Edward II

von Christopher Marlowe

Deutsch von Alfred Walter von Heymel
Schaubühne am Lehniner Platz

Regie: Ivo van HoveBühne und Licht: Jan Versweyveld, Kostüme: An d’Huys
Musik: Eric Sleichim, Video Tal Yarden
mit: Bernado Arias Porras, Thomas Bading, Christoph Gawenda, Moritz Gottwald, Urs Jucker, Sebastian Nakajew, David Ruland, Kay Bartholomäus Schulze, Stefan Stern

 

Meuchelmorde ohne Ende

Zwar streiten sich Bewunderer und Gelehrte noch immer vehement um die wahre Identität des großen William Shakespeare, doch eines dürfte sicher sein: Christopher Marlowe war es nicht, der unter diesem Pseudonym ebenso drastische Macht- und Mörderdramen als auch ebenso verwicklungsreiche Komödien schrieb und der insgesamt ein unübertroffenes poetisches Werk hinterließ. Denn Marlowe verfügt wohl hin und wieder über tiefere Einsicht in menschliche Verhaltensweisen, in Ränke- und Rachespiele des Adels, in seelenverworfene Landschaften, aber sein Sprachfundus ist weitaus bescheidener, wenn nicht sogar mager – und sein dramatischer Bilderbogen ist nicht annähernd so tiefgründig und schillernd wie der Shakespeares, um ihn an die Seite seines Zeitgenossen zu stellen. Hinzu kommt- wahrscheinlich erschwerend – dass jetzt nun wieder eine neue Übersetzung vorliegt, der eine Inszenierung folgt, die weitgehend von niederländischen Künstlern geprägt ist, denen man an der Schaubühne wohl wegen ihrer Drastik gerne Raum und Darsteller zur Verfügung stellt.

So liefern sich die Beteiligten dieses Dramas, die rundherum um den sanften und homoerotischen König Edward ihr Machtpoker betreiben, ein überwiegend rhetorisches Duell, treten, wenn sie etwas zu sagen haben, aus ihren acht Käfigen hervor, die in langer Front auf der Bühne aufgereiht sind und die – mit gutem Willen – die Isolierung aller Beteiligten (von der Gesellschaft, vom Volk, von sich selbst?) symbolisieren sollen. Zu Beginn turnt ein Mann, nackt und nass, auf dem Dach der Zellen herum und verkündet, wie er seinen besten Freund und Liebhaber, nämlich Edward, in das bacchantische und exzessive Leben des lasterhaften Müßiggangs hineintreibt. Edwards Günstling Gaveston ist ein Emporkömmling, der sich Gunst und Privilegien, Geld und Macht erkauft, und dabei die Missgunst der Königin Isabell und die aller Peers und Berater gründlich verscherzt hat. Und da der schwache, liebestrunkene Edward nun durchaus nicht auf seine Lords hören will, muss zunächst Gaveston erdrosselt und dann Edward selbst ausgeschaltet werden, der nun gar nicht daran denkt, abzudanken, sondern statt dessen einen Krieg (dass die Bettfedern nur so fliegen!) gegen seine ehemaligen Gefolgsleute anzettelt, während der äußere Feind bedrohlich nahe ist. Edward verliert den Zwist und weiterhin alle Würde, alle Anrechte auf Menschlichkeit. Seine Qual wird gern und lang ausgebreitet, und es fließt, wie immer noch gern und oft auf Deutschlands Bühnen, altmodisches Theaterblut in jeder Menge. Modern soll das in der Mitte zwischen den Zellen hoch aufgerichtete mediale Überwachungspodest sein, auf dem der Lord Leicester im passablen Anzug thront, bürgerlichen Anstand mimt und dann und wann herab steigt und den gedungenen Mörder spielt. Videoaufnahmen zeigen Rösser auf dem Schlachtfeld und Leicester am heimischen Herd, Spaghetti kochend. Das ist schlichtweg albern. Natürlich hat die Macht zwei oder gar mehrere Gesichter. Wem verkündet der Regisseur da Neues?

Das alles ist zwar ziemlich drastisch, aber leider auch langweilig. Wäre die Verschwörung nicht so abgrundtief bösartig, und dieser König nicht so absolut unfähig, man könnte diese halbnackten Gammler allesamt gar nicht ernst nehmen. Aber Intrigen sind nun einmal zeitlos und finden vorwiegend in den Köpfen und nicht immer in einem ansehnlichen Gewand statt. Wie zu elisabethanischer Globe-Theater-Zeit gibt es hier keine weiblichen Schauspieler, und darum ist auch die beleidigte und mißachtete Isabell ein junger Mann in billigen Fummeln, der sich oder die sich zwecks Rache und Thronerwerbs an Mortimer, den intellektuellen Anführer der Opposition hält. Liebhaber schon jetzt, künftiger Herrscher wahrscheinlich.
Doch da tut sich plötzlich ein dramaturgisches Wunder auf. Ein langmähnig gelockter junger Mann, ebenfalls im loddrigen Gammellook, windet sich plötzlich in die Aufrechte und verlässt seinen bisher stumm eingehaltenen Platz am Rande der Käfigreihe. Er entpuppt sich überraschenderweise als Sohn von Edward und Isabell, der – zunächst noch ganz artiges Kind – auf die Worte der Mama hört und das Regieren dem netten Onkel Mortimer überlässt. Doch nachdem dieser auch den legitimen Onkel, den Bruder Edwards, beseitigt hat, erwacht der Jüngling jäh aus dem Dämmerschlaf der Unschuld, und das familiäre Blut beginnt zu brodeln. Der Vater, zunächst in verächtlichem Bann gefoltert und letztendlich gemein gemordet, verdient Rache. Und der legitime Thronfolger lässt es denn auch nicht an Entschlossenheit fehlen: Der Kopf Mortimers rollt, die Mutter haucht auch schnell ihr letztes Flehen aus, und der Jüngling verzieht sich nun seinerseits in die Zelle der Isolierung und vorläufigen Macht, grinsend, augenscheinlich verwundert darüber, dass ausgerechnet er nun das Sagen hat.

Ein Meuchelmorddrama mehr, aber kein sehr gutes, und es hinterlässt auch keine besonderen Spuren weder im Herzen noch im Hirn der Zuschauer. Dass sich ein sanftmütiger und entscheidungsunfähiger Mann nicht lange an der Macht hält, ist nun wahrlich keine Überraschung mehr! Es gibt andere Stücke an der Schaubühne, die sich für einen Besuch empfehlen. A.C.

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