Entartete Kunst, B

von Ronald Harwood: Der Fall Cornelius Gurlitt
Deutsch von Max Faber

Renaissance Theater Berlin, 2015

Regie: Torsten Fischer, Ausstattung Herbert Schäfer, Vasilis Triantafillopoulos
mit: Udo Samel, Boris Aljinovic, Anika Mauer/Anna Franziiska Srna, Ralph Morgenstern

Auch Kunst kann süchtig machen

Ein Mensch lebt ein ganzes Leben lang zurückgezogen, misstrauisch gegen die Welt, abwechselnd in   in München und Salzburg. Nur dann und wann verläßt er die mit Konserven und anderen Vorräten ausgestopfte Wohnung, um eines seiner Bilder zu verkaufen. Auf einer dieser Reisen wird er an der Schweizer Grenze von Zollbeamten entdeckt: ein Mann ohne Registrierung bei den Behörden, ein Mann mit beinahe 10 000 Euro in der Tasche, der sich weigert, zu erklären, warum er -verbotenerweise- eine solch hohe Summe mit sich führt, ein Mann, der weder eine Sozialversicheurng, noch eine Bankverbindung noch eine Steuernummer hat. Ein freundlicher alter  Herr, zu dem Zeitpunkt im September 2010, 77 Jahre alt.

Wer ist dieser Mann, und was verheimlicht er vor den Behörden, woraus bezieht er sein Einkommen? Der Fall des Kunstsammlers Cornelius Gurlitt, der nach dem Tode seines Vaters Hildebrandt Gurlitt, eines jüdischen Kunsthändlers in den Diensten der Nazis, 1956 eine ominöse Erbschaft antrat und über 1500 kostbare Kunstwerke in seinen beiden Wohnungen verbarg, beschäftigte Staatsanwaltschaft, Anwälte, Rechtsprechung, Presse und die Öffentlichkeit bis zu seinem Tod im Jahr 2014.

Ronald Harwood, Schauspieler und Autor bekannter Theaterstücke wie “Der Fall Furtwängler”, “Kollaboration” und “Der Garderobier” – die bisher alle schon in Berliner Theatern erfolgreich aufgeführt wurden, und der das Drehbuch zu Polanskis berühmten Film “Der Pianist” verfasste, erfand einen     Cornelius Gurlitt, der in seiner Skurrilität, in seiner Kunstleidenschaft, in seiner Menschenangst und einer daraus resultierenden Kaltschnäuigkeit, der trotz mancher Grobheiten und Anzüglichkeiten ebenso unsere Sympathie als auch unser Mitleid verdient.  Die Bühnenfassung benötigt nicht mehr als vier Schauspieler, vorzugsweise altbekannte Charakterdarsteller, wie sie sich gerne von Zeit zu Zeit auf die Bühne des Berliner Renaissance Theaters begeben, um nach Film- und Fernseharbeit wieder den Applaus des Publikums zu genießen.

Und der ist ihnen unter der bewährten Regie von Torsten Fischer sicher: Mit Udo Samel als ein Gurlitt, der jedes Wort, jeden Satz mit so viel Überzeugung formt, mimisch mit umwerfender Komik, aber auch von berührender Empfindsamkeit, dessen Stimme sich mal gewaltig aufbrausend über die in seiner Vergangenheit unerschütterlich und unerbittlich bohrenden Ermittler entlädt, um dann wieder sanft, kindlich bittend und greinend um Mitleid heischt. Inmitten seiner Eisenbahn, die erstaunlicherweise übrigens die ganze Aufführung unbeschadet  übersteht,zieht Samel in einer mehr als einstündigen Verteidigung alle Register eines gewieften Taktikers: schlagfertig, wortklaubend, gewitzt und hintersinnig. Doch dann fällt dieser Gurlitt immer wieder ins Altmännergeplapper, mit dem er dann doch dem sturen Ermittler der Staatswatlschaft die gewünschten Fakten liefert. Für Boris Aljinovic ein Heimspiel, ungerührt, sachlich, akzentuiert und dann wieder mit leiser Stimme taktierend, weiß er, wie er das Opfer in die Falle lockt; Heftiger ist da schon die Kollegin Anna Franziska Srna im Wechsel mit Anika Mauer, die im attaktiven Dirndl die plumpen Avancen des alten Mannes herausfordert, doch dessen ungeachtet, ihn mit aller Schärfe in die Ecke treibt. Und die Bühne, immer wieder mit Geschick auf die Handlung abgestimmt, verfügt tatsächlich über einen Eckwinkel, in den sich Gurlitt schweißgebadet zurückzieht: Was war da an jenem Tag an der Schweizer Grenze, was wollte der Kunstsammler dort und – woher kommen diese Bilder, die sich in der Wohnung stapeln, alle noch zunächst nur mit dem Rücken zum Publikum gewandt, doch nach der Pause umgedreht, nun ihren wahren Wert preisgeben.

Wohl keine Gazette, kein Magazin, keine Vernehmung hat in der Realität den Menschen Cornelius Gurlitt so menschlich gemacht wie Udo Samel hier auf der Bühne, ein Junge, der in die Wirren der Nazizeit hinein geboren wird, der den Vater unkritisch verehrt, den die Kunst schon früh erzogen hat im Erbe seiner künstlerischen Vorfahren, der nicht versteht, was der Vater auf seinen Auslandsreisen wirklich machte, der nur eines weiß: diese Bilder müssen erhalten bleiben, dürfen nicht auseinander gerissen werden; sie sind seine Familie, sie sind alles, was er hat. Und das ist, wie späterhin geschätzt werden wird, rund eine Milliarde Euro. Gulritt stirbt 2014 mit 81 Jahren.

Sein letzter leiser Monolog auf der Bühne, schon aus dem Jenseits, nachdem er einem Herzinfarkt erlegen ist, ist ein wehmütiger, schmerzvoller Abschied von seiner “Familie”, die, so fürchtet er, nun   auseinander gerissen, mit Zank und Erbschaftsstreit in alle Winde verstreut werden wird. Er konnte es nicht mehr erleben, dass seine Sammlung doch größtenteils zusammen gehalten nun in Bern ihr Domizil finden würde. A.C.

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