Mein letzter Seufzer

von Luis Bunuel
Stiftung Schloss Neuhardenberg (2012)

eine Lesung mit Klaus Maria Brandauer,
begleitet von Arno Waschk, Klavier

 

“Irdische Vergnügen”

In ihrem vielfältigen Kulturprogramm bietet die Stiftung Schloss Neuhardenberg in diesem August u.a. weitere Lesungen mit Klaus Maria Brandauer am 16.,17.,18 August “Ein Sommernachtstraum” von William Shakespeare sowie am 23. und 24.  “Böhmen liegt am Meer” mit Texten von Franz Kafka, R.M.Rilke, Ingeborg Bachmann, Bertold Brecht. Arno Waschk und das Wallenstein Quartett begleiten den Schauspieler mit Auszügen aus den Werken von Anton Dvorak, Erwin Schulhoff, Gideon Klein und Hans Krása. Alle Aufführungen finden in der Schinkelkirche statt. Die Plätze sind nicht nummeriert.

An den Anfang dieser Reihe stellte Klaus Maria Brandauer Textauszüge aus den Erinnerungen des spanischen Filmemachers und Surrealisten Luis Bunuel, der Zeit seines Lebens die intellektuelle Filmwelt zu schocken und zu faszinieren verstand. Er war mit Salvatore Dali nicht nur befreundet, sondern vielleicht sogar seelenverwandt und produzierte 1929 seinen ersten Film mit dem kongenialen Maler. Selbst aus wohlhabendem Hause stammend und somit der Eliteklasse der spanischen Gesellschaft angehörend, konnte er es sich leisten, gerade diese zu verachten, zu schmähen, zu demaskieren. Und natürlich die Kirche und ihre zeitweilige Scheinheiligkeit gleich dazu.
Was den Schauspieler aber in erster Linie an den Erinnerungen Bunuels faszinierte, war wohl dessen Selbstironie, gepaart mit einer eher gleichmütigen Akzeptanz für die unvermeidbaren Schläge, die das Leben für jedermann auszuteilen bereithält. Ein Sinnenmensch im Geiste Epikurs, ein Bonvivant, ein Frauenverehrer, ein Liebhaber der Schönheit und des guten Lebens schlechthin, ein Freund des Alkohols, des Tabaks und des guten Essens.

Und nun zu Brandauer: ein Schauspieler von höchstem Niveau, der in höchsten Klasse spielt; ein Darsteller mit Herzensblut, mit Charme, von teuflischem Temperament und mit präziser Disziplin. Ein Mann der großen Rollen, der sogar modernen Wichtelmännern im heutigen Regiekarussell Format geben könnte, wenn er denn solche Rollen überhaupt anzunehmen gezwungen wäre.

Und nun das: Er stürmt herein auf das kleine Podium, streng konzentriert, wirft sich eher auf den Lesestuhl hinter dem schmalen Pult, legt los; sein Klavierbegleiter flitzt ebenfalls ohne umständliche Begrüßungszeremonie an die Tasten. Man könnte vermuten, beide hätten es eilig und stürzten sich schnell noch kopfüber in ein neues Abenteuer, das sie auch ohne Publikum völlig in Anspruch nehmen würde. Aber das Publikum ist da, schweigt, wartet, atmet kaum, besonders, wenn es im Textbuch um Erinnerungen an den geistigen Verfall der Mutter Bunuels, um die Kindheit oder, nun am Ende, um seinen eigenen, zu erwartenden Abschied geht.

Doch dann wieder schwelgt Brandauer mit genüsslicher Selbstdarstellung (spielt er sich oder den Autor?) in den “irdischen Vergnügungen ” des in abstrusen, unvorstellbaren phantastischen Welten verhafteten Spaniers, dessen Unbedingtheit in der Liebe, im Leben, für die Kunst und in Sachen Tod er natürlich nicht vorliest, sondern spielend erzählt oder erzählend spielt. Seine Mimik wandelt sich unaufhörlich; den ernsten, nachdenklichen, verkapselten Sentenzen folgt wie eine Erleichterung ein Aufatmen, das die heitere Erinnerung an sinnliche Episoden in Unbeschwertheit, gepaart mit der Weisheit des Alters, die er aus der gegenwärtigen Perspektive zu abstrahieren versteht, begleitet.
Brandauer lehnt sich zurück, verrät verschmitzt so manch intimes Geheimnis und macht sich das Publikum zum verbündeten Gesprächspartner. Wenn in diesem Moment jemand aufstehen würde und wollte sagen, dass er gerade jetzt das alles gut versteht, was da erzählt wird, man hätte ein wunderbares Beispiel für eine lebendige Interaktion zwischen Künstler und Publikum, so wie Brandauer es vielleicht seinen Studenten als Professor am Max Reinhardt-Seminar in Wien vermitteln möchte.

 Dazwischen, den Textpassagen angemessen, langgezogene, schwere Tonfolgen von Wagner, Ravel, Manuel de Falla, Claude Debussy und Isaac Albéniz. Kurzer herzlicher Applaus. Brandauer und Waschk danken, gemessen, angemessen. Keine Ovationen erwartend. Sie haben uns die Persönlichkeit eines außergewöhnlichen Mannes und dessen Weltsicht an diesem Abend näher gebracht. Nicht mehr und nicht weniger. A.C.

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