Albert Herring, OL

von Benjamin Britten
Komische Oper in drei Akten(1947)
Libretto von Eric Croizer nach Guy de Maupassant (1887)

Staatstheater Oldenburg, 2014

Musikalische Leitung: Robin Davis, Inszenierung: Lydia Steier, Bühne: Katharina Schlipf, Kostüme:Ursula Kudra, Licht: Sofie Thyssen, Dramaturgie: Lars Gebhardt
mit: Michael Pegher, Annekatrin Kupke, Friederike Hausmeier/Kerrie Sheppard, Jasmin Etezadzadeh, Monika Reinhard, Paul Brady, Daniel Ohlmann, Benjamin LeClair, Mareke Freudenberg, Johannes Held, Kinder: Saskia Behrens/Rosie Brand; Katja Bultmann/Konstantin Kößling, Theodorf Fank/Konrad Fröhlich

Horror Show der Tugendhaftigkeit

Celli und Bratschen trauern gemeinsam mit den seltsam gruselig typisierten Figuren, die da oben auf der edel tapezierten Bühne die Unmoral ihrer Zeit mit Wut und Weh beklagen… doch ist die raffinierte Ouvertüre nur reinster Hohn und Spott auf die diese bigotte, selbstherrliche, prüde Gesellschaft der dörflichen Honoratioren, die sich dem Scheine nach so hingebungsvoll um die Keuschheit ihrer Dorfbewohner sorgt. Und während alle furchterregend mit ihren schwarzumränderten Augen funkeln und die grotesk grellen roten Münder spitzen, um Flüche und Verwünschungen gegen all die sündigen Mädchen auszustoßen, deren unsittliches und zuchtloses Verhalten nach Ansicht der selbsternannten Sittlichkeitskommitees unter der straffen Generalsstabführung von Lady Billows höchste Strafen verdient, gerät die Welt ins Wanken. Denn kein Mädchen der Stadt hält der inquisitorischen Durchleuchtung in diesem Jahr stand, und somit steht man plötzlich vor einem Dilemma: es findet sich keine Maikönigin, die als Vorbild für die Jugend in diesem Jahr die Krone der Sittsamkeit tragen soll.

Es ist schon ein recht absurdes Tollhaus, das der Komponist 1947 einer erschrockenen Opernwelt vorzustellen wagte, die damals allerdings, nach den Wirren des Krieges, den avandgardistischen Ansätzen Denkansätzen der Künstler gegenüber aufgeschlossen schien. Da wagt die neue Jugend, sich von den strengen Prinzipien, die Zucht und Ordnung und strengste Moralvorstellungen beinhalteten, entgegenzustellen und ihr Leben selbst zu bestimmen. Albert Herring und seine Freunde Nancy und Sid stehen als Protagonisten der individuellen Lebensgestaltung dem  – ebenso antiquiert denkenden wie kostümierten – Dorfclan von Bürgermeister, Polizeichef, Pfarrer, Lehrerin und der herrischen alten Dame (im Rollstuhl, beinahe wie eine Dürrenmatt-Persiflage!) entgegen.

In diesen Rollen fühlen sich alle Sänger pudelwohl: Friederike Hansmeier und Kerrie Sheppard abwechselnd als unüberhörbar exaltierte Lady, Jasmin Etezadzadeh als stimmstarke Zofe mit gewaltiger Durchsetzungskraft, Paul Brady als fügsam trotteliger Pfarrer, Daniel Ohlmann mit Colonel-Habitus als Bürgermeister, Benjamin LeClair auch in Polizeiuniform ein eleganter Bass, Mareke Freudenberg als reizende Nancy, Annekatrin Kupke als hysterische Mutter Herring, die mit ihrer vollen warmen Altstimme aber auch zärtliche Akzente setzen kann, Monika Reinhard alles andere als eine vertrockene Jungfer, sondern eine hübsche liebevolle Lehrerin mit betörendem Sopran sowie drei Knaben, die wohl  aus der Zauberflöte entsprangen und sogleich bei Albert Herring landeten – in Doppelbesetzung s.o.)

In der mit leichter Hand geführten Oldenburger Inszenierung hat sich Lydia Steier gleichermaßen an dem Bühnenzauberer Robert Wilson als auch an dem ewig gültigen, herrlich verrückten Ambiente der Comedia dell` Arte orientiert und die skurrile Handlung dem musikalischen Ohrenschmaus synchron angepasst. Sie zeigt uns eine köstliche, in vielen Wortspielen (nur im Originaltext) auch gereimte Farce, zuweilen ein wenig überzeichnet, aber im Ablauf konsequent mit klangmächtigem Ausdruck und  erfrischender Phantasie serviert. Das Spiel um den jungen Albert, der tagaus tagein im mütterlichen Geschäft Gemüse und akkurat in Regalen aufgestapelte Dosen verkaufen muß ( die später wie auf dem Jahrmarkt ein herrliches Ziel für die selbst-befreienden Wurfgeschosse Alberts abgeben!), der fern von allen Freuden seiners Alters, zum Gehorsam sogar mit der Knute gezwungen wird. Der sieht, wie das Leben bisher an ihm vorbeigelaufen ist, wenn er Nancy und Sid betrachten muß, die das Leben und die Liebe leben und sich an seinem traurigen Los sogar noch ergötzen. Michael Pegher als Albert läßt mit seinem markanten Tenor eigentlich von Beginn an keinen Zweifel an seiner schnellstmöglichen Eigenständigkeit aufkommen! Auch wenn er zunächst noch Arges erdulden muss: als nämlich die Tugendjury den jungen Mann zum Maikönig bestimmt, in einen feinen weißen Anzug gesteckt und seinen Kopf mit einem lächerlichen Rosenkranz drapiert, genauso wie die überladene Festtafel.

Und wenn Albert schließlich, total betrunken, weil ihm Sid (Johannes Held ist ein leidenschaftlicher Bariton, den man sich auch als Eugen Onegin gut vorstellen könnte) vorher heimlich Rum in den Apfelsaft goss, alle Ängstlichkeit verliert und auf dem Tisch tanzt und die feinen Damen und Herren darob in eine steinernde Reglosigkeit verfallen, die sie vor der schockierenden Wirklichkeit für einen Augenblick zu schützen scheint,  dann ist bereits der Würfel gefallen und Alberts weiteres Schicksal besiegelt. Er steckt das Preisgeld ein und erkundet nach innerem Kampf klammheimlich das dunkle Geheimnis nächtlichen Amüsements…

Und wie sind alle erst entsetzt, als dieser “Tugendbold” total derangiert nach seinem vermeintlichem und bereits zutiefst beklagtem Ableben munter und selbstbewußt wieder auftaucht und ihnen freundlich, aber bestimmt die Meinung sagt – wie entsetzt kreischen die Streicher durcheinander, zerfetzt das Orchester unter der temperamentvollen Leitung von Robin Davis den tumben Schleier der Scheinheiligkeit, um dann hoffnungsvoll die jungen Menschen in eine helle Zukunft zu begleiten. Wie zärtlich aber auch begleiten zuvor Flöte und Fagott die Seelennot des armen Albert und das Liebesgeturtel des jungen Paares. Wie parteiisch kann Musik sein, strafend, erheiternd und erhellend, immer höher wird der Bogen, immer weiter der Horizon, der ein neues Leben jenseits einer erstarrten Gesellschaft verheißt.

Unbedingt anhören und anschauen! A.C.

 

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