Götterdämmerung, OL

s. Rheingoold und Brünnhilde

Uraufführung Festspielhaus Bayreuth, 17.8.1876
Oldenburgisches Staatstheater, 2022
Ensemble: Zoltán Nyán: Siegfried; Nany Weißbach: Brünnhilde; Kihun Yoon: Gunter; Ann-Beth Solvang: Gutrune; Sami Luttinen: Hagen; Melanie Land: Waltraute; Maiyu Vaahtoluoto: Erste Norn; Ann-Beth Solvang: zweite Norn; Susannne Serfing: Dritte Norn; Leonardo Lee: Alberich; Martha Easonn: Woglinde; Erica Back: Wellgunde; Maiju Vaahtolouto: Floßhilde; Statisterie des Ol.Staatstheaters; Opernchor und Extrachor des OL. Staatstheaters

Ein wahres Ringfeuer entfacht

Alles verhüllt in trauriges Grau, verborgen durch düstere Nebelschaden,Trübsinn wallt durch die kargen Räume der bäuerlichen Drehbühne. Im Vorspiel weben vor totem Geäst die drei Nornen am Schicksalsseil der Götter, jammern und klagen in dunkler Vorahnung; denn seitdem die Weltenesche ihr Holz für Wotans Speer spendete, verliert sie nach und nach ihr Leben. Doch nicht nur der Lebensbaum stirbt langsam ab. Noch einmal erzählen die Schicksalsgöttinnen voller Melancholie von den bisherigen Ereignissen, die sie ahnungsschwer in die Zukunbft schauen lassen. Und dann reißt jäh der Faden…und die Nornen sind ihrer Aufgabe ledig.

Der Dreh der Bühne zeigt jetzt das glücklichste Paar der Welt, Brünnhilde und Siegfried, ausführlich und überaus hingebungsvoll mit ihren Abschiedshymnen beschäftigt. Die romantische Verklärung will mit heiligem Heil-Wünschen gar keine Ende finden, und man ist irgendwie geneigt zu hinterfragen, warum bei solch großer Liebe der junge Mann von seiner Tante (natürlich weiß er nichts von der Verwandtschaft, denn was des einen Großvater, ist der anderen Vater) überhaupt fort will. Natürlich schreibt das Mythos dies vor, aber dennoch, Wagner macht es den Beiden nicht und uns mit so vielen liebesverschlungenen Texten und tonal gleißender Glut nebst herzzerreißenden Treueschwüren mit dem Abschied nicht leicht, aber läßt damit auch letztlich die erbarmunglose Rache der verratenen, mißbrauchten Brünnhilde bereits vorausahnen und verständlich. Und das überaus gleichwertige Superpaar dieses Abends zeigt große Liebende, die jeder Pubertät entwachsen sind und sehr wohl wissen, was eine derart tiefe Bindung bedeutet. Aber die einstige Walküre Brünnhilde schlüpft textlich auch schnell wieder in die Rolle des Weibchens, da sie sich dem reiselustigen, tatendurstigen und nach Schlachtenruhm lechzenden Helden demütigt beugt. Wo ist die Walküre gebleiben? Ist ihre Kraft und Macht nicht wieder größer denn je? Denn immerhin erhält sie von Siegfried als Treuezeichen den mächtigen Ring, dessen wahren Wert nur sie kennt. Dafür erhält er ihr Blitzpferd, das in seltsamer Funktion von einem Menschen mit Krückstöcken dargestellt wird. Ein Tipp: des Zuschauers Phantasie hätte auch ohne diese etwas befremdliche Figur ausgereicht, sich ein Pferd vorzustellen!

Als an “Brünnhildes Arm” gefesselt, verläßt der tatendurstige Liebhaber nach der Abschiedsorgie seine Braut, die den Ring samt totem Alberich-Arm nun ihrerseits im Arm wiegt. Das wirkt nicht erst seit “Rheingold” verstörend. Dürften die wechselnden Ringinhaber den Reif nicht an langer Kette um den Hals tragen, ohne das versehrte Menschenglied ständig mit sich herumzuschleppen?
Bevor Siegfried durch des Erzählers List an den Hof der Gibichungen – Gunters, Hagens und ihrer strickenden Schwester Gutrune  – per Schiff gelangt und dort festgehalten, seiner Erinnerung durch verhexten Trank beraubt und zu Gutrune in neuer Liebe erwacht, muß etwas über den bemitleidenswerten Göttervater Wotan berichtet werden, der seiner Rolle als Familienoberhaupt in diesem letzten Drama nur noch schweigend, in sich selbst zurückgezogen so gut wie gar nicht mehr gerecht wird. Führung, Hilfe, Rechtsprechung, Lenkung, Leitung aller Geschicke, nichts von alledem, vorbei. Unter trüben Funzeln sitzt die Familie gebeugt und schweigend am hölzernen Tisch, Wotan in der Ecke am Ofen, Trübsal blasend und seiner angehäuften Verfehlungen gedenkend, bereuend, aber ohne Macht – weil ohne Ring – sie wiedergutzumachen. Seine Lieblingstochter hat er verbannt, nachdem sie seinen eigensten innersten Wunsch, nämlich den illegetimen Sohn Siegmund vor dem Tod zu bewahren, versucht hat, zu vereiteln – und da Vatergebote seinerzeit im Himmel wie auf Erden nicht übertreten werden durften, mußte er sie in die schreckliche Verbannung schicken und zusehen, wie Siegfried – dereinst noch ungeborener Sohn des Zwillinge Siegmund und Sieglinde  – eines fernen Tages der männliche Erlöser der verbannten Tochter werden sollte. Ja, die Treue… Fricka hatte versucht, dem mit göttlichem Wortgewitter ein Ende zu setzen. Aber konnte sie etwas ausrichten?
In diesem Weltuntergangsstimmungstief aber gibt es noch immer eine Steigerung der Bösartigkeiten in den Familien der Götter und Zwerge. Denn Bösewicht Alberich, der um Gold und Leben von Wotan gebrachte dunkle Fürst der Schmiedekunst, hat drei Kinder in die Welt gesetzt mit einer Frau, die sehr bald das Zeitliche segnete und daher wohl an der Erziehung der Sprößlinge nicht viel mitwirken konnte. Gunter ist  der Älteste, von der Regie als dick aufgeplusterter, unappetitlich permanent schlingender und dem Trunk ergebener Widerling präsentiert, etwas dümmlich, aber dafür ist der tieftrübe Hagen im Hintergrund – wenig beachtet, jüngstes Kind –  mit dem Rachedurst seines Vaters ausgestattet, sowie die hilflose verhuschte Schwester Gutrune, die allerdings den Ehemann in spe lieblich singend zu umgarnen versteht. Noch ist ihr Leben voll schrecklicher Langeweile bis der beinahe unscheinbare Hagen auf die Idee kommt, Gunter mit tiefgreifendem Bass die Lust auf die ferne Walküre auf dem feuerumflammten und sturmumtosten Felsengefängnis schmackhaft zu machen und Gutrune den hehren Helden Siegfried als künftigen Ehemann anbietet. Das sind lange, intensive und köstlich fies gespielte und vertonte Szenen und Autritte im ärmlichen Haushalt dieser Herrschaften, die es dank Hagens Kenntnis natürlich auch auf Ring und Gold abgesehen haben. Alberich erscheint zudem noch einmal mahnend aus dem Jenseits hinter der hölzernen Luke und treibt den depressiven Hagen voran. Er soll sich gefälligst sputen, Siegfried einfangen und die Geschwister auf Trapp bringen.

Wie das Schicksal es will, kommt sogleich Siegfried in einem Kahn angestakt und bittet um Gastfreundschaft. Betrug und Verrat  werden geschickt arrangiert, von wissender Musik mit allen zur Verfügung stehenden Leitmotiv-Verwebungen begleitet: Die Geigen sind vom Spiel der Sinne inspiriert, die Harfen säuseln Gutrune und Gunter Liebesverlangen ins Hirn, und die verschwenderisch schwelgenden Liebesweisen von Brünnhilde und Siegfried verwandeln sich  bei den Hörnern, Geigen, Flöten und Celli in zwielichtige, schräge, brutale Töne aus der Welt von List und Tücke, Betrug und Tod.
Wirklich atemberaubend wirbelt und trommelt und posaunt es wieder aus dem Orchestergraben als Brünnhilfe auf Gunters Hof eintrifft, den widerlichen Betrug mehr erahnt als versteht und den verhassten neuen Ehemann sofort verbal in die Ecke verbannt als sie Siegfried nicht nur am Ring erkennt, sondern auch, das der Geliebte geblendet und verführt wurde. Die schreckliche “Eroberung” des Gibichungen weiß sie nun zu erklären, und ihre Verzweiflung, ihr unerträglicher Kummer, ihre Demütigung verwandeln sich in unversöhnlichen, unerbittlichen Götterhass. Die Gefühlsaufwallungen, Schwankungen, die Wut, das Leid, die aufkeimende Rache kann Nancy Weißbach so stolz, so letztlich unbeugsam mit ungemeiner Grandezza singen und spielen, dass sie die Heldin dieser Götterdämmerung ist. Aber das Böse schläft nicht: Sofort ist Hagen zur Stelle und erfährt, wo Siegfried verwundbar ist.

Das Spiel aber ist noch lange nicht aus. Und dass immer wieder Spannung erzeugt wird, wir gebannt auf den Todesstich Hagens in Siegfrieds vom Drachenblut nicht verzaubertes Schulterblatt warten, dem aber zuvor noch eine lange Jagd sowie ein Abstecher zu den Rheintöchtern beschieden ist, deren vergeblicher Versuch, ihn vor dem  Tragen des todbringenden Ringes zu warnen, ergebnislos bleibt, weil der Recke gar nichts vom Fluch Alberichs weiß und den Ring einfach gern behalten möchte. Dann kehrt er zur Jagdgesellschaft zurück, wird ausgeschlossen, weil er keine Beute gemacht hat, und wieder einbezogen als Hagen ihm einen Erinnerungstrunk verabreicht und ihn auffordert, aus seinem Leben zu erzählen, zum Beispiel, wie er zu dem Ring gekommen ist, was die Vögel ihm gezwitschert haben und wie sein Heldenleben so  bisher verlaufen ist. Da kann die Musik noch einmal alle bisherigen Stationen intensiv aufgreifen und mit genussvoller Empathie widerspiegeln.

Da Einfältigkeit auch irgendwann bestraft wird, erinnert sich der “Held” nun jäh auch an Brünnhilde, die Verlobte, die Geliebte, und – was er ihr angetan hat. Zu spät, Hagens Dolch ist gezückt, und langsam stirbt nun der Recke – umtost, umdonnert, umhüllt von Erinnerungen an die Zärtlichkeit der verratenen Liebe, den Schmerz des Verlustes, die Verfehlung – Siegfried ist kein freier Mann, sondern ein naiver junger Halbgott, ein Unwissender, den die Mächte aller Zauberkünste ins Verderben stürzen. Die Musik zieht alle emotionalen Register, läßt Siegfried noch einmal sein Leben in Bildern aufblitzen und beinahe ein Sterben unmöglich machen. Das zieht sich lange hin, und bis Brünnhilde ihn aufgestöbert, mit ihrem Vater Wotan abgerechnet, den Ring wieder an sich genommen und das Weltenfeuer mit Loges Hilfe entfacht hat, um zu ihrer großen Liebe ins Grab zu steigen – da muß man schon noch einige Zeit mit der Musik in dieser Abenteuerwelt verweilen. Die Rheintöchter,, ziemlich gewqitzt, krabbeln noch einmal aus ihrer tiefen Flußidylle und schnappen sich den Ring. Und so ist er wieder daheim, und die Welt der Götter, Riesen und Zwerge hat ihre Macht verloren .

Aber als alle – Pubikum wie Darsteller und Musiker nach fünfstündiger Anspannung gleichermaßen glücklich erschöpft, das Erlebte noch einmal unter langem Beifall Revue passieren lassen, kann man Oldenburg bescheinigen, dank der überzeugenden Sänger, einem prächtigen Chor und dem kongruenten instrumentalen Zusammenwirken unter der Leitung von Hendrik Vestmann, ein spannendes Ringfeuer wagnergerecht entfacht zu haben. A.C.

 

 

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