Eurotrash, B

von Christian Kracht
In einer Fassung von Jan Bosse und Bettina Ehrlich, Uraufführung
Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin, 2021

Regie: Jan Bosse, Bühne Stéphane Laimè, Kostüme Kathrin Plath, Musik Arno Kraehahn, Dramaturgie Bettin Ehrlich und Chrisitan Tschirner
mit Angelika Winkler und Joachim Meyerhoff

Im Grenzgebiet zwischen Wahn und Wirklichkeit

Zwei glänzende Schauspieler, die ohne Pause einen langen Abend voller Text mit allerlei seltsamen Requisiten und rasanten Bewegungsabläufen meistern müssen; wären Angela Winkler und Joachim Meyerhoff nicht wirklich so ausgezeichnete Darsteller, vom Publikum verehrt, gleich, was sie spielen, weil sie auch aus jedem Angebot, und sei es noch so irrwitzig, eine Geschichte voller Menschlichkeit und Wärme zaubern können. So auch mit dieser autobiografischen Romanvorlage von Christian Kracht, die als ein langes Bewältigungsdrama der eigenen Familie durch das vorige Jahrhundert daherkommt und sich am Dritten Reich und dem kapitalmächtigen Aufsteigerbürgertum in jenen Jahren aufhängt. Und seinen fatalen individuellen Folgen.

  Wer darum nicht weiß, kann dennoch von der Spannung und der Skurrilität zehren, die Meyerhoff verspricht, zunächst als parkaverhüllter Junkie, dann jäh, als der Besuch der dementen Mutter drohend und unausweichlich bevorsteht, im himmelblauen Anzug mit feinem Strickpullover, den er dann jedoch noch blitzschnell  als einziges Zugeständnis an sich selbst mit einem braunen Naturprodukt tauscht. Die distinguierte Frau Mama  mokiert natürlich als erstes dieses nicht passende Unikat. Der Auftritt von Angela Winkler im safrangelben 20erJahre Teenagerfummel, leicht beleidigt, leicht vornehm, mit zarter, leidender Mimik und leiser Stimme lässt erahnen, was auf Beide zukommt: nicht nur der aussichtslose Kampf Christians gegen die Trunk- und Zigarettensucht der Mutter, dann deren ebenso erfolgloser Angriff gegen die banale Schriftstellerei des Sohnes. Ein Ritual, das bei jedem Besuch das Gleiche ist: Verdrängtes der Vergangenheit zurückhalten und der Realität möglichst nicht ins Auge zu sehen.

Also, sie fahren angeblich nach Afrika, da, wo Mama, die sich schon lasziv auf dem Oberdeck des alten Schärenkreuzers räkelt, der wie ein Deus ex macchina plötzlich dem Boden entsteigt und zur fröhlichen Seefahrt einlädt, schon immer hinwollte, doch nie ankommen wird. Aber eigentlich ist diese Reise in die Berge ebenso wenig fröhlich wie real. Mutter und Sohn streiten über Gegenwärtiges und Vergangenes, was beiden schwer auf dem Magen liegt. Die Mutter gleicht das mit Alkohol aus, der Sohn mit Umtriebigkeit, die eine ganze Schar von Bühnenarbeitern ersetzt, die aber an unseren Theatern wohl ebenso rar sind wie Pflegepersonal in Krankenhäusern. Die schreckliche Nazivergangenheit, Scheidung der Eltern, Misshandlung der Mutter wie des Sohnes aber kommen ziemlich spät nach allerlei kratzbürstigem Geplänkel ans Tageslicht. Dann wird es ernst, und das Schicksal betritt den Raum.

Mutter und Sohn, die eine krank, unheilbar vom Krebs und Gemütsverfall gezeichnet, der Sohn, allein, vielleicht homosexuell, als Schriftsteller erfolglos. Abgründe einer Familiengeschichte, eines Romans, den Regisseur Jan Fosse zwar schon ziemlich auf Bühnenbedarf heruntergeschnitten, aber dennoch nicht genügend dramatisch konfiguriert hat. Sein Markenzeichen, viel Erzählen, wenig handeln, wirkt sich dann mit der Zeit doch lähmend aus, und die emphatische Bindung für Mutter und Sohn schwindet mit der Zeit dahin, auch wenn  Meyerholz und Winkler  überzeugend und mit Verve versuchen, ein leichtes Spiel aus schwerer Last zu machen. Der Kahn des Lebens ist wirklich nicht mehr der Schönste, aber er funktioniert immer noch. Und dann, als die Reise beendet ist, das Schiff wieder im Nichts versinkt, der Lebenskampf vorbei ist, verlässt Angelia Winkler mit der Würde des Alters und der Grazie ihrer Persönlichkeit diese schwierige Welt, winkt, vielleicht noch ein letztes Mal, dem Sohn zu und kehrt in ihre alte Klinik zurück.

 

 

 

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