Geächtet, OL

von Ayad Akhtar
Oldenburigsches Staatstheater, 2018
Regie: Peter Hailer, Dramaturgie: Matthias Grön, Bühne: Dirk becker, Kostüme: Britta Leonhardt
mit: Agnes Kämmerer (Emily), Helen Wnedt (Jory), Fabrian Felix Dott(Amir), Jens Ochlast (Isaac), Valentina Schüler (Susan)

Man bleibt, was man ist…

Warum, so fragt man sich die ersten Minuten, trägt dieser smarte junge Mann, der da seiner Frau offensichtlich Modell als gegenüber sitzt, keine passende Beinbekleidung? Lediglich sein Jackett weist darauf hin, dass es sich hier um einen Businessmann handelt, der nun gerade kein ruhiger Idealtyp für eine Malerin ist, da er ständig mit Handy und Gesten herumquirlt und irgendwelche Geschäfte tätigt. Auch meint er wohl, ohnehin halb entblößt, dass er seine Frau noch schnell eben verführen könnte, bervor er in Anwaltskanzlei eilt. Das verhindert ein unverhoffter zukunftsentscheidener Besuch: Armirs   14jährige Nichte erscheint und bittet ihn um Beistand für einen, wie sie meint, unschuldigt inhaftierten Geistlichen. Doch dieser Geistliche ist der Imam ihrer muslimischen Gemeinde und des Terrorsverdachts wegen in Untersuchungshaft. Aber Amir hat seine muslimische und pakistanische Herkunft längt mit der amerikanischen Identität vertauscht und will rigoros auch nichts mehr damit zu tun haben. Aber da hat er nun leider die Rechnung ohne seine kämpferische Frau gemacht, die als Künstlerin gerade für alles schwärmt, was der Islam jemals hervorgebracht hat, und die Nichte, kindlich-gutgläubig, so scheint es, den Onkel geradezu steinerweichend um seine juristische Mithilfe anfleht. So nimmt das Geschehen seinen unerwarteten Lauf.

Die Charaktere geraten schnell in Konfrontation: Fabian Felix Dott zeigt einen Amir, dessen Leidenschaft und Intelligenz nicht darüber hinweg täuschen, was seine leise, beinahe unterwürfige Tonart bereits andeutet: dass er seiner Frau Emily nicht wirklich gewachsen ist, die in der politischen Ausdeutung von Kunst und Islam keine Kompromisse eingehen will. Und wie so oft im Leben ist dieser erste Eindruck entscheidend und wird sich im Laufe des tragischen Boulevardsspiels bis zum bitteren Ende stetig fortentwickeln. Denn Agnes Kammerer als Emily ist wenig sensibel für die Befindlichkeit ihres Mannes, und bringt ihn mit ihrer idiologischen Beharrlichkeit dazu, der Verhandlung gegen den Imam lediglich als Beobachter beizuwohnen. Doch die Zeitung am nächsten Tag wird sein Erscheinen und sein Interview anders auslegen und damit sein Berufsleben zerstören.

Der Whisky beim abendlichen Dinner mit einem befreundeten Ehepaar tut sein Übriges, weckt Traumata und Minderwertigkeitsgefühle und läßt Bösartigkeiten gegen die Religion und Herkunft des Anderen wie aus einer archaischen Glut heraufsteigen..

Denn, wie in solchen Stücken seit jeher üblich, trinken die Protagonisten, bevor sie sich beim Mahl gnadenlos zerfleischen, viel zu viel, um noch einen kühlen Kopf zu behalten, und völlig ausrasten, sobald ihre intellektuelle Überkompensation dem emotionalen Druck nicht mehr die notwendige Balance bieten kann. Da ist der Kunstkurator Isaac, der, wie sein Freund Amir, der Religion seines Volkes keine wesentliche Bedeutung mehr schenkt, und der als Mäzen von Emily ihre Bilder und auch sie selbst liebt, wie sich bald herausstellen wird. Und da ist die Anwaltskollegin Amirs, eine scharfzüngige, treffsichere Frau, der Helen Wendt die Stärke und Flapsigkeit der erfolgreichen Amerikanerin gibt, während Jens Ochlast als Isaac unbewußt stark mit der Identität seines Volkes verhaftet, dem wortgewandten Juristen Amir kaum gewachsen ist.

Der Diskurs um Religionen, Traditionen und Identität beginnt beim Vorspeisensalat historisch korrekt, offenbart zwischen den Glaubensrichtungen Islam, Judentum und Christentum in seiner Ausformung strenger Sekten unterschiedliche Auffassungen, doch noch vor der Hauptspeise (Schweinefilet!) gleitet die Auslegung und Anwendung bestimmter Koranverse sehr schnell ab in einen sehr persönlichen Bereich, der die beiden Männer – Isaac äußerst agressiv, Amir noch rhetorisch gelassen – in den gefährlich ausgleitenden Dispsut treibt, bis Amir schließlich nicht nur das auslebt, was er eigentlich zutiefst am Islam verurteilt, und Isaac sich jäh als Jude geriert und wutentbrannt das Haus verläßt.
Die beiden coolen Frauen sind entsetzt, rat- und sprachlos, auch Jory, die Armir zuvor noch eine Beichte ablegte, die ihn vollends ausraten läßt: auf Grund seiner mutmaßlichen Verteidung des belasteten Imam hat seine Kanzlei ihn durch Jory ersetzt.
Die Nichte Susan (Valentina Schüler) wird sich später in die Muslimin zurückverwandeln als die sie mit ihren Eltern von Pakistan nach Amerika geflüchtet war und Armir des Verrats an seinem Volks und dessen wahren Glauben mit hysterischem Fanatismus inquisatorisch anklagen. Emily kennt ebenfalls kein Verzeihen und trennt sich von dem völlig zerstörten Amir.

Ist das Ende vom Lied die bittere Erkenntnis, dass keiner dieser Emigranten – selbst in zweiter oder dritter Generation – seine Tradition, seine Wurzeln einfach so ablegen kann, dass Ungleichheiten bei sich selbst und dem anderen bitter ernst und übersensitiv wahrgenommen und verurteilt werden, und dass die Gesellschaften insgesamt ihre interkulturelle  Belastbarkeit überschätzt haben und stets wieder in Klischee-Vorstellungen verfallen, die das Oben und Unten in einer Gemeinschaft  unlöschbar markieren und ein gleichwertiges Miteinander unmöglich machen? Es bleiben genügend Denkanstöße.

Ungemein engagierter Beifall für die erste Aufführung. A.C.

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