Die Dreigroschenoper, B

von  Berthold Brecht/ Kurt Weill
Berliner Ensemble, 2013

Regie, Bühne und Choreographie: Robert Wilson; Musik: Hans-Jörn Brandenburg, Stefan Rager, Kostüme: Jacques Reynaud, Mitarbeit Regie: Ann-Christin Rommen, Mitarbeit Bühne: Serge von Arx.  mit:  Drechsler, Engelmann, Glöss, Hoess, Junge, Senckel, Reppin, Völsch, Winkler; Buttchereit, Holtz, Jacoby, Kamninski/Pleßmann, Kurt, Nell, Schmidinger, Schneider, Singer, Thiema, Tsivanoglou, Werner, Znidaree 

Der Haifisch hat noch immer scharfe Zähne

Die “Beggar’s Opera” (John Gay) wurde von Berthold Brecht und Kurt Weill mit allerlei Moritaten und musikalischen Zutaten hintergründig zusammengefügt und erlebte 1928 am Theater am Schiffbauerdamm unter der Regie von Erich Engel ihre Uraufführung als “Dreigroschenoper”. Sie wurde ein durchschlagender Erfolg, den das Haus seinerzeit finanziell auch bitter nötig hatte, und sie stand bis bis 1933 fortwährend auf dem Spielplan! Jetzt wird sie von dem texanischen “Theaterzauberer” Harold Wilson als einzigartiges Kunstwerk wieder im Berliner Ensemble gezeigt, und sie gehört zusammen mit Shakespeares “Wintermärchen” und Büchners “Leonce und Lena” (Musik: Herbert Grönemeyer) zu den spektakulärsten und lebendigsten Inszenierungen an diesem Haus.

Phantastisch sind die Bühnenbilder (mit Licht- und Leuchtfarben effektvoll dekoriert), belebend die bizarren Kostüme, während die verzerrt geschminkten Gesichter bereits die perfide Persönlichkeit der Figuren demaskieren; Und so bleibt das Stück trotz aller gegenteiligen Befürchtungen ein höchst eindrucksvoller Politthriller, der leichtfüßig daher springt und uns vormachen möchte, es sei hier alles nur ein eitler, musikalisch aufgepeppter Ulk, und ist doch so bitterböseernst. Stefan Kurt mit bestem Stimmvolumen wird als Gangsterboss Macheath, genannt Mackie Messer, so schräg und androgyn vorgeführt, dass er der “Mary” nebenan im Admiralspalast wohl ernsthafte Konkurrenz machen könnte. Nur dass hinter seinem gentleman-habitus der knallharte Ganove lauert, der die Spielregeln der Verführung der Frauen wie der Mächtigen souverän beherrscht, während die blanke Bosheit in der Fratze des Bettlermafioso Mr. Peachum geschrieben steht: Thomas Holtz, ohnehin mit allen Bühnenwassern gewaschen, spielt diesen skrupellosen Unterweltler mit diabolischer Hinhabe. Traute Hoess als Elfriede Jelinek-Verschnitt parodiert sein Eheweib Celia, ausgestopft wie ein Straußentier, mimisch und stimmlich bravourös in vielerlei Nuancen. Neben ihr die entzückend zarte Tochter Polly, die wie eine Elfe aus anderer Welt in dieses Verbrechermilieu hineingeschneit zu sein scheint, behütet und bewahrt vor allem Bösen. Die dumpfe ärmliche Hochzeitsfeier, die ihr geliebter Mackie und dessen rüde Räuberbande ihr anbieten, kann sie jedoch in ihren Grundfesten und ihrer Liebe nicht erschüttern –   Christina Drechsler ist ein Naturwesen von lichter Gestalt, deren Stimmchen sicher in gläserne Gefilde entschwebt, so dass man Sorge um ihre Zerbrechlichkeit haben müsste, könnte sie nicht auch wie ein Fischweib mit der Geliebten ihres Gatten um eben diesen wutentbrannt zetern…
Man bleibt zwar innerlich distanziert und vorwiegend amüsiert, ist aber letztlich doch von dieser ungemein exakten Szenenfolge, der ausgefeilten Darstellung und vor allem dem frischen musikalischen Schwung, der alle die wunderbaren alten Songs wieder auferstehen läßt, mächtig beeindruckt! Das ist an sich schon ein kleines Wunder und beweist einmal mehr, wie gut es einem Werk tut, es nur rein äußerlich zu verstärken, seine Elemente herauszufiltern und Wort und Ton Treue zu garantieren. Ans Herz geht dennoch eine Figur in diesem Spiel: das ist Gitte Reppin als Mackies einstige Geliebte Lucy, deren Antlitz und Stimme vom Schicksal gezeichnet und gebrochen sind, und die die Unbarmherzigkeit dieser Unterweltgesellschaft sichtbar macht.

Von Lebens- und Geldgier und Machttrieb geleitet, driften alle Figuren in diesem Schau-und Singspiel eindeutig hin zum Galgen. Dass der Schluss aber gänzlich anders aussieht, eben als Farce überraschend dem Ganzen die vor Übermut schillernde Autorenkrone aufsetzt, das ist nun einmal schlicht und ergreifend genial. A.C.

 

 

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