Die Liebe zu den drei Orangen, HB

Oper in vier Akten und einem Prolog
von Sergej S.Prokofjew
Text vom Komponisten nach Carlo Gozzi
Uraufführung am 30.12. 1921 in Chikago

Theater am Goetheplatz, Bremen, 2024

Musikalische Leitung: Sasha Yankevych; Regie: Frank Hilbrich, Dramaturgie Frederike Krügber Bühne Sebastian Hannak, Kostüme Gabriele Rupprecht, Chordirektor Karl Bernewitz,

mit: Hidenori Inoue als König Treff/Köchin/Exzentriker, Bassbariton; Ian Spinetti als Prinz, Tenor; Nathalie Mittelbach, Mezzo als Prinzessin Clarissa/Linetta/Exzentrikerin; Michael Zehe, Bass als Leander/Herold/Farfallo/Exzentriker; Fabian Düberg, Tenor als Truffaldino/Exzentriker; Michael Prtyka, Bariton als Pantalon/Exzentriker; Elias Gyungscok Han, Bariton als Zauberer/Exzentriker; Nadine Lehner, Sopran als Fata Morgana/Exzentrikerin; Adéle Lorenzi, Sopran als Smeladine/Nicoletta/Exzentrikerin; Elisa Birkenheier, Sopran als Ninetta/Exzentrikerin; Fabrian Markus Geier,  Yuxian Liu, Junkyu Kim, Hangshuai Li  als weitere Exzentriker.

Chor des Theater Bremen unter der Leitung von Karl Bernewitz; Es spielen die Bremer Philharmoniker

Der schwere Weg zum Helden

Das ist die sehr reale Geschichte innerhalb eines grotesken und symbolträchtigen Märchens: die Entwicklung eines jungen Mannes vom verwöhnten, sich verweigernden Kleinkind zum erwachsenen, mutigen, initiativfreudigen Mann.
Nörgelnd und mißmutig im mittlerweile viel zu engen Babykorb greinend, hat dieser Prínz wirklich wenig Chancen, alt zu werden oder gar den Thron seines Vaters zu besteigen. Alle Ärzte geben sich alle Mühe, kaspern mit allerlei Schläuchen um sein Bettchen herum, während der verzweifelte König mit seinem vertrauten Höfing Pantalon darüber nachsinnt, wie man den Thron sichern und den depressiven Sohn zum Frohsein verhelfen kann. Mittels Klamauk, Fète, Spaß, Sex? Die auf den Thron fixierte Opposition ist da gegensätzlicher Ansicht: die Nichte Clarissa und der intrigierende Minister Leander wollen Trübsinn, Versagen und allerlei Traurigkeit in das Gehirn des Junglings waschen, der übrigens als einziger in diesem reizenden Opernspektakel keinen Namen trägt, also pars pro toto. Alle Prinzen sind gemeint, Mütter und Väter gebt Acht! Und alle Herrscher von Gottes und Volkes Gnaden ebenso.

Das Goethetheater hat eine phantasievolle, ebenso skurrile wie nachdenkliche Inszenierung auf die bunte Bühne mit beweglichen Sitzelementen gezaubert, mit, auf und zwischen denen die Sängerinnen und Sänger herumturnen und allerlei Kapriolen vollführen, von einem hervorragenden Orchester auf die Note genau geführt und in allen Nuancen und gefahrvollen Situationen im Wechsel der Stimmungen und Emotionen kongruent begleitet. Das ist elegant

Der Anfang entspricht wunderbar origínell und akkurat der kompositorischen Absicht und Choreografie: die Chor-Mannschaften, aufgeteilt auf Bühne und Zuschauerraum, verkünden auf Transparenten ihren Protest gegen die anödende Einfallslosigkeit des Theaters und singen ihr Credo unmißverständlich  in den Raum hinein: Die einen fordern in der Tragödie Befreiung von psychischen Konflikten und inneren Spannungen durch emotionales Abreagieren, die anderen Zertreuung durch die leichte, anspruchslose Komödie, manche bevorzugen das lyrische Drama, andere wiederum den deftigen Klamauk. Letztlich vollbringt dieses Werk das Kunststück, alle Gattungen gleichermaßen zu bedienen, und der Inszenierung gelingt der Spagat zwischen all diesen Anfordeurngen, ohne ins Alberne abzudriften.

Carlo Graf Gozzi (1720-1806), Gegenpart des italienischen Lustspieldichters Carlo Goldoni. zog seine  Farcen und Maskenspiele nicht aus der täglichen Realität, sondern aus der orientalischen Märchenwelt  und schmückte sie zusätzlich mit den burlesken Elementen der alten venizianischen Volkskomödie, der Comedia dell àrte aus. Neben “Turandot” war “die Liebe zu den drei Pomeranzen”, das er im Jahre 1761 für die Truppe des berühmten Harlekin Antonio Sacchi schrieb, sein erfolgreichstes Stück und diente Prokofjew als Vorlage für seine Oper.

Der junge apathische Prinz also soll heiteren Gemütes werden, damit, so sagt es die Vorschrift, er den Thron besteigen kann. Welche kluge Entscheidung. Aber noch ist der trotzende Sohn nicht gewillt, seinen Kleinkindstatus aufzugeben, und auch alle Bemühungen des Spaßmachers Truffaldino, der die Trickkisten aller Kitas zieht, lassen ihn unberührt. Erst als die böse Zauberin Fata Morgana, die auf der Seite der Opposition steht, mit teuflischer Eleganz und brillierender Penetranz ihren ärgsten Feind und Beschützer des Königs, den Zauberer Tschelio, zum zweitenmal zu besiegen droht und dabei erbärmlich stürzt, bringt das den Prinzen zum unbändigen Gelächter, nach der alten Erkenntnis: Schadenfreude ist die schönste Freude. Und nun freut sich auch der gesamte Hof. Aber Weh und Ach! Kaum ist der Prinz seiner Babyrolle entsprungen, schlüpft er in den neuen Status des “Pubertiers ” und empört sich auch schon handgreiflich gegen den alten Herrn, der ihm verbieten will, die Drei Orangen zu suchen. Denn das ist der Fluch der entehrten Zauberin: der Prinz soll sich nach diesen Früchten in Liebe verzehren, der aber möchte sie in Natura besitzen und macht sich, nun als aufbegehrender Herrscher in spe mit dem seinem Freund, dem ängstlichen Spaßmacher, auf den Weg ins Ungewisse – irgendwo gibt es eine Küche, in der eine böse Köchin den überdimensionalen Löffel schwingt und die verzauberten Orangen hütet. Mit allerlei Zaubertricks gelingt es den beiden Männern, die Orangen zu entführen, zunächst noch als kleine Apfelsinchen, dann heranwachsend als durchsichtige  Riesenballons, die von den nun mittlerweile total erschöpften Helden durch die Wüste gerollt werden. Und, oh Graus, weit und breit natürlich kein Wasser, aber großer Durst! (Drama) Der Prinz schläft vor Übermüdung und aus dramaturgischen Gründen ein, während Truffaldino aller vorherigen Warnung zum Trotz die beiden Früchte öffnet, um seinen Durst zu stillen.

Das alles legt eine Heilpraktikerin mit Erfahrung in der Paartherapie als Objektophopie aus: eine erotische Anziehungskraft von Objekten. Da hier die Objekte aber nur verzaubert sind, und das wissen sicherlich alle ziemlich sicher, denn als Märchenprinz ist man ja nicht auf den Kopf gefallen, enthalten diese Objekte drei reizende junge Damen, von denen zwei allerdings verdursten müssen (Tragödie), die Dritte sich dann aber als Prinzessin und künftige Königin entpuppt. Aber noch hat die Zauberin von Ferne ihr Hand im Spiel, und es müssen noch einige Hindernisse überwunden werden. Wie das so ist bis der Prinz eben seine Prinzessin bekommt, der König und die Untertanen zufrieden sind und jubeln und die Bösewichter bestraft werden. Die flüchten aber lieber selbst schnell in die Tiefe ihrer immerwährenden Existenz. A.C.

Herzlicher Beifall für eine unterhaltsame, musikalisch hochwertige Aufführung!

 

 

 

 

 

 

 

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