Othello, DT

 von WilliamShakespeare
Trauerspiel in vier Akten  – 
uraufgeführt 1604 in London

Deutsches Theater Kammerspiele
Regie: Jette Steckel, Bühne: Florian Lösche, Kostüme: Pauline Hüners,
Musik: Mark Badur, Mando, Dramaturgie: Anika Steinhoff
Es spielen: Anika Steinhoff, Ole Lagerpusch, Mando (Beatboxing), Peter Moltzen, Helmut Mooshammer, Paul Schröder, Susanne Wolff, Simone von Zglinicki

Das Drama als Damenduo 

Bevor der eiserne Vorhang lautstark rückwärts klappt, wo er fortan als seltsam schräge Spielfläche (Schiffsplanken?) dient, erheben sich inmitten des Publikums der Fähnrich Jago, sein Kamerad Rodrigo und der Herzog von Venedig, Vater Desdemonas (Helmut Mooshammer), mit einer lauthals deklamierten Anklage gegen Othello. Der Vater bezichtigt ihn, sich Desdemona mit Hexenkünsten gefügig gemacht zu haben, während Jago und Rodrigo ihren Fremdenhass gegen den Eindringling in ihre Welt durch das Publikum schleudern, gemäßigt nur von dem besonnenen Leutnant Cassio. Othello, gelassen, weiblich, weist mit sachlich warmherzigen Worten auf die wahre Entwicklung ihrer beider Liebe hin. Gegen diesen Auftakt läßt sich nichts sagen, außer dass man überrascht konstatiert, wie nun zwei Frauen einander herzlich küssen.

Man hat es vorab im Magazin des Deutschen Theaters lesen können, was sich die Regisseurin Jette Steckel bei dieser ungewöhnlichen Interpretation des klassischen Eifersuchtsdramas alles gedacht hat. Verstehen muss man es nicht. Bevor nun das hinterlistige Spiel des Intriganten Jago beginnt, der auf die Position des Feldherrn versessen ist, muss man erst einmal festhalten, dass hier ein sehr, sehr junges Ensemble eine sehr, sehr alte Geschichte und eine derart tiefe psychologische Analyse menschlichen Abgrund spielen will, die ihresgleichen in der Weltliteratur sucht. Diese Verdächtigungen, die Jago Othello mit sanft jungenhafter Unschuld ins Herz spritzt, sich bewusst einer ungeschickten Wortwahl bedienend, um die Zweifel an der Treue der geliebten Desdemona zu sähen, ist teuflisch. Der zunächst unmögliche Verdacht führt Othello nach und nach zu quälendem Zweifel und schließlich in den Wahnsinn der Eifersucht. Sind die Worte erst einmal gefallen, mehr dahingeplaudert, laut und listig gedacht, stoßen sie auf Unruhe, auf Unsicherheit, um schließlich in einer tief greifenden Verzweiflung zu münden, wo sie grauenvolle Konsequenzen hervorrufen.

Warum spielt nun diese große, tragische Liebe zwischen dem Außenseiter Othello, der doch dank seiner Klugheit, seines freundlichen Wesens, seiner siegreichen Kriegszüge und natürlich zuletzt auch als Schwiegersohn des Herzogs seinen festen Standort in der venezianischen Gesellschaft gefunden hat, zwischen zwei Frauen, zwei jungen Mädchen? Kindlich die eine, Desdemona, naiv, verliebt, verspielt und eigenwillig, blind und taub für alles Böse, was sich um sie herum wie dicke giftige Rauchschwaden zusammenzieht. Warum nur nahm er sie mit auf diesen Feldzug, fern aller Freunde und Helfer in der Not? Warum ließ Othello sich erweichen – aus Liebe, aus Gutmütigkeit, in der Sicherheit seiner militärischen Erfolge? Er hätte wissen müssen, dass ein Außenseiter, ein Schwarzer, ein Fremder für immer ein Angriffsziel für die Weißen bleibt. Er hätte seine Position sehen müssen,  doch weil er seine Herkunft verdrängt und er nicht wahrhaben will und kann, dass er niemals, auch nicht neben einer Venezianerin als Ehefrau, von der Gesellschaft als Ihresgleichen akzeptiert werden wird, bleibt er auf diesem einen Auge blind wie ein Schneehuhn. Susanne Wolff, ist, spiele sie ein tragisches Stück zwischen zwei lesbischen Geliebten, eine starke überzeugende Persönlichkeit, und Simone von Zglinicki ebenso reizend und naiv wie hier als Desdemona. Aber Frau Wolff ist kein Othello, niemals kann sie dessen Seelenpein, dessen Argwohn, dessen tollwütige archaische Empfindungen so nahe bringen, wie es eine authentische Besetzung dieser Rolle uns oft gezeigt hat. Sie spricht alle – übrigens stark gekürzten Texte – mit dramatischer Wucht und Hingabe, zeigt sich auch als starke Befehlshaberin (sicher wäre sie eine tolle Amazonenkönigin oder eine Medea oder eine der vielen anderen großen klassischen Tragödinnen), aber diese intellektuell hoch geschraubte Analyse eines einfachen Mannes, eines Außenseiters, der die Intrigen der Weißen nicht kennt, aus vollem Herzen liebt und somit gleichermaßen wie vom Donner und Blitz getroffen, in seiner zivilisatorischen Unschuld am Boden zerstört wird, verlangt mehr als ein endloses Dahinsterben, sondern einfach größere Charakterrolle.

Und dieser Jago von Ole Lagerpusch, der am Tag zuvor noch den Prinzen von Homburg, spielen musste, findet sich in nicht unähnlich knabenhafter Prinzenrolle wieder, nun als Teufel in Menschengestalt wieder; gebeugt ist die Haltung, schlaff und schlurfend der Gang, hämisch schmerzhaft verzerrt das Gesicht, zynisch die Mundwinkel herabgezogen, aber die Stimme bleibt sanft, untertänig, ergeben. Wer könnte schon so einem netten Kerl etwas Böses zutrauen. das hat er drauf, und das scheint glaubhaft. Aber da alle männlichen Darsteller das Soldatische völlig fehlt, der Drill, die Disziplin, die Enge des Schiffes auf Körper und Psyche nicht sicht- und spürbar wird, bleiben die hohen emotionalen Wogen irgendwo im leeren schwarzen Raum.

Für Cassio, den Peter Moltzen äußerst eindrucksvoll und differenziert gibt, ist der tiefe Sturz, mit dem er bei seinem Feldherrn  in Ungnade fällt, keineswegs verständlich. Im Alkoholrausch randalierte er wohl, doch ist ihm die Erinnerung an seine Ausfälle nicht gegenwärtig, so dass es für Jago ein Leichtes ist, den “Freund” und Zechbruder” zu diffamieren. Indem er in Desdemona eine herzliche Fürsprecherin findet, verstrickt er sich immer enger in die Fallstricke, die Jago mit schlauer Finesse spannt, um ihn als verdächtigen Liebhaber Desdemonas erscheinen zu lassen.

Othello muss -in Desdemonas ängstlichem Traum – einmal als leichtlebige Dame in rotem engen Kleid und blonder Perücke über die Bühne stöckeln, und sich ein ums andere Mal ein hässliches Gorillakostüm zwängen, das nur schwer die “dämonische Wildheit” des Naturmenschen auszudrücken vermag. Das ist beides so albern wie überflüssig. Ebenso wie die künstliche und unpassend lustige Geräuschanimation von Beatboxer Mando. Alles in allem ein Mosaik aus lauter Versatzstücken nach dem Motto: Spielen wir heute mal Othello. Das allerdings sah man vor einigen Jahren an der Kammerspielen in einer weitaus schlüssigeren Fassung. A.C.

 

 

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