Nora, OL

von Henrik Ibsen
deutsch von Gottfried Greiffenhagen und Daniel Karasek

Staatstheater Oldenburg, 2015
Regie: Peter Hailer, Bühne: Dirk Becker, Kostüme: Natalia Nordheimer, Dramaturgie: Daphne Ebner, Licht: Steffi Flächsenhaar
mit: Nientje Schwabe als Nora Helmer, Jens Ochlast als Torvald Helmer, Klaas Schramm als Lars Krogstadt, Franziska Werner als Christine Linde, Matthias Kleinert als Dtr. Niels Rank


Nora, immer wieder Nora

Warum: weil die Geschichte der Puppenfrau von einst unter anderem ein Emanzipationsdrama ist, eine Befreiungstat, die eine Frau aus der vorgeschriebenen Unmündigkeit einer starren Gesellschaftsordnung ausbrechen läßt. (Bei der Erstveröffentlichung 1879 löste das Stück einen Eklat aus, denn eine Mutter, die ihre Familie verläßt, war undenkbar – sie war geächtet!)

In Oldenburg nun sehen wir: Eine raumhohe, kahle, wie aus Eisen geschlagene Wand wird als szenischer Raumteiler von den Darstellern hin und her bewegt: verschoben, gezogen, bekämpft als ein Symbol der Starre und Unbeweglichkeit. Ein Widerstand, dem man nur wenig Spielraum gibt, und der in seiner Wesensart unbeweglich bleibt. Hier natürlich ist sie ein Symbol für geistige Starre und schicksalshafte Isolation.  Das ist nicht ganz unproblematisch; denn die Darsteller haben nicht nur alle Not, dieses massive Requisit zu bewegen, sondern auch die kahle Bühne, die durch die Mauer in leere Zwischenräume geteilt wird, mit ihrem Spiel zu füllen. Daher gerät das Ganze zuweilen wohl zu heftig, zu laut und gewollt lustig, weil jedwede mit Angst angefüllte Lebenslüge erstickt werden muss. Das bedeutet für die fünf Personen, die in diesem Drama an eng miteinander verbundenen Schicksalfäden hängen, eigentlich ein Höchstmaß an körperlicher Präsenz, um ihren Gefühlen tiefereTransparenz zu verleihen. Dass laute Heftigkeit dabei oftmals die seelische Befindlichkeit übermalt, ist wohl Absicht der  temperamentvollen Inszenierung.

Nientje Schwabe ist eine kluge, ein wenig kapriziöse, verführerisch flirtende Nora, die von Anfang an   eine starke Persönlichkeit ausstrahlt und damit eine neue Interpretation unter all den Noras auf deutschen Bühnen darstellt, auf denen sie als verletzbares, zartes Porzellanpüppchen von ihrem besitzerstolzen, kühl kalkulierenden Ehemann als ein streng bewachtes Luxusweibchen hin- und hergeschoben wird. Regisseur Peter Hailer nimmt Ibsen beim Wort und gibt Nora die Kraft, die sie in ihrer Vorgeschichte bereits bewiesen hat. Diese erzählt sie ihrer plötzlich wieder aufgetauchten alten Freundin Christine, die der selbstverständlichen Eleganz und Überschwänglichkeit von Nora gleichermaßen zurückhaltend wie taktvoll klug entgegenkommt. Franziska Werner steht noch in der Rolle des jungen Autisten Christopher Boone, den sie so ausgezeichnet verkörperte. Hier bleibt sie nun ebenso jungenhaft zögerlich wie gewinnend herzlich als eine vom Leben mitgenommene und dennoch immer noch menschenfreundliche Frau, die Nora zur Lebensbeichte animiert und später auch die  Würde ihres Freundes Krogstadt retten wird.

Abgesehen von der Spannung, die gleich zu Beginn dieser Begegnung aufgebaut wird und Ibsen als ausgezeichneten Dramatiker ausweist, wird hier auch die logische Konsequenz verständlich, die Nora zum Schluss in der Wahl ihres künftigen Lebensweg beweisen wird, Denn als sie vorJahr und Tag beschlossen hatte, für die Gesundung ihres gescheiterten Mannes bei Lars Krogstahl Geld zu leihen und unter den Vertrag eigenhändig die bürgende Unterschrift ihres todkranken Vaters setzte, hatte sie nicht nur den Grundstein für eine neue Karriere ihres Mannes als Bankdirektor gelegt, sondern auch ein existenziell bedrohliches und strafbares Delikt begangen: Urkundenfälschung. Etwas, das den Bankangestellten Kronstal einst die Ehre seines Rufes als Anwalt gekostet hatte.

Mag es Naivität gewesen sein, die Nientje Schwabes Nora hin und wieder kindchenhaft durchblitzen läßt, oder auch nur gespielte Lässigkeit, sich über Regeln hinwegzusetzen – denn mit leichter Hand  kauft sie üppige Weihnachtsgeschenke und kann das unschuldige Eheweibchen aussspielen, als der arbeitswütige Torvald sie heftig und zugleich um Verzeihung heischend zur Rechenschaft zieht. Auch  dieser Torwald Helmer ist eine höchst ambivalente Persönlichkeit. Jens Ochlast macht aus ihm einen Hysteriker, einen unausgeglichenen Mann, der zwischen leidenschaftlicher Verwöhnung seiner geliebten Frau und strenger Überwachung aller Regeln und Anstandsnormen mit großer Heftigkeit schwankt und wankt. Seine beinahe paranoiden Ausfälle und wankelmütigen Stimmungen machen ihr Angst und haben Nora längst erkennen lassen, welche Rolle ihr in dieser Ehe wohl zeitlebens zugedacht sein wird.
Denn seine Karriere, seine gesellschaftliche Stellung, die Moral und Ethik einer hart urteilenden bigotten Gesellschaft und ihrer unumstößlichen Gesetze haben ihn längst zur Anpassung  und der unwideruflichen Entscheidung gezwungen, Strenge und Konsequenz vor Kompromiss und Güte walten zu lassen. Nora wird daher den Grund, zu welchem Zweck sie das Geld unehrenhaft geborgt hat,   niemals preisgeben, weil sie weiß, dass Torvald sie dennoch vernichten würde.

Eigentlich spielt diese Nora nur noch das Püppchen, das der Vater einst behutsam in die Hände eines Ehemannes weiterreichte – vom Schoß des einen in das Bett des anderen Mannes. Nora ist da in ihrer Schlußabrechnung sehr direkt.  Die Augen über ihr Schattendasein sind ihr längst geöffnet, aber sie spielt die von ihr erwartete Rolle gewitzt, mit Raffinesse und Charme bis, ja bis dieser Krogstadt eines Tages  von Helmer entlassen wird und nicht nur den Rest seines Geldes, sondern auch die Rücknahme seiner Kündigung von Nora  fordert – andernfalls wird er sie bloßstellen, ungeachtet ihres Flehens und Bittens. Klaas Schramm läßt Krogstadt als verbitterten Verlierer, als unerbittlichen Kämpfer gegen die   gesellschaftliche Position des einstigen Anwaltskollegen Helmer erscheinen, als ein Niemand, der nun zum letzten Mittel, der Epressung, greift. Er wird die Wahrheit per Post an Helmer schicken. Nora hat keine Chance. Das ist erbärmlich, das ist kaum fassbar. Und doch wird er am Ende, bewegt durch die Rückkehr seiner einstigen Liebe Christine, zur Menschlichkeit zurückfinden. Das ist ein ganz anderes Schicksal, das den Erfolglosen zwar ins existenzielle Abseits stellt, ihn aber menschlich nicht verkümmern läßt. Aber da auch diese Christine, schmal und farblos, die zwar die Fäden zieht, sich aber nicht in Szene setzt. So passt dieses Paar am Rande der glitzernden Scheinwelt recht gut ins graue Bühnenbild.

Und dann ist da noch der ewige Hausfreund, der Arzt Niels Rank, der Torwald zuweilen zweimal täglich besucht, aber Nora meint. Dieses Geständnis hat er sich bis zu seinem letzten Atemzug aufbewahrt – auch er ist mit der Wahrheit eines vernachlässigten und vergessenen Lebens nicht zurechtgekommen. Seine vergebliche Liebe war lebendig begraben. Matthias Kleinert hat seine große, leise, letzte Szene   erst, als er in der Maske des Todes das rauschende Fest verläßt und sich von den Helmers verabschiedet. Nur Nora weiß, wie es um ihn steht.

Wirklich beeindruckend dargestellt aber ist erst das letzte Bühnenbild, als Nora eindeutig erkennt, dass es kein Wunder mehr geben wird: Torwald wird ewig nur sich selbst im Spiegel seiner Karriere, seiner Position sehen, und Nora wird seinen Liebesschwüren zum Trotz bei jeder Krise genauso in den Boden getreten werden, wie es der wutentbrannte Mann eben noch versucht hat. Da sitzen sie nun beide auf dem Boden. Erleichtert und erschöpft, beinahe gelassen im Schmerz: Nora, die nun weiß, was sie zu tun hat; und dagegen – verzweifelt, fassungslos, unfähig sich selbst zu erkennen: Torwald, ohne Chance, diese Frau als Attribut seines Egos weiterhin domestizieren zu können. Das ist berührend. Unbeirrt wird Nora als selbständige erwachsene Frau nun ihren Weg gehen, und Torwald – wie lange wird er trauern?

Keine mitreißende Inszenierung, aber eine neue Nora und eine gelungene Ausleuchtung der Charaktere. A.C.

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