Das Feuerschiff, B

nach der gleichnamigen Erzählung von Siegfried Lenz

Deutsches Theater Berlin, 2016
Regie: Josua Rösing, Dramaturgie: John von Düffel, Bühne: Mira KÖnig, Kostüme: Katharina Bruderhofer, Musik: Thies Mynther, Licht: Thomas Langguth, Video: Phillip Hohenwarter
mit: Ulrich Matthes als Kapitän Freytag, Timo Weisschnur/MarcelKohler als Fred, sein Sohn, Hans Löw als D. Caspary, Bôzidar Kocevski als Eugen/Edgar

Ordnung oder Widerstand- Verantwortung oder Gewalt

Während der letzten Wache des alten, nunmehr fast ausgedienten Feuerschiffs in der Weser-Elbe- Mündung geschieht etwas Unvorhergesehenes, Ungeheuerliches. Einem Kriminalroman ähnlich hat Siegfried Lenz diese Novelle 1960 mit der psycholgischen Gespür des Schriftstellers und der poetischen Sprache eines Dichters als eine zeitlose Parabel verfasst: Als  Kapitän Johann Freytag und sein Sohn Fred (in der Erzählung “der Alte” und “der Junge” genannt), ein Boot mit vermeintlichen Schiffbrüchigen auffischen, die sich als flüchtige Verbrecher zu erkennen geben und von dem Kapitän fordern, an Land gebracht zu werden, verweigert dieser ihnen die geforderte Hilfe. Denn seine Aufgabe und Pflicht ist es, vor allem Gewalt zu vermeiden, Ruhe und Ordnung zu bewahren, vor allem aber die Schiffe zu schützen, die auf den gefährlichen, sich verschiebenden Sandbänke leicht auf Grund laufen könnten. Als die bewaffnete Bande, die von einem Mann namens Dr. Caspary angeführt wird, die Besatzung bedroht, begegnet der Kapitän ihnen mit Ruhe und Gelassenheit, um niemanden in Gefahr zu bringen. Seine abwartende Haltung wird von seinem Sohn heftig kritisiert, der vorschlägt, die Bande zu überrumpeln und über Bord zu werfen.

In diesem Augenblick komponiert Lenz einen zeitlosen Generationenkonflikt, den auch die Bühnenfassung mit eindringlicher Dramatik  ausspielt: denn der heftige Vorwurf eines vermeintlich feigen Verhaltens während eines tragischen Ereignisses in der Nachkriegszeit, den Fred dem Vater voller Verachtung entgegenschleudert, bricht dessen jahrelanges Schweigen und fordert ihn zu einer schmerzhaften, verdrängten Erinnerung heraus. Zwar spricht ihn das wahre Geschehen in jenen Tagen letztendlich frei von der vermeintlichen Schuld. Aber für Fred bleibt die Rolle des “Alten” dennoch unverständlich. Denn so wie der Vater vor Jahrzehnten der Anweisung des Reederei folgte und damit die traurige Episode sich selbst beenden lassen mußte, so weigert er sich auch jetzt als ein Kapitän, der in der unabdingbaren Verantwortung für sein Schiff und seine Mannschaft steht, dieser Ethik entgegen zu handeln.

Der Anführer der Bande, ein Dr. Caspary, von Hans Löw mit gefährlicher Sanftmut und freundlich gefärbter Drohung bis zur Gänsehaut ausgereizt, erzählt dem Kapitän von seinem Werdegang als Verbrecher – vom erfolgreichen Juristen und Anwalt zum gewaltbereiten Zyniker (“Ordnung ist etwas für Phantasielose”) und gnadenlosen Erpresser (“Denn jeder taugt als Schuldiger vor Gericht “) – und elegant wie wahrlich wohl kein Bootsflüchtling daherkommen würde, steht er nicht nur äußerlich in großer Statur dem kleinen, standfesten altgedienten Seemann gegenüber, unangenehm abstandslos und unmißverständlich. Wie Ulrich Matthes seinen amoralischen Attacken ungerührt widersteht, ihn mit fassungslosem Schweigen straft, ihm stummen Widerstand leistet und damit in all seiner Unbeugsamkeit haushoch über ihn hinauswächst, ist faszinierend anzusehen. Dagegen haspeln und hasten Sohn Fred (Marcel Kohler) und Gasparis Kumpane Eugen und Edgar (in einer Person von Bozidar Kocevksi) wütend und kaum zu bändigen in ihrem angstvollen Tatendrang um die beiden herum.
In der Novelle geht es anders voran als in der Inszenierung, der man die Kriminalgschichte letztlich dem Vater-Sohn-Moral-Anspruch unterordnet. Gleichmäßig rollen die hohen Wogen der See vor dem länglichen Fenstern der Brücke auf und nieder, vor deren ewiger Kulisse die Kontrahenten einen Kampf um ihre existenziellen Lebensmuster austragen. Kapitän Freytag weigert sich nach wie vor, Feuerschiff oder Rettungsboot für die Flucht der Verbrecher einzusetzen, sein verzweifelter Sohn würde den Anweisungen des Vaters trotzen und die Verbrecher mit Hilfe der Besatzung bändigen. Gasparis Helfer aber hält das Gewehr im Anschlag, dann verlischt das Licht, es fällt ein Schuss. Und vorbei. Die Diskussion um die allgemein auch politisch zu diskutierende Frage, ob diplomatisches Abwarten eine Konfrontation vermeiden, zumindest solange hinauszögern kann, bis HIlfe von außen kommt, und damit in letzter Konsequenz aber auch eine katastrophale Zuspitzung der Situation in Kauf zu nehmen, hat Herfried Münkler im Programmheft aufgeworfen. Sie beginnt unmittelbar nach der Aufführung. A.C.

Bei Lenz sieht das Ende so aus: Als sich die Mannschaft zum Lichten der Anker versammelt, geht der Kapitän trotz Warnungen ruhig auf die Gangster zu, bis er durch einen Bauchschuss niedergestreckt wird. Daraufhin ersticht sein Sohn den Schützen und die Mannschaft greift ein, überwältigt die Gangster und übergibt sie der Polizei. Fred kann die Haltung seines Vaters verstehen und respektieren.

 

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