Der Menschenfeind,B

von Molière
Komödie in fünf Akten (1665)
Übetragen ins Deutsche von Ludwig Fulda
Deutsches Theater Berlin, 2023
Regie: Anne Lenk, Dramaturgie: Sonja Anders, Bühne: Florian Lösche,Kostüme: Sibylle Wallum, Musik:Camill Jammal, Licht: Matthias Vogel, Video Jens Kuffel
mit: Alceste: Ulrich Matthes, Philinte:Manuel Harder, Célimène: Franziska Machens, Èliante: Lisa Hrdina, Arsinoé: Judith Hofmann, Oronte: Timo Weisschnur, Acaste: Jeremy Mockridge, Clitandre: Elias Arens

“Der Mensch, er ist halt so”

Lange silbernde Fäden verdichten sich zur durchlässigen Rückwand, und auch die Seiten der Bühne sind mit blinkenden Schnüren dekoriert. Zuweilen zeichnet auch die Beleuchtung helle und dunkle Streifen wie Streifenhörchen auf die Kostüme der Schauspieler, die sich um diese alterslose Komödie postieren, die den jungen Menschen ein noch völlig ungetrübtes Vergnügen ist, den Älteren doch auch schon einen Spiegel vorhält. Denn dieser verbiesterte,vergrämte, rechthaberische und doch rechthabende Alceste, ist ein Intellektueller vielleicht, mehr aber ein vermögender Privatgelehrter, der dem Denker das Hobby der Menschenbeobachtung verschrieben hat. Aber damit ist er mehr als unzufrieden. Denn diese Spezies treibt ihn zur Weisglut mit all ihren Fehlern, ihrer Unzurechnungsfähigkeit, ihrer faden Spiel der Scheinheiligkeit, der falschen Freundschaften, der stets auf eignen Vorteil bedachten Lebenshaltung. Für Ulrich Matthes ein Vergnügen, diesen Alceste in allen sprachlichen Facetten schillern zu lassen!

Nun, kurz, er hat nicht nur Vieles an seinen Mitmenschen auszusetzen, sondern Alles; all ihr Gehabe und Getue nervt ihn höllisch, und er ist keinesfalls gewillt, auch wenn es ihm selbst schadet, von Tadel und Ehrlichkeit Abstand zu nehmen und seinem philosophischen, gemütvollen, friedfertigen  Freund Philinte zu vertrauen, der ihm letztlich nur das nahelegen möchte, was jedermann eigentlich weiß: der Mensch, der ist halt so. Und ihn zu ändern, wenn er selbst es nicht will, ist unmöglich.

Um diesen letztlich einsamen, egozentrischen Mann dreht sich der muntere Kreis der Amüsiergesellschaft zu Molières Zeiten, anno 1665: Die bürgerliche Gesellschaft hatte Vermögen geerbt, nichts zu tun, war jung und unbedarft und unbedacht, flirtete auf Teufel komm raus, verbrachte den Tag im Schlaf, putzte sich mit Hilfe der Dienerschaft späthin auf, legte Rüschen, Federhut und Wams an, antichambrierte möglichst beim Adel, dem man es in den Salons gleichtun wollte, plauderte  klatschte, lästerte und heimste sich dabei so manche Fehde ein. Man war schnell dabei, vor Gericht zu gehen,um seine Reputation zu retten oder wieder herzustellen. ( “Der Bürger als Edelmann” ist eine gleichfalls köstliche Satire, mit der Molière dieses Bemühen des Bürgers an den Pranger stellt.)

Die persönliche Tragik von Alceste, der an seinen hohen menschlichen Idealen leidet, kann man groß als langinszeniertes Schauspiel darstellen oder kurz und knapp wie hier, indem man einfach dem Witz der schnellen Versdichtung vertraut und die glänzende Sprachfertigkeit  der Protagonsiten wirken läßt. Somit wird es ein kurzweiliger Abend zur köstlichev Vorstellung sich ereifernder, scharfer und scharfzündiger, provokanter Dialoge in Sachen Lebensführung und Liebe.

Alceste vertritt zumeist, außer wenn man ihn mit Dummheit reizt, nicht unzugänglich, sondern eher elegant, zuweilen zynisch und doch beharrlich seine Ansichten  und unterscheidet sich in dezenter grauer Kleidung wohltemperiert von den quirrligen karnevalesken Typen seines Standes beträchtlich.  . Dass er ihnen natürlich auch rhetorisch und an Wortgewandtheit überlegen ist und sie erbarmungslos damit niederschmettert, verschafft ihm vor allem Genugtuung, vielleicht auch Repekt, aber überwiegend Ärger und Feinde. Und ausgerechnet jene Dame, die Alceste heiß begehrt, dreht sich kokett im Zentrum dieser Partylämmer, denn von Löwen kann bei der Verweichlung im alten Frankreich zu jenen Zeiten wohl keine Rede sien. Obwohl der Überdruß an schlimmen Erfahrungen, die Alcestes Menschenbild zugrunde liegen, nicht auf die äußerlichen Zutaten angelegt ist.Da sich die Menschen bis heute nicht geändert haben, könnte man natürlich eine Party auch in der zeitgemäßen gesellschaftlichen Form anbieten. Man konnte es im Münchner Volkstheater erleben als bemerkenswerte Variante und, leide,r zu Lasten der großartig geschmiedeten Verskunst.

Alcestes Angebete ist schon eine flotte Biene, die Franziska Machens als Célimène körperbewußt spielt und damit dem spaßverblendeten Alceste zur Weißglut treibt; so daß sich dieser vergißt und statt schöner Worte seine Eifersucht auf die Schöne schleudert, indem er die Oberflächlichkeit ihres – und seines – gesellschaftlichen Umgangs bitterböse verdammt und ihre scheinbare Treulosigkeit aufs Schärfste brandmarkt. Was diese weder zur Einsicht noch zum Einhalten ihres vergnüglichen Flirtens anregt, sondern eher provoziert. Um sie herum turnen die Gecken Orionte, Acaste und Clitandre; ihr Leben ist mit Schmeicheleien, Partygeplauder, Klatsch und Tratsch völlig ausgelastet. Bis auf Oronte. Er erdreistet sich doch, dem hohen Richter der Poesie, nämlich Alceste, ein selbstgebackenes Poem vozutragen, das in seiner allgemein gehaltenen netten Art auch ihn ,auch Alcestes vergebliches Liebeswerben offenbaren könnte…Vielleicht ist er nicht blind genug, um das nicht zu erkennen und damit in allerhöchste Wut zu geraten, die er kaum zu zügeln versteht. Er verdammt  Oronte in die dichterische Hölle, und Freund Philinte kann den Streitenden nicht mehr helfen. Oronte, von Timo Weisschnur unglaublich kapriziert zur Schau gestellt, wird in seiner affektierten    Selbstverliebtheit natürlich versuchen, Alceste wegen Beleidigng vor den Richter zu bringen.

Was ihm bleibt sind zwei ergebene Freunde: Philinte, der Philosoph und die reizende, menscheniebende Èliante, die Alceste herzlich zugetan ist, wobei auch hier wieder ein tragisches Tüpfelchen eingesprengt ist: Philinte ist derjenige, der sie liebt. Und bemerkenswerterweise wird der alte Zyniker auch von Arsinoé geliebt, Cèliménes “bester” Freundin, die sich beide den wohl  schönsten rhetorischen Zickenkampf der Theatergeschichte liefern.
Was soll’s. Alceste kann Célimènes Herz zwar für sich gewinnen, aber ihre Freiheit wird sie ihm nicht opfern.

Das ist für jene Zeit eine Ungeheuerlichkeit. Nur sehr reiche, sehr kluge, sehr beschütze Frauen konnten sich eine solche Unabhängigkeit erlauben. Ob diese Cèliméne schon dazu gehörte? Oder ob sie tatsächlich schon eine Vorreiterin der Emanziatption war? Zu befürchten ist allerdings, das Moliére im eigenem Leben nicht die besten ehelichen und Freundeserfahrungen gemacht hat. Und deshalb ist diese Komödie eigentlich eine Tragödie menschlicher Unzulänglichkeiten. A.C.

 

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *


6 × neun =