Evita, OL

von Andrew Lloyd Webber (*1948)
Staatstheater Oldenburg, 2014
Musical in zwei Akten, Uraufführung 1978 in London, 1986 im Theater Oberhausen
Gesangstexte :Tim Rice; Inszenierung der Originalproduktion: Harold Prince

Musikalische Leitung: Jürgen Grimm, Robin Davis, Carlos Vázquez; Oldenburgisches Staatsorchester Opernchor , BallettCompagie und Statisterie des Staatstheaters; Regie: Erik Petersen, Dramaturgie: Annebelle Köhler; Bühne und Kostüme: Dirk Hofacker, Choreografie: Antoine Jully, Chor: Thomas Bönisch, Licht: Steff Flächsenhaar
mit: Anna Hofbauer, Philipp Büttner, KS Paul Brady, Anna Avakian, Nicola Amodio, Ariana Folch, Andreas Lütje, GittaPamin-Jensen, Sandro Monti, Ute Biniaß, Anthony Gardner, Toshihiko Matsui, Philipp Zehndorf, Volker Röhnert, Werner-Johannes Duczek, Ilse Nagel, Reno Iser, Gero Jpswig, Lothar Schneider, Joseph Muhr
 
Weib und Macht
Starke Bühnenbilder, wechselnd beleuchtete farbige Glasstäbe, die als Seitenwände die Bühne begrenzen werfen im Wechsel von Licht undSchatten den Focus auf rasche Szenenfolgen. Im strahlenden Glanz ihrer Persönlichkeit präsentiert sich das arme Mädchen aus der kleinen ländlichen Welt, das zur geliebten mächtigen Präsidentengattin aufsteigt, noch posthum in vielen Facetten. Vor allem als elegante, dominierende Frau, die es  verstand, die Massen für sich und ihren Mann zu gewinnen! Allen politisch kritischen Stimmen zum Trotz wird Eva Perón nach ihrem Tod mit 33 Jahren für die Nachwelt zur Ikone. Mit Anna Hofbauer hat sich eine neue Darstellerin der argentinischen Glamourgestalt mit großer Austrahlung  und einer faszinierend variablen Stimmkunst das Oldenburger Publikum erobert.
Für eine andere Realität – auf der Bühne – ist ein junger Mann (Philipp Büttner) zuständig, der dunkel und kantig ihr Leben als Revolutionär im Schatten ihres Glanzes begleitet und leidenschaftlich kommentiert: denn nur er, Che (vielleicht auch Che Guevarra), fühlt sich als Mann des Volkes und straft die schönen Worte der Populistin wütend mit einer kritischeren Wahrnehmung der Wirklichkeit. Und so wie LLoyd Webber und Rice diese Protagonisten als gegensätzliche Pole in das Zentrums ihres thematisch und kompositorisch variationsreichen Musicals gestellt haben, entsteht ein faszinierendes Kaleidoskop einer politischen Ära während und nach dem 2.Weltkrieg – als Versuch einer Erneuerung der Gesellschaft zwischen faschistischem Kommunismus und Kapitalismus.
Dem Oldenburgischen Staatstheater ist eine zwar schmale, aber intensive Inszenierung geglückt, weil es sich zum Einen an die erfolgreiche Vorgabe der Originalproduktion von Harold Prince hält, zum anderen, weil es in nur gut zweistündiger Aufführung den Lebenslauf der Eva Duarte Perón mit   vielfarbiger Leuchtkraft entfaltet. Da sind nicht nur die “alten” Opernsänger und “neuen” Musicaldarsteller, die ihr Metier mit Auszeichnung  studiert haben und Spiel und Gesang perfekt miteinander vereinen, sondern es gelingt ein effektvolles Zusammenwirken von Orchester, Regie und Bühnenzauber. Da ist kurz die Schwester Evitas eingeblendet, die im Großstadtdschungel scheitert, eine entbehrliche Szene, wäre da nicht der bezaubernd weiche, ausschwingende Sopran von Anna Avakian zu bewundern. Da sind die Tänzer der neuen BallettCompagnie, die in hinreißenden Tangoformationen die einzigartige Musikalität und strenge Geschlechterrolle der spanischen Tradition widerspiegeln. Da sind der ausgewogene, raumumfassende Chor, die choreografisch stimmig eingesetzte Statisterie und ein Orchester, das dem Genie Andrew Lloyd Webber in allen musikalischen Facetten mit neuer Vitalität gerecht wird.
Es gelingt vor allem, den Evergreen “Cry for me Argentinia” aus seinem strapazierten Ohrwurmdasein herauszuholen und ihm einen neue Transparenz zu verleihen. Das liegt natürlich auch und vor allem an der wunderbaren Anna Hofbauer als Evita, die sich ihrer Ausstrahlung bewußt sein darf und mit berühmten Vorgängerinnen in dieser Rolle messen kann. Sie spielt und kokettiert, umgarnt und herrscht  in den Phasen ihrer Lebensabschnitte, die hier nur skizziert werden, mit Temperament und Leidenschaft! Zunächst als junges, aber schon sehr bewußt agierendes Mädchen, das sich den lyrisch dahinschmelzenden Tangosänger Augustin Magaldi (Nicola Amodio tremuliert wie Valentino) angelt und ihn zwingt, sie mit in die Großstadt zu nehmen, Dort, jäh auf sich allein gestellt, läßt sie den Tangomann sausen und sieht nach anderen Männern, die ihr eine Zukunft geben könnten. Als Schauspielerin und Radiosprecherin kann sie sich schnell einen Bekanntsheitsgrad verschaffen. Zielbewußt steuert sie den Präsidentschaftskandidaten Juan Perón an (Kammersänger Paul Brady spielt den General als den verständnisvoll nachgebenden und um den Einfluss seiner Frau sehr wohl wisssenden liebevollen Ehemann) und macht ihm mit kalter und schneidender Schärfe deutlich, dass er Wahl und Macht nur mit und durch sie erringen könne.
Es wird so sein, und Maria Eva Duarte verwandelt sich von der mädchenhaften dunkellockigen Schönheit in die streng blondierte schöne Frau, die die Menschen zu bezaubern  und zu beherrschen!versteht. (Man weiß, dass sie den benachteiligten Arbeitern und Armen Argentiniens mit sicheren Renten (wenn auch politisch letztlich ein Fiasko, Argentinien war am Ende aller Reformen zahlungsunfähig und Perón mußte wieder einmal abdanken usw.), dem Wahlrecht für Frauen geholfen usw., ihnen Selbstwertgefühl und Nationalstolz zurückgegeben hat. Sie selbst, die nie vom Adel der Landbesitzer, noch von den Militärs akzeptiert worden ist – auf der Bühne agitieren die Damen als pelzbehangende  Phalanx, während die gegnerischen Militärs konspirierend in unterirdischen Bunkern den Putsch vorbereiten – versuchte die Kompensation zu ihrer unehelichen Herkunft  (ihre unverheiratete Mutter hatte als Geliebte des Gutsherrn fünf Kinder) durch blendende Präsentation der Houte Couture Einfluss und Beliebtheit zu festigen.
Als sie 1945 mit 26 Jahren auf das politische Podest der First Lady gehoben wird, scheint ihr Ziel erreicht. Dank ihrer Versprechungen und ihrer überzeugenden Rhetorik  gewinnt sie die ausgebeuteten Arbeiter und die Gewerkschaften für die Pläne ihres Mannes. Sie kämpft wie eine Löwin, und sie verliert mit Anmut und Grazie. Es gelingt dieser Evita, noch am Ende ihres Lebens, Vizepräsidentin zu werden und dann,  in ihrer letzten Rundfunkansprache, ihr Volk davon zu überzeugen, wer sie war, und wer sie sein wird. Und Menschen werden weltweit um sie weinen…
So, wie Frau Hofbauer jetzt noch einmal Eva Peróns Vermächtnis “Cry for me Argentinia” durch den Äther haucht – leicht wie wie ein Flimmern, gläsern zart wie Tränen tropfen die Töne aus ihrem Herzen, unendlich zärtlich, als kämen sie von weit her -… So wird die Welt  sie in Erinnerung behalten, ihre Anhänger ihren Sarg 17 Jahre lang verbergen und damit vor einer Schändung der politischen Gegneer bewahren, und eines Tages wird  ein hoch begabtes Künstlerteam sie mit einem Musical wieder auferstehen lassen. A.C.

 

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