Gaunerstück, HB, B

von Dea Loher
Theater am Goetheplatz, Bremen, 2016
Gastspiel des Deutschen Theaters, Berlin (Uraufführung 2015)
Regie: Alize Zandwijk, Bühne und Kostüme: Thomas Rupert, Musik: Beppe Costa, Choreographie: Miquel de Jong, Dramaturgie: John von Düffel, Licht: Thomas Langguth.

Mit: Judith Hofmann und Fania Sorel als Maria, Hans Löw und Miquel de Jong als Jesus Maria, Elias Arens als Madame Bonafide und Juwelier Wunder, BeppeCosta als Porno-Otto,

 Kleine Gauner auf dem Lebenskarussell

Es gibt in diesem seltsamen Miteinander von prekären Typen aus der Welt der Zu-kurz-Gekommenen eigentlich keinen dramaturgischen Bogen; die Entwicklung endet so abrupt und zufällig wie wohl auch das Leben jener Menschen, die Dea Loher in vielen ihrer sehr gefragten Theaetrstücke beschreibt: sie schweben oder lavieren zwischen dem Möglichen und Unnötigen, zwischen Realität und Fiktion, immer sprunghaft, emotional unausgeglichen und auf den Augenblick fixiert. Sie sind liebenswert, auch wenn sie mit kleinen Gaunereien ihrem tristen Dasein einen Kick geben möchten, sich aufs Wahrsagen oder den Dreh von Pornofilmchen spezialisiert haben. Sie stehen immer irgendwo und irgendwie dazwischen.
In einer erzählenden Darstellungsvariante bietet die Berliner Inszenierung der auf Zwillingsformationen augenscheinlich spezialisierten Regisseurin Alize Zandwijyk (siehe auch ihre jüngste Inszenierung “Der gute Mensch von Sezuan”) nicht so sehr eine spannende Entwicklung im Leben des Zwillingspaares Maria und Jesus Maria, als vielmehr eine muntere Darstellung, wie sie den Tod der verlassenen und alkoholsüchtigen Mutter verarbeiten, nämlich gar nicht, wie sie mit ihren skurrilen Nachbarn, dem Transvestiten Madame Bonafide als gespaltene Persönlichkeit und dem urig genügsamen Porno-Opa Otto umgehen, nämlich selbstverständlich, und wie sie mit dem abenteuerlichen Vorschlag, einen Juwelier auszurauben, umgehen, nämlich naiv und begeistert.

Erzählt wird zu Beginn von ihrer wundersamen Geburt, die alle gleichermaßen so überraschte, dass der spanische Vater beim zweiten Kind verdutzt “Jesus Maria” ausrief, nachdem das erste, ein Mädchen, bereits den Namen Maria erhalten hatte. So gibt es weitere ebenso komische wie nachdenkliche Situationen und Ereignisse zwischen Wäschestapeln, die an den tristen Beruf der Mutter als Wäscherin erinnern und ihrem sinnentleerten Leben als Spielbild dienen, es gibt das schöne Gleichnis von dem Aquarium, das den Fischen die Illusion einer weitläufigen Bewegungsfreiheit gibt, wo sie doch schon sehr bald an die sperrigen Außenflächen geraten und sich aus ihrem Gefängnis niemals befreien können, es sei denn, sie bekämen Flügel…

Eine Metapher, die sich nicht nur auf die Menschen in diesem Stück bezieht. Denn selbst, als sich  den Zwillingen wundersamerweise die Gelegenheit bietet, mit dem gestohlenen Schmuck, den sie jäh behalten müssen, weil der Deal mit dem Juwelier namens Wunder durch dessen nicht eingeplanten Tod geplatzt ist – sie sich zwar ein schönes kurzes Leben im Überfluß gönnen werden, aber dann wohl weitermachen wie bisher: Maria als Aushilfskraft und Kellnerin, Jesus Maria als Gelegenheitsarbeiter.

Was dieses Stück so widersinnig macht, ist die geschliffene Sprache, die Wortwahl, die logische Satzführung, der Humor, den Dea Loher diesen Menschen aus der Unterschicht gibt. Und auch das Bühnenbild – es würde in Deutschland jeden Sozialarbeiter und Mieterschutzbund auf die Barrikaden treiben, bei derartiger offensichtlicher Feuchtigkeit im abblätternden Putz der Wände, der elenden Kargheit der Einrichtung, die weder Tisch noch Stuhl noch sonst irgendetwas enthält, was normalerweise zum Mimimum einer sozial vernachlässigten Familie gehören würde. Die Lücke der Glaubwürdigkeit füllt die trotzige, sentimentale Musik des Musikers Peppe Costa aus, der allerlei Instrumente zum wundersamen Klingen bringt und mit brüchtigen Jazz- und Soulgemisch seiner Stimme eine tolle Artikulation gibt. Da könnte jemand von dem amerikansichen Pop- und Rockmusiker Tom Waits, der viele Inszenierungen von Robert Wilson aufmischte, nachhaltig gelernt haben!

Judith Hofmannn und Fania Sorel geben der Maria einen kontrastreichen Touch von zarter Hoffnung auf ein schöneres Leben mit der aufmüpfigen Komik einer jungen Frau, die sich fröhlich und waghalsig auf den Nebenpfad des Gesetzes einläßt, wenn es denn dem Lebensglück dient. Hans Löw spielt den Jesus Maria mit vielen Nuancen zwischen Komik und Betroffenheit im Aufblitzen zeitweiliger vernünftiger Einsicht, während sein Alter Ego Miquel de Jong zeigt, dass er als Choreograph noch weitaus mehr an artistischen Darstellungsvariationen zu bieten hat als in der Betreuung der Inszenierung. Seine großen Sprünge finden nicht im wirklichen Leben statt, sondern landen wie ein permanent mißglückter Ausbruch aus dem Aquarium seiner kleinen Welt  stets immer wieder schmerzhaft an der Wand.  A.C.

Dea Loher wird als Autorin hoch gelobt, und hat zahlreiche Stücke veröffentlichet. Viele sind auch am Berliner Deutschen Theater erfolgreich aufgeführt worden. Das Bremer Gastspiel erfreute sich lebhafter Anteilnahme.

 

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