Otello

Trauerspiel in vier Akten
uraufgeführt 1604 in London
Dramma lirico in vier Akten Libretto von Arrigo Boito nach Shakespeares Tragödie „Othello, the moor of Venice“ Uraufführung am 5.Februar 1887 in Mailand
Premiere an der Deutschen Oper Berlin am 30. Mai 2010

Musikalische Leitung Patrick Summers; Inszenierung Andreas Kriegenburg; Bühne Harald Thor; Kostüme Andrea Schraad; Licht Stefan Bolliger; Dramaturgie Katharina John; Chöre William Spaulding; Künstlerische Produktionsleitung Christian Baier, Kinderchor Dagmar Fiebach; Choreographie Zenta Haerter

Othello: José Cura; Jago: Zeljko Lucic; Cassio: Yosep Kang; Rodrigo: Gregory Warren; Lodovico: Hyung-Wook Lee; Montano: Jörn Schümann; Desdemona: Anja Harteros; Emilia: Liane Keegan; Ein Herold: Lucas Harbour; Chor der Deutschen Oper Berlin; Kinderchor der Deutschen Oper Berlin, Orchester der Deutschen Oper Berlin

 

Otello: Antiheld in Hosenträgern

In Erinnerung behalten wir den süßen Schmelz der hingebungsvoll leidenden Anja Harteros, Publikumsliebling – ein Stern am Opernfirmament: vom Scheitel bis zur Sohle eine Dame: Desdemona (sehen wir von den grässlichen Kostümen: blaues Küchenkleid und überdimensional geschmackloses Brautkleid einmal ab – die Tochter eines Dogen hätte sich wahrhaftig fürstlicher gekleidet, und dann noch als Italienerin)!
Wie man der Griechin die mediterrane Schönheit und die reine Gesinnung an Geist und Seele abnimmt, so legt man bei ihrem hitzigen Otello, der keinen Moment lang Zweifel an seiner alle vernichtenden Eifersucht aufkommen läßt, eher psychologische Maßstäbe an. Seine emotionale Unausgewogenheit, die seiner erfolgreichen Macht- und Führungsrolle widerspricht, seine Minderwertigkeitkomplexe, die sicher nicht nur aus seiner afrikanischen Herkunft herrühren, werden, seit Verdi sein vielleicht bedeutendstes aller Shakespearedramen in einen musikalischen Rausch umsetzte, als Erklärung für ein Verhalten bemüht, das in hohem Maße verwunderlich ist. Denn in der Weltstadt und Seemacht Venedig gingen Orient und Okzident ein und aus, und man war es gewöhnt, Kaufleuten, Seefahrern und Gesandten andrer Hautfarbe täglich auf der Piazza zu begegnen. Musikalisch kennzeichnen die tiefen Bläser die Charaktere von Otello und Jago und zeigen deren wahnsinniges und dämonisches Charakterbild.

Nein, das waren weder Shakespeares noch Verdis wahre Motive, diese innigste aller Liebesgeschichten in die traurigste aller Eifersuchtstragödien zu verwandeln. Wahn und Wirklichkeit vermischen sich in Otellos unsicherem Selbstwertgefühl, denn weder scheint er in seiner Persönlichkeit noch in der Liebe zu Desdemona gefestigt zu sein – ist es bei ihm gar nur eine erotische Anziehung, die verklingen kann, und deren langer Bestand nach Otellos Erfahrung (sicherlich!) fraglich ist? Und dass er daher nicht annähernd erfassen kann, wie seelentief Liebe sein kann? Auch diese Interpretation gibt es häufig.

Nun wird dieser Mensch, dieser stattliche, viel dekorierte Feldherr  in der “modernen” Regie von Andreas Kriegenburg, derzeit gefragter Opernausstatter, in ein derbes Wams mit Hosenträgern gesteckt, um seinen neuen Status als Gouverneur der Insel Zypern zu kennzeichnen. Die Regie macht aus ihm zwar einen leidgeprüften, weil kleinmütigen und kleingeistigen Otello, aber der kraftvolle Tenor des rollenerprobten Argentiniers Jose Cura  gleicht trotz intensivster Passagen eben keinem Domingo, an dem diese Rolle seit je her haftet wie Honig.
Man erschaudert ob der leichten Verführbarkeit seines blinden Herzens, das zunehmend von den bitteren Giftpfeilen Jagos infiziert wird. Er ist auch unsicher als Mann des Schreibtisches, der dann auch an der Seite der Bühne eher beiläufig steht. Die wird von sieben Stockwerken mit wabenartigen Zellen bedrückend umrahmt. In den Käfigen kauern Menschen, zerlumpt, müßig, mit Koffern und Fernsehgeräten (für jede Zelle eins!) ausgestattet und stellen den Chor und den Bewegungschor da, der – Verdi würde es nie verzeihen –  in dieser schallgedämpften Atmosphäre seine erwartete Klangschönheit nicht entfalten kann. Zu hart auch setzt das Orchester unter Patrick Summers von Anbeginn auf dramatische Furore – gehetzt und gejagt wie Otello von den Zweifeln an der Treue und Liebe seiner Frau, von dröhnenden Kopfschmerzen gepeinigt. Die weiche, nachdenkliche Besinnung, die Öffnung von Seele und Herz, zu der ihn die beinahe sphärisch leuchtende abgestimmte Soloinstrumentierung begleitet, ist nicht von Dauer; Ferne und feine Klänge erreichen sein Herz nicht mehr.

Und was ist mit Jago, der, persönlich und militärisch zu kurz gekommene Intrigant aus Passion, der sich als Vertreter und Erfüller des Bösen sieht und keine Minute ruht, um das Feuer zu schüren, indem er geschickt Verdachtsmomente fortentwickelt und mit seiner Intrige die Menschen in den Tod treibt? Zeljko Lucic allerdings ist kein Bösewicht nach Art eines Richard III. oder ähnlicher blaublütiger und blutdürstender Vorbilder; sein all umfassender fester Bariton genügt wohl nicht, um diese infernalische Figur transparent zu machen und das Publikum das Gruseln zu lehren. Er ist so jovial und sympathisch hinterhältig, dass ihm Otello trotz anfänglichen Argwohns, leicht auf den honigsüßen Leim geht – und nun passen auch die Bienenwaben wieder. 

In dichter und düsterer Stimmung vibriert der vierte Akt: in einem leeren, mit dunklem Holz getäfelten Schlafzimmer warten Desdemona und ihre Zofe Emilia, Jagos Frau, auf Otello. Und die kühle, angsterfüllte Atmosphäre wird mit Desdemonas herzerweichenden Sehnsüchten, Ängsten, Gewissheiten erfüllt und fühlbar. Anja Harteros schickt ihre Liebespein in zartesten Pianissimi in eine grausame stumme Welt, zelebriert ihre Hilflosigkeit in letzter Frömmigkeit Seelenpein, wirbt um Otello mit inniglicher Wärme und Hingabe und setzt damit den ausgleichenden Ruhepol zu Summers Fortissimo-Dirigat.
Das Lied von der Weide und ihr Ave Maria hört man wohl selten so – als einen ausklingendem Lebenshauch – ein letztes helles Aufflammen vor der fürchterlichen Gewissheit, dass Otello sie töten wird. Und der letztlich und furchtbar tragisch von seiner eigenen Frau Emilia erfährt, wer die Intrige gesponnen hat, dass es keinen Liebhaber gab und Desdemona unschuldig ist, was verkündet dieser Mann da? Unfassbar, aber diese Worte sind der Schlüssel zu seinem egozentrischen Wahnsinn: nun wird er kein Heer mehr führen, es wird keinen Nachruhm geben! Er trauert um Ruhm und Macht – und um Desdemona? Sie ist, so sein letztes Wort, bevor er sich die Pistole an den Leib drückt, “nur unter einem schlechten Stern geboren”! Er hatte sie schon zu ihren Lebzeiten begraben.

Na, wenn sich da nicht eine tolle Inszenierung draus hätte machen können: Dazu ein Venedig, wie es seine Feste zu feiern verstand, seine Macht entfaltete, seinen Eroberungen und seinem Übermut noch keinerlei Grenzen gesetzt waren, und diametral: das Liebesdrama inmitten einer verrohten Kriegergesellschaft, für die List und Intrige, Tod und Folter an der Tagesordnung waren. Und inmitten eine behütete und verwöhnte schöne junge Frau, die auf Zypern in drückender Einsamkeit landet. Regisseur Kriegenburg wollte das Drama in die Gegenwart versetzen – aber damit hätte er konsequenterweise sämtliche Logik in Desdemonas Verhalten ad absurdum geführt! Liebe, Leid und Tod – das sind, zeitunabhängig, die beherrschenden Themen des Lebens – und des Theaters. Verdi und sein kongenialer Librettist Arrigo Boito haben die Vorgaben William Shakespeares in die Idealform der italienischen Oper verwandelt. Man sollte ihnen treu bleiben. A.C.

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