VAN GOGH, B

 Vaganten Bühne Berlin, 2016

Textfassung/Bühne/Regie: Otto Strecker
Nach seiner Ausbildung am Schauspielstudio Maria Körber in Berlin war Otto Strecker an verschiedenen deutschen Theatern engagiert und ist seit 1997 freischaffender Schauspieler und Regisseur. Im Jahr 2000 gründete er den Hörbuchverlag “der sprachraum”, in dem auch das Hörbuch “Vincent van Gogh – Geschichte eines Lebens” erschien.

Feuer in der Seele

Ein kühler, heller Raum, vor einer mit grauen Pixeln bestrahlten Leinwand ein weiß gekleideter Mann, der, auf dem Boden kauernd, einen Wust von Briefen übereinander sortiert. Dazu Kinderstimmen, die,  undeutlich und verwirrend zunächst, dann ganz deutlich hörbar die Namen Vincent und Theo rufen, fröhlich, unbeschwert. Es folgt ein jäher, abrupter, heftiger Schrei, der Mann stürzt zu Boden, windet sich in schrecklichem Krampf. Es wird dunkel. Als es auf der Bühne wieder hell wird, hat der Mann sich gefangen und erzählt, erzählt ein Leben, das sich aus den Briefen, die ihn zur Erinnerung aufrufen, formt. Wie ein strahlend leuchtendes Kaleidoskop Bilder projiziert, die farbenvoll, prächtig, intensiv eine gegenseitige Bruderfreundschaft, Geschwisterliebe wachrufen, so begleitete der Schriftwechsel zwischen dem vier Jahre jüngeren Bruder Theo das heftig wechselnde Auf und Ab im Leben Vincents, des großen, gemütsanfälligen, leidenschaftlichen Malers und seines Bruder, Kunsthändler, Betreuer, Verwahrer Vincents zu Lebzeiten wenig erfolgreichen Kunst.
Vom pfarrelterlichen Haus geprägt, versuchte es Vincent zunächst in mehreren Berufen, auch als Prediger bis er schließlich begriff, dass er nur zu einem taugte: als Maler. Dieser Berufung, dieser Leidenschaft würde er alles unterordnen, allen Anforderungen eines normalen Lebens opfern, um ganz und gar in ein Reich der Phantasie mit solcher Inbrunst und Ausschließlichkeit einzutreten, das ihn nie mehr freigeben würde und das zu teilen, außer Theo, kein Mensch fähig war.

Der Mann auf der Bühne ist Theo, der dem unsäglichen Familienerbe wohl in den letzten Wochen seines Lebens anheimfällt und das er, nun ebenfalls geistig vewirrt, wie sein Bruder in leidvollen Phasen durchlebt. Aber Theo ist auch Vincent, die beiden Brüder verschmelzen zu einer Person, sie stimmen überein in Gedanken und Empfindungen, in ihrer Nähe der Wahrnehmung des einen, des Genies, des Verkannten und Mißachteten. Noch füllt der Schmerz des Lebens, die Erinnerung an beider Leben, das auch für Theo nicht einfach war, die Leere des Raumes, doch nach und nach, wenn der Anfall verklungen ist und die Seele des Patienten sich erholt hat von allzu heftigen Gemütsbewegungen, tritt an deren Stelle eine dynamische Abfolge einer Flut von Bildern, die in Worte, in Sätze gefasst, eine noch andere Seite des Genies Vincent van Goghs zeigen: er war nicht nur ein begnadeter Maler, sondern auch ein Poet, ein Meister der Wortmalerei. Es entstehen neue Bilder im Raum, gleichfalls leidenschaftlich entworfen, nehmen sie immer wieder neue Formen und Gestalt an. Farbkompositionen  formieren sich bereits sorgfältig in Gedanken, und es scheint begreifbar, dass ein derart anfälliges, sensibles Wahrnehmungsvermögen Psyche und Gehirn derart strapazieren, in Aufruhr und Unruhe versetzt, dass es kaum zu bewältigen ist.

“In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst” hat Augustinus gesagt, und das trifft wohl nicht nur auf die christliche Überzeugungskraft und dem theogolischen Muster des van Gogh’schen Elternhauses, sondern auch und vor allem auf jede Kunst zu. Es entstehen Gärten, Landschaften, Felder, Blumen, Sterne, HImmel, Wolken, aber auch und vor allem aus fremder wie eigener Erfahrung die trostlosen Gesichter der Armut seiner Zeit. Das Elend der Bergwerksleute ergriff den Maler zutiefst, und er hielt fortan die Menschen als erdverbundene Geschöpfe als die einzige Wahrheit in seinen Zeihnungen fest, auf der Kunstschule in Antwerpen spiegelte sogar sein Bildnis der Venus von Milo seine Empfindung und Auffassung der vitalen kraftvollen Schönheit wieder und beendete damit seine dortige Karriere.

So schrieben die Brüder einander, teilten ihre Empfindungen, Sorgen und Freuden und – ihr Leid.Theo konnte die Bilder des Bruder nur schwer verkaufen, er konnte ihn auch nicht zeitlebens finanziell unterstützen. Auch Vincents Hoffnung auf eine dauerhafte Atelierfreundschaft mit Gaugin im Süden Frankreichs verflüchtete sich, die selbst-zerstörerischen Anfälle nehmen zu. 1890 stirbt Vincent an den Folgen eines Selbstschusses in den Armen seines Bruders. Nur drei Monate später wird Theo in die Nervenheilanstalt von Utrecht eingewiesen.

Otto Strecker gelingt es in einer intensiven, zunächst heftigen, dann zärtlich-behutsamen Darbietung, die lebenslange Beziehung zwischen diesen Brüdern transparent zu machen, die Kunst des einen mit der verständnisvollen Liebe des anderen zu verbinden und den Zuschauer neugierig zu machen auf die Korrespsondenz der Brüder van Gogh. Und auf die nächste Ausstellung, vielleicht sogar einen Besuch im van Gogh Museum in Amsterdam.  A.C.

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