Die letzten fünf Jahre, OL

Text und Musik von Jason Robert Brown,
deutsch von Wolfgang Adenberg
Oldenburgisches Staatstheater 2021
mit: Martyna Cymerman: Cathy Hiatt und KS Paul Brady als Jamie Wellerstein
Band des Oldenburgischen Staatsorchesters
Musikalische Leitung: Felix Petzold, Regie, Bühne, Kostüme Mathilda Kochan, Dramaturgie Christina Schmidt, Licht Sofie Thyssen

Wenn Liebe allein nicht genügt

Das Kammermusical, das die beiden Darsteller eines wohl leider gar nicht einmal ungewöhnlichen Beziehungsdramas begleitet, verlangt von den Sängern große musikalische Beweglichkeit und Ausdrucksfähigkeit ihrer Gefühlsskala, die sie ohne wesentliche Kulissen und Mitspieler –  hier und da ein Stuhl, ein Schreibtisch, drei hilfreiche Statisten  – bewältigen müssen. Und eine Tonalität, die in den Zeitsprüngen ihrer Erinnerungen, ihrer anfänglichen Nähe und zunehmenden Entfernung intensivste Hinwendung verlangt. Einzig eine Leiter, die zur Orchesteretage hinaufführt, soll dabei die New Yorker Straßenszenerie und ihre Einsamkeit assoziieren: auf dem Balkon gastiert quasi die Band, die Tempo und Rhythmus der Aufführung mehr als nur begleitet, sondern in Sprüngen sowohl vorantreibt als auch rückwärts bewegt .
Es ist kein vergnügliches Spiel, das die langsam sich zur Auflösung hinbewegende  Liebesbeziehung zu ihrer allmählichen Auflösung begleitet; die musikalische Herausforderung ist mit schwierigen Passagen und stilistischen Wendungen bestückt, verlangt auch eine stark genuine Interpretation. Die Erinnerungen des Mannes sind nicht weniger zärtlich und traurig, aber auch realistischer und egozentrierter als die der jungen Frau. In einem für Musicals typischen Mix aus Pop und Poesie gefügten Drama wechseln und springen die Tonlagen oft abrupt und heftig als seelisches Zerr- und Spiegelbild. Das erfordert von den Sängern gleichbleibende und abgestimmt konzentrierte Hingabe, die gleicermaßen ihrer Leidenschaftlichkeit, Müdigkeit, Resignation und endlich auch der Trauer Ausdruck verleiht. Dabei steht Cathy und Jamie außer hier und da einem hilfreichen Whisky, nur ihr eigener Erinnerungs- und Erlebniskosmos zur Verfügung.

Es ist berührend, wie Martyna Cymerman in ihrer aufgerollten Erinnerung die Skala dieser schwierigen Beziehungsstationen durchlebt und eigentlich nicht begreifen kann, warum alles so schnell in einem unsäglichem Frust, einer für – uns Zuschauer – beinahe vorhersehbaren Enttäuschung verlaufen mußte. Die Leiter, die sie hoch und runterklettert, mutlos, hilfesuchend, kann die Antwort auch nicht geben…

Da verliebt sich ein sehr junges Mädchen in einen gestandenen, zum Erfolg strebenden Schriftsteller, der seinen Beruf einer Berufung gleich betreibt und darüber, nach dem Höhenrausch der großen Gefühle, die Normalität einer gar nicht so vergnüglichen Autorenexistenz mit der verlorenen Freiheit seines alten Junggesellendaseins zu kompensieren versucht. Während seine junge Frau als jobsuchende Schauspielerin und Sängerin bei jedem Casting, das sie verliert, auch ihren Mut, ihre Selbstgewissheit, ihren Charme mehr und mehr einbüßt, bis sie fast wieder ein kleines hilfloses Mädchen ist, das sich selbst verloren hat in dieser Welt, die ihr den geliebten Parnter entfremdet und ihr alle Hoffnung auf Hilfe und Beistand für die eigene  Karriere genommen hat,

Es ist das alte und immer wieder neue Ehe- und Beziehungsdrama: man verlangt vom Anderen mehr als er geben kann, und jeder bleibt in seiner Enttäuschung allein in einem Ungleichgewicht des Alters, der Charaktere, der Reife, der Berufschancen wie in diesem, dem eigenen Schicksal des Autors nachempfundenen Kammermusical.
Ein warnendes, ein vorsichtiges, lehrreiches Stück, das nachdenklich macht. Nicht nur die Musik schmerzt in der emphatischen Spiegelung der Dissonanzen zwischen diesen beiden Menschen, auch die Intensität und Glaubwürdigkeit, in der Martyna Cymerman und  Kammersänger Paul Brady einen Konflikt in vielen Facetten darzustellen vermögen, der hier vom Autor stark auf den männlichen Part zugeschnitten ist, aber wohl dennoch auch in einer ermutigenden Version durchaus realistisch wäre. A.C.

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