Die Nibelungen

von Friedrich Hebbel
Schaubühne, Berlin

Regie: Marius von Mayenburg, Bühne: Stefan Hageneier, Kostüme: Claudia Gonschorek, Musik: Nils Ostendorf
Dramaturgie: Maja Zade, Licht: Erich Schneider
mit: Robert Beyer, Cathlen Gawlich, Franz Hartwig, Matthias Lamp, Christoph Luser, Eva Meckbach, David Ruland, Sebastian Schwarz, Nico Selbach, Tilman Strauß, Luise Wolfram,
Miles Perkin und Nico Selbach (Musik)

amp, Christoph Luser, Eva Meckbach, David Ruland, Sebastian Schwarz, Nico Selbach, Tilman Strauß, Luise Wolfram,
Miles Perkin E
Ein Abend in der Volkshochschule

Das Urepos der Germanen, die Edda, stand Pate für Friedrich Hebbels dramatische Verse über die Saga der Nibelungen, die mit ihrem Helden Siegfried Höhepunkt und Untergang erfahren. Ein neues, nicht minder gewalttätiges Geschlecht übernimmt nach dem Ableben der Götter die Herrschaft über die Erde: die Menschen. Die Bildkraft der Sagen- und Mythenwelt längst vergangener Tage hat wohl Richard Wagner in seinen Operndramen am effektvollsten in eine unvergleichliche Klang- und Bildsprache umgesetzt.

Am wenigsten eindrucksvoll bisher erscheint die jüngste, von Marius von Mayenburg inszenierte Version. Da gibt es auf großem weiten Raum eine Art Tribüne wie im Stadion, auf der die Schauspieler in Alltagskleidung herumturnen, ferner einige Stühle, auf denen sie regieanweisungsgemäß brav hocken, eine kleine Orgel und einen Kontrabass sowie zwei altertümliche Instrumente, die zirpen und klingen wie vielleicht einst die Harfen der Spielleute, die von Hof zu Hof im Mittelalter zogen, um die Geschichten von Liebe, Leid, Verrat, Hinterlist, Demütigung, Mord und Verderben vorzutragen und ihr Publikum zu Tränen zu rühren.

Das geschieht angesichts solch kühler, modern geliebter minimalistischer Inszenierung nicht mehr, dafür gibt es amüsiertes Gelächter bei den Zuschauern, die sicher noch nie etwas von diesem Heldenepos gehört und daher von den Rängen wohl eher ungläubig auf die Mär herabhören, die von einer begehrenswerten Walküre namens Brunhilde erzählt, die in dem Mythos weit oben im kalten dunklen Norden in eiserner Rüstung ihre Einsamkeit pflegt, hier aber in hautengen Jeans und T-Shirts scheinbar teilnahmslos auf einer Treppe hockt bis ihr Part an die Reihe kommt; auch Sebastian Schwarz als Jung-Siegfried, fast unverwundbarer Recke, den das Drachenblut, in dem er badete, unverwundbar machte und den die hab- und streitsüchtigen Zwerge wider Willen unvorstellbar reich mit dem Nibelungenschatz beschenkten, außerdem eine Tarnkappe und ein Zauberschwert hinterließen, wirkt weder kühn noch noch erotisch anziehend. Denn so ein gut genährter jugendlicher Schauspieleleve,  der so gar nichts Heldenhaftes an sich hat, dafür aber umso lieber mit der schönen sanften Kriemhild wie Mamas großer Junge kuscheln möchte und darob seine Aufgabe als Superman gedankenlos und eher nebenbei verrichtet, der erscheint schon etwas irritierend.

Und Gunter, dieser kleine, nicht unbedingt feige, aber doch unentschlossene König der Burgunder, erweckt eher ein Bild eines unentschlossenen, egozentrischen Herrschers, der sich selbst nur der Nächste ist und seine Leute über Leichen gehen läßt, der aber, wie Pontius Pilatus, seine Hände in Unschuld wäscht. Dieser kleine Gernegroß ist letztlich nur ein schlapper König, den Robert Beyer allerdings glänzend schnell und scharf akzentuierend deklamiert. Und wer ist dieser Bösewicht Hagen? Christoph Luser stellt ein psychopathologisches Monster mit rollenden Augen dar, in gebeugter Körperhaltung, schier unerträglich demütig und vasallengetreu wie ein Hund, zugleich von dumpfer Brutalität und Mordgier beseelt, unheilvoll ein riesiges Beil schwingend – aber vor allem: viel zu  jugendlich!
Eigentlich hat die Schaubühne doch eigentlich genügend Personal, um die Rollen altersgemäß zu besetzen?! Muss Eva Meckbach als Kriemhilde gar so jungmädchenhaft als Rotkäppchenversion daherkommen und in dieser unendlichen kindlich-weiblichen Dummheit ihren Siegfried an den Mordbuben Hagen ausliefern? Man weiß doch, dass die Eifersucht bei Hofe und in diesen Machtstrukturen einem schwelenden Brandherd gleicht, der jederzeit ein loderndes Feuer entfachen kann. Und dass eine derart gekränkte Königsschwester in die Rolle einer Vasallenfrau gedrängt wird, wäre auch für heutige gesellschaftliche Riten ein willkommener Anlass, um zornige Fehden auszutragen… Die Wut der Kriemhild ist glaubhaft, die verletzte Eitelkeit der betrogenen Brunhilde, die durch Kriemhildes Offenbarung wie durch ein Schwerthieb vernichtet wird, ebenfalls. Das ist die einzige große und größte emotionale Szene dieses Spiels, ähnlich jener Begegnung der beiden Königinnen Elisabeth I. und Maria Stuart bei Friedrich Schiller. Soviel Stolz, der hier zerschmettert wird, soviel Liebe, die in Hass umschlägt, soviel Hoffnung, die zugrunde gerichtet wird – das sollte schauspielerisch stolz und würdevoll ausgelotet und ausgekostet werden bis jedermann auf seinem Sitz erstarrt!

Doch obschon Kriemhilde Jahre später als Etzels Frau , von düsteren Racheplänen geleitet,die eigene Sippe an den Hof lockt, nimmt man ihr die stolze Königin, die zur kalt planenden und handelnden Furie wird, nicht ganz ab. Es ist klassisch aufgeschrien, schon richtig; aber ihr Seelenleid wird nur einmal ans Herz gehen, als sie am Grabe ihres ermordeten Siegfried kauert und voller Schmerz die imaginären Vögel füttert, die mit ihr Wache halten…

Luise Wolfram als Brunhilde hat dagegen durchaus das Format, um die zu neuem Götterglanz bestimmte Tochter des Walhall aus sich selbst heraus zu gebären. Als moderne Zehnkampf-Athletin könnte man ihr schon abnehmen, wie sie in allen Disziplinen ihre schlappen Freier um Längen schlägt, was diese-  wie später bei Turandot – mit dem Leben büßen müssen. Wer unterliegt, der stirbt. Und wenn jemand schon ihren schützenden Feuerwall durchbricht, um die in ihre Einsamkeit verbannte eiserne Lady zu erobern, dann wäre es und könnte es nur Siegfried sein, der schon einmal bis zu ihr vordrang, mehr aus Neugierde denn aus Lust, um dann für sich festzustellen, dass diese Dame in ihrer heldenhaften Gleichwertigkeit nicht sein Männertraum war. Doch um der Vorsehung Genüge zu tun, muss er natürlich noch ein zweites Mal auftauchen, diesmal als Vasall Gunters, der Brunhilde mit Hilfe Siegfrieds, das heißt: dessen Kraft und Tarnkappe, erobern will. Doch Brunhilde ahnt mit weiblicher Intuition und göttlicher Weitsicht, dass der wahre Gatte im Kleid des Dienstmannes steckt, der hilflose Gunter aber nur ein Spielball ist.

Das alles hat Hebbel in wunderbaren, romantisch-expressiven Versen psychologisch kunstvoll ausgedeutet, und deren Intensität allein ist es zu verdanken, das dieser Abend dann doch nicht verloren geht und vielleicht etwas zur vernachlässigten Bildung unserer Gesellschaft beitragen können. Der Verrat an Brunhilde, ihre Enttäuschung und verborgene Liebe zu Siegfried, sowie dessen Nachlässigkeit, den ihr in der Brautnacht abgenommenen Keuschheitsgürtel achtlos unter dem Tisch liegen zu lassen, besiegeln das Schicksal Siegfrieds. Kriemhilde wird diesen Gürtel finden und als kostbares Geschenk Siegfrieds umlegen, und dieser wird mit tödlicher Dummheit ihr nun die Wahrheit sagen müssen. Hagen Tronje wird ihn auf Befehl Brunhildens ermorden, nachdem er mit onkelhafter Güte Kriemhilde das Geheimnis des einzigen verwundbaren Körperteils ihres Gatten herausgelockt hat. Und Kriemhilde wird ewige Trauer tragen und umbarmherzige Rache schwören, und, wie bei Mythen der Brauch, auch mit archaisch- grausamer Konsequenz halten.
Der zweite Teil des Abends spielt dann folgerichtig am Hof des Hunnenkönigs Etzel (Attila), wohin man die ganze Burgundenschar zum Blutbad eingeladen hat. Allein Hagen weiß, was die Stunde geschlagen hat und warnt die Seinen. Doch zu spät. Ein fürchterliches Gemetzel hebt an, sichtbar gemacht durch unzählige Eimer voller Theaterblut, das von oben herab über die Treppen gegossen wird, Kriemhilde umfließt, ihren einzigen Sohn und alle Männer vernichtet. Nur Kriemhilde und Etzel (der elegante Nico Selbach verlässt sein Instrumentarium, um seine Rolle in diesem Massaker als treuer Ehemann mit festen Worten deutlich zu machen) bleiben zurück, nachdem Hagens Kopf als letzter fällt. Alle mausetot. Die Geschichte der Burgunden und der Nibelungen ist zu Ende. Der Schatz tief irgendwo im Rhein versenkt. Kriemhild hockt verloren und einsam auf der roten Treppe, Brunhilde, die Betrogene, zuhaus am Grabe Siegfrieds, des Mannes, der ihr bestimmt war und den sie hätte weiter durch ihr Götterreich führen können.Und die Menschen werden ihr Erbe tragen und sich weiterhin lieben und betrügen, aufrichten und vernichten.

Dieser Abend ist lang, nicht langweilig, aber auch nicht aufregend. Glanz und Schimmer reckenhafter Kühnheit fehlen gänzlich. Es ist alles so schrecklich normal und könnte eine Art Lesung in der Volkshochschule sein, wie es anfangs ja auch den Anschein hat. Nicht einmal mehr das viele Blut erschüttert. Vorbei ist es mit Phantasie und Gruselgrauen, mit Leiden und Erschauern, mit Emotionen aller Art, die wir doch bei der Lektüre so richtig schön durchleben können und sollen! Was aber ist aus unserem Theater geworden, wo sind die Schauspieler geblieben, die noch so mit der Sprache umzugehen vermögen wie man es bei der “Iphigenie auf Tauris” doch noch auf dieser Bühne glänzend unter Beweis stellte! Hier aber gesellt sich zur Straßenkleidung nun auch der passende Umgangston, dem Niveau des Gegenwarttheaters auf anderen Bühnen angepasst. Schade um die vergebene Chance. Möglicherweise bietet sich die Nibelungen-Inszenierung von Michael Thalheimer am Deutschen Theater im März nächsten Jahres zum Vergleich an. A.C.

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