Macbeth, OL

Oper in vier Akten von Guiseppe Verdi  (Pariser Fassung 1865)
von Francesco Maria Piave und Andrea Maffei

Staatstheater Oldenburg, 2016

Musikalische Leitung: Hendrik Vestmann; Chor und Extrachor des Oldenburgischen Staatstheaters unter der Leitung von Thomas Bönisch
Regie: Nadja Loschky, Dramaturgie: Annabelle Köhler, Bühnenbild: Daniela Kerck, Kostüme: Claudio Pohle, Licht: Steff Flächsenhaar
mit: Daniel Moon (Macbeth), Ill-Hoon Choung (Banquo),Raffaela Angeletti (Lady Macbeth), Melanie Lang (Kammerfrau), Emanuel Mendes (Macduff), Philipp Kapeller (Malcom), Henry Kiichli (ein Arzt), Anthony Gardner (ein Mörder), Michael van Hagen (Diener der Lady), Alwin Kölblinger, Laura Asche und Kaja Bultmann (als 1.2.u.3. Erscheinung), Shintaro Matsui (Fleance)


Die vernichtende Macht der Vorhersagung

Zunnächst ist alles noch in schweigsames Halbdunkel eingehüllt, doch schon schwillt die Musik aus dem Orchestergraben bedrohlich herauf auf das schwarze Schlachtfeld, auf dem die Feldherrn Macbeth und Banquo vergeblich nach einem Freund unter den Gefallenen suchen. Regie und Orchester lassen keinen Zweifel aufkommen, dass es hier presto vorangeht, dass die Dramatik trotz aller beruhigenden Zwischenspiele keine Zeit für Erklärungen läßt. Sowie das Schicksal seinen schnellen Lauf nimmt, so dynamisch rauschen auch die Wogen des Entsetzens in diesem Morddrama voran, das sich hier auf gar keine überflüssigen Bühnenfaxen einläßt. Garnieren andernorts die Regisseure ihre Macbeth-Mörderstory mit überbordenden Gruselszenen, aufreizenden Eskapaden mit Mordwaffen und unstillbaren Blutströmen und überflüssigen Abscheulichkeiten, so verzichtet hier die junge Regisseurin auf überflüssige szenische Verdeutlichungen – die notwenddigsten Texterläuterungen stehen ohnehin auf der Übersetzungstafel oberhalb der Bühne, und somit haben allein das Orchester und die Sänger das Dirigat. Und sie stimmen bestens überein!

Presto, Presto, die unerbittliche, unbarmherzige Jagd nach der Macht beginnt, sobald sich die Weissagung der Hexen in Macbeth’ Kopf eingenistet hat und die Lady ihm die nötige Marschroute vorgibt: Zuerst wird König Duncan, der zu Besuch im Schloss von Mabeth weilt, im Schlaf gemeuchelt, dann der Freund Banquo, dem das Schicksal die Thornfolge geweissagt hat, dann der treue Macduff samt Familie, der dem Thron am nächsten steht. Es folgen weitere Opfer, die fallen, wie es dem Paar gefällt. Ein Mord gebiert den nächsten.

Natürlich gibt es zu denken, dass alles so fein ästhetisch abläuft, die schrecklichen Hexen in einem rosa Dessous-Allerlei herumflattern, das Bühnenbild dezent und das sparsame Interieur wie zufällig, aber geschickt angeordnet ist, die Kleidung des höfischen Besuchs elegant und die Manieren – bis auf das Morden – exakt sind. Das hat Stil. Die seltsamen Grazien verkörpern Gewissen und böse Verführung in Einem, und als Chor agieren sie gar aufreizend und verstörend gefährlich. So verkünden sie den beiden Kriegshelden ihr Schicksal verschlüsselt wie die Rätsel der männermordenden Turandot, während sie sich schlangenhaft um ein reisiges weißes Ei drapieren, dass schon eines klar macht: Hier geht es um mehr als die Throneroberung von Macbeth – hier geht es um die Absicherung seiner Dynastie, der Thronfolge schlechthin, um sein künftiges Erbe. Und schon sehen wir auch die Lady im Zustand der fortgeschrittenen Schwangerschaft, deren Zartheit uns jäh täuscht, denn Raffalla Angeletti kann ihren Mezzo scharf wie eine Messerklinge wetzen und wie eine Furie in Macbeth jeglichen Widerstand brechen –  zeigt sie doch ohne Zögern, wer hier den Fortgang der Geschichte bestimmt. Denn obwohl die Lady ihr Kind sogleich nach Duncans Tod verliert und die bunten unförmigen Stoffpüppchen, die, auf schwarzen Stühlen geordnet, den erhofften Thronfolger symbolisieren, nacheinander hinunterkippen, hört das Morden nicht auf.
In einem genialen Wechselspiel von großen, ergreifenden Arien und Rezitativen ergreift der Wahn den Macbeth von Daniel Moon, überschüttet ihn mit immer neuem Grauen und hält ihn bis zur Bewußtlosigkeit in seinen Klauen. Und wir halten unwillkürlich den Atem an an, wenn er sich zwischen Herrschsucht und Furcht vor der schrecklichen Schuld windet, sich bittend, verzagend verhüllt, wenn er um die zerstörende Antwort nach seiner Zukunft fragt und letztlich seine eigene Totenmesse beschwört. Die Intervalle zwischen angstvoller Reflexion und manischer Entschlossenheit sind nur eine kurze Pause vor dem nächsten Sturm, der sich schon aufbaut. Die Festtafel zur Krönungsfeier wird ein Desaster, jedes Luftholen von einem Erstickungsanfall begleitet. Denn Macbeth weiß nur zu gut, wer Macht demonstrieren will, kann keine Gnade walten lassen. Er wird die Dämonen immer wieder herausfordern.

Das Mittelalter war in Wirklichkeit noch sehr viel grausamer als es Shakespeare in seinen Königsdramen wortgewaltig demonstrierte. Denn wer die Herrschenden ermordet, muß auch sehen, dass er sich ihrer Nebenbuhler entledigt. Die Lady kennt das Gesetz und weiß, was zu tun ist, verstört ist sie nur über ihres Gatten Unschlüssigkeit. Ihre unbezwingbare Machtgier gleicht einem flammenden Inferno – welch eine Exzessivität kann diese zarte kleine Sängerin entfalten! Doch auch sie wird ein Opfer im festen Netz der Schicksalsfäden sein, die immer wieder von den singenden Sylphiden über die Bühne gespannt werden.

Dass beide Ehegatten in Eintracht handeln, zeigt die Eigendynamik menschlicher Triebe, die hier allerdings keine Dominanz erhält. Da sah man schon Inszenierungen, in denen die Erotik das Sagen hatte, die Lady ein sexbessener Besen und der arme Gatte ein völlig überfordertes Männlein waren. Dass dem Oldenburgischen Theater Sänger mit großem darstellerischen Potential und geschmeidigen Stimmen zur Verfügung stehen, die ebenso kraftvoll leuchten wie schmelzend und schmeichelnd variieren, verleiht dem Operngeschehen eine nicht nachlassende emotionale Spannung. Und dass sich dieses geschickt akzentuierte Spiel nicht in hektischem Aktionismus verliert, sondern fließend mit der Vorgabe des Orchester übereinstimmt, der szenische Ablauf so geschmeidig gelenkt wird, dass alles auf den Ton genau zur kurzen Beruhigung abschwillt, um gleich wieder in die volle Dramatik einzusteigen, die die nächste Gräueltat ankündigt, macht diese Aufführung zu einem gelungenen Saisonauftakt. A.C.

 

 

 

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