Pique Dame, HB

Oper in drei Akten und sieben Bildern von Peter I.Tschaikowsky,
Text von Modest I. Tschaikowsky nach der Novelle von Alexander Puschkin, Uraufführung 1890
in St. Petersburg
in russischer Sprache mit deutschen Übersetzungen

Theater am Goetheplatz, 2023, HB

Musikalische Leitung: Yoel Gamzou, Regie: Armin Petras, Bühne: Julian Marbach, Kostüme: Patricia Talacko, Dramaturgie: Frederike Krüger, Licht: Norman Plathe-Narr

mit: German, ein Offizier: Luis Olivares Sandoval; Die Gräfin: Renée Morloc; Lisa, ihre Enkeltochter: Nadine Lehner; Polina, ihre Freundin: Ekaterina Chayka-Rubinstein; Graf Tomski: Elias Gyungseok Han; Fürst Jelezki: Michael Partyka;Tschekalinski, Offizier: Christian-Andreas Engelhardt, Surin, Offizier: Stephen Clark; Matteo Cammarata als Spieler und Zeremonienmeister; Bruno Vargas als Spieler, Astrid Kunert als Mascha, Joanna Laszczkowska, Klavier

Kein Verlass auf die Pique Dame

Kaum einem Regisseur ist es bisher gelungen, die Szenerie dieses Dramas vom ausgehenden 19. Jahrhundert in die nicht minder brutale Gegenwart unter dem Despoten Putin bildnerisch zu verlagern. Auch Armin Petras, der sich mit allerlei szenischen Puzzeln und naturgrünen Videoeinblendungen gern vielfältig auf das Geschehen kapriziert, hat nur ein morbides Ambiente mit viel Müll in Dunkelheit und Nebelschwaden geschaffen, dessen trübe Atmosphäre immerwährenden Schwermut zuweilen viel dunkles Volk als Chor und Dienerschaft mit singfreudiger Festtagsstimmung durchdringt.

Nichts vom Glanz des alten Adels, der seine Schulden am Spieltisch bis zum Bankrott anhäufte, kein letzter Glamour einer verschwenderischen Elite im Untergang, lediglich ein fortwährendes Jammern und Klagen, ein hilf- und haltloses Aufbegehren gepeinigter Charaktere gegen die liebgewordene, sie zur Untätigkeit verdammende Melancholie.

Hinzu kommt, das zu den überaus einfühlsam und betont mit längeren Atempausen gesetzten, stürmischen wie poetischen Intervallen des Orchesters sich  die Handlung auf der Bühne sich nur zögernd entfaltet, dem alten Duktus der statisch geführten Sänger Folge leistend. Nur der lebendigen und noch lebensfrohen und hoffnungsvollen verliebten Lisa, mit Nadine Lehner glänzend besetzt, gelingt noch spielerische Leichtigkeit. Da sie die Einzige ist, fällt sie sozusagen aus der Rolle. Aber immerhin bleibt sie die dominierende Augen- und Ohrenweide für ein zuweilen ermüdendes Publikum. Auch der Graf, mit Michael Partyka durchaus charismatisch besetzt, kann sich trotz Wohlstand und Warmherzigkeit nicht in Lisas Herz schmuggeln, die auf den fremden, traurigen Soldaten German wartet, der sich ihr nur zögernd zu nähern wagt. Klar, mittelos, dazu Ausländer, außerhalb jeder Gesellschaft, am Spieltisch nur geduldet, weit entfernt also, weder durch Liebe noch durch Geld jemals in die tonangebende Gesellschaft integriert zu werden, hat Publikumsliebling Sandoval es trotz seiner ebenso zärtlich-romantischen wie leidvollen Sehnsuchtsschwüren schwer, die muntere Lisa hoffnungsfroh zu stimmen.

Nun heißt das Stück ja seltsamerweise “Pique Dame”, und die mystischen Karten wurden einst von der alten Gräfin gezogen, die mit Reneé Morloc eine ferne geisterhafte Figur macht, und als sie endlich ihre große Arie darbieten darf und unheimlich durch Höhen und Tiefen früher Lebenserfahrungen führt, die ganz und gar schon eigentlich der alten Zeit angehören, weiß man, dass nichts mehr so sein wird, wie es einst war. Als sie kurz darauf ein Herzschlag ereilt. weil German in seiner absoluten Verzweiflung nämlich versucht, sie    zu erpressen, damit er mit ihrem Geheimnis der drei ominösen, endlosen Reichtum versprechenden Spielkarten mit Lisa ein neues Leben beginnen kann.

Ob der um sein Glück betrogene Soldaten nun in den Wahnsinn verfällt oder ihm tatsächlich im mystischen Glauben der Volkes der Geist der Gräfin ihm die drei Karten verrät, bleibt hier hinter der ohnehin  hinter der  morscher Fassade ungeklärt. Diese Partie könnte man dramatisch ausbauen oder auch im Sinne der Bremer Aufführungscredos, alles als Ensembleleistung anzubieten, in gleichbleibender emotionaler Schwindsucht belassen.

Das gräfliche Personal bleibt verhuscht, ist jedoch als Chor  wie immer vorzüglich eingestimmt und lebendig, kleine  Kinder hocken irgendwie verloren unter alten Möbeln, und irgendwie sind in dieser Unordnung weder Reichtum noch alter russischer Charme, noch neue Revolution spür- und sichtbar. Bis zur Pause zieht sich die Entwicklung der traurigen Liebesleid-Affäre ohnehin etwas qualvoll in die Länge, um hernach, dank jetzt auch anschwellender lebhafterer  Orchestrierung eine spannendere Handlung einstellt. German kommt zur Sache, Lisa erwidert seine Liebe, der Fürst verzichtet, die alte Gräfin outet sich, das Volk ist zufrieden, die alten Haudegen am Spieltisch grob und geldversessen wie eh und je, und der arme German, der sich so mächtig in den Karten getäuscht hat, wird den Totalverlust seines Einsatzes nicht mehr verkraften können. Lisa liegt schon halbtot über dem schwarzen Klavier, in Düsternis gehüllt, in die der wahnsinnig gewordene Soldat  jetzt hineintaumelt.

In dieser Inszenierung mag die sprachliche Originalversion ein mögliches Hemmnis für die Entfaltung und Identifizierung der Darsteller mit ihren Rollen gewesen sein; die Schwere der russischen Historie, die bis in die Gegenwart hinein lähmt und allen Optimismus aufhebt, wird ebenso eine Rolle gespielt haben, wie auch  Tschaikowskys und Puschkins Leben sich in dieser Oper widerspiegelt. Dennoch kann sie reizvoller dargestellt werden. A.C.

 

 

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