Nostalgie 2175, HB

Schauspiel von Anja Hilling
Theater am Goetheplatz, Bremen, 2015

Regie: Anne Sophie Domenz, Bühne und Kostümme: Marie Roth, Dramaturgie: Natalie Driemeyer, Licht: Joachim Grindel
mit: Nadine Geyersbach (Pagona), Siegfried W.Maschek (Taschko) und Matthieu Svetchine (Posch)


Klima,Klima, immer wieder Klima!

In einem Horrorszenario auf der in weiße Tücher eingehüllten Bühnenwände steht, wenn man dem Warnruf der Autorin folgen will, ein Leben jenseits allen natürlichen Lichts, ein Leben éingeschlossen in enge Räume, ohne Luft und versengende Sonne, ohne Liebe und Emotionen, ohne Hoffnung auf eine Zukunft wie sie in der Vergangenheit einmal stattgefunden hat bevor die Menschheit ihre Lebensgrundlage für immer oder doch für eine unabsehbar lange Zeit in tödliche Gase verwandelte. Explizit spielen das drei Schauspieler vor, in teilweise sehr poetischen Monologen, die schmerzvoll an eine zwischenmenschliche Beziehung voller Wärme und Leben erinnern und  im Gegensatz zu der untrüglichen Wahrheit der entmenschlichten Wirklichkeit stehen. Im Mittelpunkt das Aufbegehren einer jungen Frau, die eine solche Sehnsucht durchleiden will, koste es ihr Leben. Das wird es, und das ist eine entsetzliche Bedingung, die zunächst nicht so sehr verständlich wird, da das Spiel im Rückwärtsgang läuft und einige Lücken offen läßt.

Nadine Geyersbach spielt eine verzweifelt um die Liebe ihres Freundes Taschko ringende Pagona, der sie  – unheilbar nach einem Attentat erkrankt und nun voller sedierender Medikamente -, nicht berühren darf solange die Folgen seiner Verstrahlung nicht verheilt sind. Die Drogen lähmen seine Libido, und er kann die Qualen seiner Freundin nicht begreifen – oder will er das einfach nicht, um des eigenen Überlebens willen? Sachlich, freundlich, voller Verständnis für Pagoda, verwehrt er ihr doch unerbittlich jegliche Zärtlichkeit. Siegfried M.Maschek als Taschko ist im wahrsten Sinne nicht greifbar, nicht mehr in und von dieser Welt. Sein Arbeitgeber springt ein in der Liebesnot: der Unternehmer Posch, den Matthieu Svetchine ebenso verloren wie listenreich in die Dreiecksbeziehung einbringt und der ein infames Spiel mit dem Paar treibt: für Taschko hat er eine Arbeit, hochkarätig steril, bei der er Tapeten nostalgisch bemalen soll. Die Anregungen hat er aus über 400 VHS-Kasetten, die Posch’s Mutter der geschlossenen Gesellschaft hinterließ, Bilder mit leuchtenden Farben, glitzerndem Wasser, Blumen, Erde, Tieren – für die weißhäutige rothaarige Albino-Gemeinschaft, die sich nur künstlich vermehren darf, ein unvorstellbares Leben aus einer fernen Vergangenheit.

Im Dunkeln bleiben Andeutungen, wie die, ob der obskure Posch nicht selbst den üblen Angriff auf Taschko ausübte? Man weiß es nicht, die Ungeheuerlichkeit lauert durch die Worte hindurch wie ein gefährliches Reptil. Sicher ist, das er mit Pagona ein Kind gezeugt hat, ungesetzlich, strafbar, tödlich für die Mutter in jedem Fall – es wird ihren Körper zerstören, und wenn die Mutter die Geburt doch überlebt, wird die Gemeinschaft sie tödlich strafen.

Und Nadine Geyersbach zeigt den ergreifenden Kampf einer Frau um ihre Liebe, um das Leben, das in ihr wächst, denn es das gedankliche Kind vonTaschko; es  ist ihre Sehnsucht nach Erfüllung ihres Daseins, es ist in ihr, ist sie selbst. Es ist Abbild der Hoffnung jenseits aller Dunkelheit, die da draußen noch eine lange, lange Zeit herrschen wird, Hoffnung darauf, dass der Rest der Menschheit konserviert werden kann?

Kräftiger Beifall für Darsteller und Regieteam am Premierenabend. A.C.

3 comments

  • Matthieu Svetchine

    Hallo!

    Vielen Dank für diese tolle Kritik. Allerdings habe ich, Matthieu Svetchine, die Rolle von Posch gespielt (der intrigante Chef) und Siegfried W. Maschek war Taschko, der verhinderte Liebhaber.
    Mit freundlichen Grüßen aus Bremen!
    Matthieu Svetchine

    • Lieber Herr Svetchine!

      Tut mir leid, ich war mir so sicher… (Das kommt heraus beim Partnertausch!) Natürlich habe ich die “Zuständigkeiten” flugs geändert. Viel Erfolg weiterhin!

      Ihre Angelika Cromme

  • I was just telling my friend about that.

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