König Lear, B

von William Shakespeare
Übersetzung und Bearbeitung von Thomas Melle
Eine Produktion des Renaissance Theaters Berlin, Premiere 2021, Wiederaufnahme 2023
Regie: Guntbert Warns, Dramaturgie: Joachim Flicker; Bühne: Momme Röhrbein, Kostüme: Wicke Naujoks, Angela Sujek, Anfertigung, Musik: Harry Ermer; Lichtgestaltung: Gerhard Littau

mit: Lear, König von Britannien und Frankreich: Felix von Manteuffel; Goneril: Catrin Striebeck, Regan: Jaqueline Macaulay; Graf von Gloucester: Klaus Christian Schreiber; Edmund: Matthias Mosbach; Edgar: Moritz Carl Winklmayr; Graf von Kent/Narr: Michael Rotschopf; Oswald: Martin Schneider (Gonerils Haushofmeister)

Bittere Wahrheit, bunt verpackt

So quirlig bunt verrückt wie die Kostüme, die Inszenierung, die Darstellung herrscht auch in der teilweise “neudeutschen” Sprache ein Hang zum Slappstick, zur Burleske à la der Comedia dell’Arte. Die Tragik wird ihres historischen Tiefsinns und ihrer traurigen Wahrhaftigkeit enthoben, und, sozusagen aus heutiger Perspektive, vom Solitär des einzigartigen unträglichen Schicksals in die stets aktuelle und immer gegenwärtige, unveränderliche menschliche Tragikkomödie verwandelt. Das Komödiantische offenbart die Hilflosigkeit angesichts einer vorhersehbaren Handlungsentwicklung, der menschliche Unzulänglichkeit nicht Einhalt gebieten kann.

Zeitnahe Verwandlung ist dem Theater nicht nur erlaubt, sondern sozusagen Pflicht. Denn wenn Unerträgliches nur zeitbezogen vorgeführt und Unsagbares gesagt wird, um schnell wieder zu verhallen, dann verbleibt wohl alle Kunst im Augenblick, und ihre endgültige Wahrhaftigkeit schmilzt zur vergänglichen Momentaufnahme, aber berührt den Menschen nicht länger im Innersten. Zumal wir heute ja geradezu in allen Medien aufs Schaurigste mit aktuellen Gräueltaten versorgt werden; erschüttert werden wir wohl nur noch in der Verzweiflung an unserer Ohnmacht.

Erst klug, dann alt werden

Was aber die Tragiik des greisen Königs Lear ausmacht, der sein großes Reich vor seinem mentalen und körperlichen Verfall seinen drei Töchtern vermachen möchte, ist vor allem seine Blindheit, seine unerschüttterliche naive Gewissheit, dass nur jene ihn lieben, die ihm ergeben sind, Liebe und Ehrfurcht vorgaukeln, ihn mit schönen Worten betören. Das ist er gewöhnt von Volk und Vasallen, und so glaubt der Patriarch – Felix von Manteuffel würdevoll und furchtgebietend –  den Töchtern Goneril und Regan, die schlank und rank, in roten fließenden Kleidern, einander wie Zwillinge ähnelnd, vor dem golden blitzenden Vorhang des Schlosses erscheinen, gewandt in Worten, geschickt in variierenden Tonlagen schmeicheln und den wohl doch schon halb dementen Vater schnell überzeugen. Jede erhält ein Drittel des Reiches großspurig zugeteilt. Doch, was nun: die jüngste Tochter, Cordelia, ein wenig herb, ernst, ehrlich, im sportlich kurzem Kleidchen an der Seite des köngilichen Vertrauten und Ratgebers Graf von Kent, macht nicht viel Wesens um ihre Liebeserklärung: Ilona Schulz ist nüchtern, sachlich, Liebe, ja nun, wie sie so üblich ist von Töchtern den Vätern gegenüber; was sich geziemt, und wie es ihm gebührt. Sie sagt so schlichte Worte wie: “Leider trag ich das Herz nicht auf der Zunge und die Liebe nicht auf dem Tablett; ich liebe dich, wie es sich gehört.” Seien wir mal ehrlich: das reißt keinen Vater vom Hocker, aber Ehrlichkeit wäre vielleicht doch die beste Garantie für eine gute Regentschaft? (Viel schöner noch fand ich die Übersetzung in der Salz als absolutes Lebenselixier als Beweis der Liebe gilt)

Aber man weiß ja, dass Lear nun schäumt, und seien schauspielerische Inkarnation kann mächtig rasen und toben, dass der ganze Glitter beinahe in sich zusammenfällt, als er den Bannstrahl über die einstige Lieblingstochter schleudert wie einst Zeus jedes unliebsame Verhalten seiner Familie mit grausamen Ideen bestrafte. Also, neue Entscheidung! Die Töchter Guneril und Regan erhalten je die Hälfte und Cordelia nichts, stattdessen die Verbannung. Die Tapisserie flattert und knistert noch einmal heftig, bevor die beiden Siegerinnen um das väterliche Erbe, stolz einherschreitend, die Wandbehänge erhobenen Hauptes herunterreißen und fortan einer gähnenden dunklen Bühne Raum für die weitere Entwicklung geben.

Die besteht zunächst darin, dass Kent sich erdreistet, den König ob seines Verhaltens zu rügen und sich dafür ebenfalls die lebenslange Verbannung zuzieht. Er verwandelt sich darauf in einen Hofnarren, der nun, allerdings unerkannt, weiterhin an des Königs Seite die Wahrheit verkünden darf: “Du hättest erst klug und dann alt werden sollen!”  Sehr zum Leidwesen der herrschsüchtigen Schwestern, die jedermann kaltstellen, der sich ihnen fortan in den Weg stellt: als ersten den Grafen Gloster, den sie grausam blenden, dann den Vater, indem sie ihn auf infame Weise isolieren. In das nun folgende    lächerlich-absurde  Ränkespiel um die langsame Vernichtung des noch immer beliebten Königs und den Ausbau der eigenen Macht mischen sich die grotesken Eskapaden von Kent, einem wahrlich körperlich wie geistig beweglichen Narren, der um alles und jeden in mannigfacher Verkleidung herumturnt, nervt und quält, doch als Wahr-Sager unantastbar bleibt.  Eine beinahe artistische Leistung von Michael Rotschopf, der nebenbei ja auch noch die mit verwirrender HInterhältigkeit formulierten Gedanken rappelschnell verteilen muss.

Unter Brüdern

Auf dem Nebenkriegsschauplatz erobert sich derweil der illegitime und verachtete Sprößling des als weibliches Muttertier ausstaffierten Grafen Gloster, Edmund, rhetorisch überaus raffiniert die Gunst des Publikums, dessen Mitleid er sich als ausgestoßener Bastard erheischt, um dann überraschend wie ein Raubtier blitzschnell den Halbbruder Edgar zu ergreifen –  ein  leicht verängstigtes Jüngelchen, gutmütig, noch immer Muttes Liebling, der der Intrige Edmunds prompt auf den Leim geht und die Flucht ergreift, weil sich angeblich Schreckliches über seinem Haupt zusammenbraue… Was genau das sein sollte, will er eigentlich gar nicht wissen (vermutlich, weil bei Hofe niemand ein sauberes Gewissen hat) und überläßt somit Edward das Ränkespiel um die Macht.
Prächtige Charaktere, die Shakespeare in all seinen grausamen Königsdramen eher niederträchtig als heroisch agieren läßt. Über einen Mangel an Leid und Leidenschaft, am Intrigenspiel und an hilflosen, zu späten Einsichten, die Lear langsam in den Wahnsinn treiben mit der fürsorglichen Cordelia an seiner Seite und den geblendeten Gloster ( Lear: “Wer braucht noch Augen, um zu erkennen, wie es zugeht in dieser Welt?”), muß man sich in diesem Spiel, so bitter es auch zuweilen die menschlichen Missetaten zu entzerren versucht, wirklich nicht beklagen.

Kurzweil wie einst im Globe

Außergewöhnlich hintertückisch ist Matthias Mosbach als Edmund, dessen verbales wie physisches Muskelspiel natürlich auch die beiden in jeder HInsicht lüsternen Damen beeindruckt. Ganz zappelig vor Sorge und Furcht ist der arme Edgar von Moritz Carl Winklmayr, der dem Halbbruder charakterlich zwar haushoch überlegen scheint, aber was nützt das schon gegen einen so gewieften Intriganten? Er wird sich am Ende zusammen mit Cordelias Heer zwar erfolgreich gegen die Dreier-Mafia erheben, aber die Macht des Schicksals ist nicht auf seiner Seite. So rollen letztendlich alle Köpfe im Kampf um die Krone, nicht immer in verständlichen Bildern, die aber immer wieder das Absurde der Auswüchse um die Herrschaft aufspießen: bunt und blutig rot, mit wilden Worten, Taten und Gesten im weitgesteckten Rahmen aller schauspielerischen Entfaltung. Kurzweil wie einst im elisabethanischen Zeitalter, Tragödien und Komödien als Unterhaltung, bei der das Publikum bei jeder HInrichtung johlte und seine Hüte in die Luft schleuderte. Ganz so ausgelassen ist es ja auf deutschen Theatern noch nicht. Man staunt nur ein bißchen über dieses rasche Wechselspiel von Ernst und Heiter, wobei Martin Schneider als Haushofmeister Oswald wirklich einige lustige Akzente setzt als unbeholfener Querulant, und Flöte spielt er auch ganz wunderbar!.

Und ob nun alle so begeistert wären von einer Frauenherrschaft? Bewies doch nicht nur die Lady Macbeth wie auch hier nun die Damen Gonderil und Regan mit Catrin Striebeck und Jacqueline Maraulay, wie schnell sie die Spielregeln der Macht, ohne mit der Wimper zu zucken, anzuwenden bereit sind und siegessicher die Messer zücken: ” Einmal mußten wir es noch machen wie sie – der Schritt ist geglückt.” Auch der Schnitt. Alles Untote.  A.C.

 

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