Herkunft, HB

nach dem Roman von Oskar Roehler
in der Fassung von Frank Abt und Viktoria Knotková
Uraufführung Theater am Goetheplatz, Bremen, 2014

Regie: Frank Abt, Aussstatttung: Susanne Schuboth, Musik: Moritz Krämer, Dramaturgie: Viktorie Knotková, Licht: Joachim Grindel
mit: Claudius Franz, Nadine Geyersbach, Lisa Guth, Gabriele Möller-Lukasz, Susanne Schrader, Robin Sondermann, Matthieu Svetchine, LAlexander Swoboda,, Asavela Gabrielli/Rosa Baum

Bonjour Tristesse

Eigentlich brauchte man weder zu dem Roman von Oscar Roehler noch zu der Inszenierung von Frank Abt mehr zu sagen als Robert Freytag: “Die Frage ist, was wiegt schwerer. Mein Gehirnschaden, also jener Teil des Gehirns, der angefüllt ist mit miesen Erfahrungen, bescheuerten Leuten… oder jener winzige, intakte Teil, der noch offen ist,von dem ich zehre.”

– wäre da nicht der bohrende, nicht nachlassende Druck, diese verdammt schwere Drei-Generationen-Leidens-Story zu hinterfragen, zu analysieren, zu verstehen. Die Frage, der Roehler  in akribischer Erinnerungsarbeit nachzugehen versucht, und die nun getreu der Vorgabe auf der Bühne nachgestellt wird, ist doch die: Ist das Schicksal eine unerbittlich nachtragende Erynne, dass sie niemals Schuld und Versäumnisse, Lieblosigkeit, Lasterhaftigkeit, Lug und Trug und was es sonst noch alles an Sünden gibt, vergessen kann, sondern jede neue Genration erbarmungslos büßen läßt, was die Altvorderen straucheln ließ?

Glückliche Augenblicke, ja, auch, vielleicht aber mit stets bitterer Quittung-  das erlebt zunächst der aus dem Krieg eimgekehrte, an Leib und Seele versehrte Erich Freytag. Die Liebe, die ihm verloren ging, und die er auch jetzt nicht wieder zurück erhält, wird allen seinen Söhnen und Enkeln fehlen. Jeder von ihnen wird eben genau daran scheitern: an der am eigenen Leib erfahrenen Gefühlskälte, der seelischen Einsamkeit, der Verlassenheit. Eingeschmolzen ist diese endlose Tristesse und Versagenskette in die Geschichte der Bundesrepublik von 1946 an bis hin zu dem Aufbegehren der Studenten in den 70erJahren und wahrscheinlich noch endlos weiterhin. Ungeliebte Männer, Frauen, Kinder, Versagen kompensiert durch Alkoholexzesse, Hass und Wut auf die, die es scheinbar besser haben, zumindest, was ihr Einkommen betrifft, Verzweiflung über die eigene Unfähigkeit, sich das Leben untertan zu machen. Stattdessen: Lethargie, Warten auf Godot, auf das Glück, auf den Moment, das andere einem das Leben so einrichten, wie man es gerne hätte – ein Moment, der wohl niemals kommen wird.

Das Leben scheint eine kalte würgende Kette ohne Ende zu sein.

Was uns in dieser Romanadaption so bedrückend und eindringlich nachfolgt, ist die Qualität der Schauspieler, die so voller Vitalität, voller Temperament, Liebes- und Leidensfähigkeit sind, dass sie ihren Autor Lügen strafen. Ihre Protagonisten, die sie in wechselnden Rollen darstellen, sind lebendige, liebenswerte Menschen. Da ist der Heimkehrer Erich Freytag, dem Alexander Swoboda gleichermaßen Härte wie Güte und Konsequenz verleiht, der seine alte Firma wieder aufbaut, Gartenzwerge en masse produziert und vielen Frauen Arbeit gibt. Keine hat zu klagen – in jenen Tagen.  Anders seine Frau Elli, die in seiner Abwesenheit ihre große Liebe entdeckt hat: ausgerechnet zu Marie, der Schwester ihres Mannes. Das träfe jeden Mann hart, nicht nur Kriegsheimkehrer. Obwohl Erich über Jahre hinweg kein Wort mehr mit seiner Frau wechselt, die zu ihm zurückkehrt, wird er auf der Bühne von Swoboda mit weitaus mehr Menschlichkeit gezeichnet als in der Buchvorlage.

Sein ältester Sohn Rolf hält zunächst zu ihm, wird aber später die Fabrik seinem Bruder Heinz überlassen und sich als Schriftsteller versuchen. Doch er wird an der Unberechenbarkeit seiner Frau und ihrer Hysterie und Trunksucht zugrunde gehen. Claudius Franz als schüchterner, sensibler Jüngling stolpert in die Arme dieses faszinierenden Schulmädchens Nora Ode, das ihn mit außergewöhnlichem Charme einfängt und sein Leben ruinieren wird. Lisa Guth zieht und zeigt mit atemberaubender Fulminanz die dunklen Seiten einer agressiven Femme fatale, die als Abbild ihrer frustrierten Mutter Mechthild und als übles Vorbild auch für das Scheitern ihrer kleinen Schwester Erika verantwortlich ist.

So geht es weiter. Der vernachlässigte, wie ein Hund geprügelte Sohn von Rolf und Nora heißt Robert und wird von Matthieu Svetschine als Erzähler und auch hin und wieder teilnehmend in dieser und anderen Rollen auftreten, wie alle Darsteller in die ihnen eigenen, Generationen übergreifenden und wiederkehrenden Charaktere eingepaßt sind. Ein gesellschaftliches Kaleidoskop, aber vorwiegend in schwarz-grau-Tönen gezeichnet, die individuellen Wege gleichen einander in ihrer Beschaffenheit: der Boden ist matschtig, rutschig, gefährlich und bringt allesamt zu Fall, keiner wird glücklich, die echte Liebe erkennt man zu spät – nachdem man sie zerstört hat, das Leben zeigt Krallen und Widerstände, wo es kann. Des Menschen Schicksal scheint unabwendbar. Das hatten wir in der griechischen Klassik. Was also wollen der Autor und der Regisseur uns sagen?

Noch nichts von Pschologie gehört? Von qualifizierter Lebenshilfe durch Psychoanalyse? Von Eigenverantwortung, von Altruismus. Wie war das noch mit den zehn Geboten – auch eine Inszenierung am Bremer Theater. Nicht alles war schlecht, was sich in den 70erJahren etablierte und über den langen Weg von Österreich und Deutschland über die USA wieder nach Europa zurückkehrte. A.C.

 

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