prominenten in der Öffentlichkeit erwartet wird. Bernd Moss verinnerlicht dies Spiel, um allen Schein zu wahren, vortrefflich und gerät damit in das Visier der Frauen und des hoch temperierten Bruders, der seine Angst nun im Schweigen verbirgt und die Frauen agieren und angreifen lässt. Ein Schlachtfeld, auf dem vier Personen einen Ausweg, eine Entschuldigung, ein Motto für ihr Versagen suchen und meinen, es in der Gesellschaft verankern zu können.  Serge spielt den überlegenen, rechtschaffenen, dem Gesetz ergebenen Politiker, genießt die Bevorzugung des Personals, weicht den Beschuldigungen seiner Familie geschickt aus, pariert alle Vorwürfe elegant, auch wenn sie in Tätlichkeit ausarten. Amt und Ansehen schützen ihn, so glaubt er.

Dass seine Frau Babette bei diesem schalen Dinner von Anfang an mit Depressionen  auf eine unerfüllte Ehe und Vernachlässigung ihres Mannes reagiert, ist allzu offensichtlich, auch wenn sie eigentlich ziemlich still dasitzt und vor sich hin leidet, sich hinter ihrer Sonnenbrille versteckt und wie alle anderen auch dem entscheidenden, wirklich existenziellen Gespräch ausweicht, dass sie eigentlich in diesem Restaurant führen wollten.

Dass die drei Kellner hier durch ihre fröhliche wie unerträgliche Effekthascherei den einzigen Schwung in die der Langeweile ausgesetzten Darbietung bringen, ist zudem völlig fehl am Platze.

Es geht natürlich um vieles andere mehr als eheliche Konflikte, zynische Menschenverachtung, beleidigende, verbale Attacken und einem ständigen Verlassen des Tisches, während die Speisen serviert werden. Keiner kommt wirklich dazu, die sparsame Dekoration auf den ständig wechselnden Gedecken zu kosten, aber dafür greifen sie in ihrer Angst und Hilflosigkeit mehr als gut ist zum Wein, den der auf Umsatz beflissen bedachte Kellner permanent nachschenkt. Und somit  kann gar kein „vernünftiges Gespräch“ mehr stattfinden. Der Alkohol stört Verstand und Einsicht, setzt dunkle Ängste, Vorurteile und Hilflosigkeit frei und entmenschlicht die Zivilisation.

Was die vier zusammen führt, ist in Wahrheit schrecklich, und dass sie diese unaussprechliche Tat ihrer drei Söhne in einem Gourmetrestaurant besprechen wollen, entspricht  ihrer Geistesgröße. Angerichtet. Das trifft in bester Doppelbödigkeit zu. Häppchenweise kommt nicht nur die überkandidelte Speisenzufuhr, sondern auch die unbegreifliche Wahrheit zutage, dass ihre Kinder zu uneinsichtigen Schuldigen an dem Tod einer obdachlosen Frau geworden sind. Sie haben den Vorgang auf ihren Smartphones als großartige Tat gepostet, und sich selbst in ein Dilemma gestürzt, dass ihre Eltern uneinsichtig leugnen und an sich abprallen lassen möchten.

Die ungeheure Realität, die nur die Eltern bisher in ihrer ganzen Schändlichkeit  durch die heimliche Überprüfung von Michels Handy  erfasst haben, könnten sie nur begreifen und in eine moralisch und gesetzlich korrekte Bahn lenken, wenn sie sich ihrer eigenen Schuld bewusst würden. Aber Ignoranz und Blindheit verschließen eine ehrliche Lösung, die die Rettung ihrer Familien und ihrer Zukunft ermöglichen könnte. Und während der Politiker Serge die wütende Tischrunde verlässt, um sich für ein Interview mit einem Journalisten in einer anderen Kneipe zu treffen, offenbart Claire, warum die Tat ihrer Kinder niemals zu einer Konsequenz zu ihrer aller Verhalten führen wird. Ihre Lösung ist eine andere, eine teuflische.

Das ist unfassbar und scheint, irgendwie verdächtig, auf die politischen Auswüchse in unseren Demokratien hinzuweisen. A.C.

 

 

 

 

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